Der Kaiser, der ein Sozialrevolutionär war#
Sozialsystem bei Hof war vorbildlich. Sparpaket brachte statt Kündigungen die Versteigerung der Lipizzaner.#
Von der Wiener Zeitung (Dienstag, 16. Dezember 2008) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
von
Werner Grotte
Viele Geschichten ranken sich um Kaiser Franz Joseph, der Österreich-Ungarns Geschicke vom Revolutionsjahr 1848 bis zum Weltkriegsjahr 1916 lenkte. Etwa jene, dass viele Hof-Gäste hungrig heimgehen mussten, weil der Kaiser so schnell aß und nichts mehr serviert wurde, sobald er die Gabel weggelegt hatte. Buchautorin Winkelhofer hat die Archive des Kaiserhofes akribisch durchforstet – und dort Belege für das genaue Gegenteil gefunden. So waren Kaiser und Hofküche nicht nur äußerst großzügig zu geladenen Gästen, sondern verpflegten sogar weite Bevölkerungsteile in bester Qualität mit. Typisch für die familiäre Einstellung des Monarchen gegenüber seinem mehr als 1500 Köpfe zählenden Hofstaat ist das Los des kaiserlichen „Badewaschels“, der Trinker war und um 3.30 Uhr Früh, wenn es galt, Frühaufsteher Franz Joseph einzuseifen, meist so torkelte, dass er sich am Kaiser stützen musste. Dieser ließ ihn schließlich in die Hofküche versetzen, wo er sich besser anhalten könne: als Bratenspieß-Dreher. Das Beispiel steht symptomatisch für die Quasi-Pragmatisierung aller Hofbediensteten bis hin zum kleinsten Lakaien: Sie alle bekamen neben (geringer) Bezahlung gratis Essen, Wohnung und Heizmaterial – und das sogar erblich. Entlassungen gab es so gut wie nie. Trotz tiefgreifender Reformen hielt der Kaiser bis zu seinem Tod an diesen Maximen fest. Die Reformen gelangen dennoch. Dabei war der Wiener Hof, den der 18-Jährige von Ferdinand I., dem „Gütigen“, übernahm, angesichts europaweiter Revolutionen nicht nur von außen bedroht sondern auch verwaltungstechnisch und finanziell marod. Einzelne Hof-Bereiche standen in erbitterter und unwirtschaftlicher Konkurrenz zueinander, eine übergeordnete Kontrollstelle fehlte völlig. Im Zuge einer Revision zeigten sich abenteuerliche Missstände; so verschwanden riesige Mengen Lebensmittel aus der Hofküche, viele Dienstwohnungen waren an Hoffremde vermietet oder gar vererbt worden. Der Kaiser setzte schließlich den ebenso jungen und durchsetzungsstarken deutschen Fürsten Konstantin von Hohenlohe und Schillingsfürst als Obersthofmeister (höchstes Amt am Hof) ein. Der war in keine der Wiener Adels-Seilschaften verstrickt und begann mit Feuereifer (und voller Rückendeckung seines Kaisers) ein nie dagewesenes und selbst unter heutigen Gesichtspunkten bemerkenswertes Sparprogramm, gekoppelt mit einer Sozialreform, durchzusetzen. Statt Personal zu kündigen, wurden radikal gräfliche Apanagen und andere Adels-Vergünstigungen gestrichen; sogar „unnötige“ Lippizaner versteigert, während der öffentliche Tiergarten Schönbrunn erhalten blieb. Parallel schuf man Gratis-Kindergarten, freie medizinische Versorgung, Fix-Löhne und einen Pensionsfonds. Sogar Saisonniers und Taglöhner bekamen eine Lebensversicherung. Das Hofbudget schrumpfte dennoch um ein Drittel.
Martina Winkelhofer: „viribus unitis“. Der Kaiser und sein Hof. Amalthea Verlag. 300 Seiten, 24,95 Euro (vier von fünf Sternen)
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