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Als „Krieger“ Politik machten #

Zur Steigerung der Gewaltbereitschaft in der Ersten Republik haben die Medien wesentlich beigetragen. Leitartikel und Analysen waren von einem martialischen Ton geprägt. Stimmen der Besonnenheit, die es auf beiden Seiten gab, hatten zuletzt keine Chance mehr. #


Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus: DIE FURCHE (Donnerstag, 6. Februar 2014)

Von

Kurt Wimmer


Koloman Wallisch
Wallisch. Koloman Wallisch, Kommandant des Republikanischen Schutzbundes und führender Kopf der Februaraufstände, bei einer Rede (um 1930); ganz links Nationalratsabgeordneter Karl Renner, rechts neben ihm Wiens Bürgermeister Karl Seitz
Foto: © Die Furche

Noch am Tag, als der Bürgerkrieg in Österreich begonnen hatte, berichtete die amtliche Wiener Zeitung in einer Sonderausgabe: „Regierung Herrin der Lage“. Und auf Seite 1 wurde auch das Standrecht kundgemacht.

Am Morgen dieses 12. Februar vor 80 Jahren umzingelte um sieben Uhr früh die Polizei das Arbeiterheim im Linzer Hotel Schiff und drang dort, auf der Suche nach Waffen, gewaltsam ein. Richard Bernaschek, der Parteisekretär der oberösterreichischen Sozialdemokraten, gab den Schießbefehl. Bernaschek war auch Landeskommandant des verbotenen Republikanischen Schutzbundes.

Es gab die ersten Toten, und am Tatort Linz beschoss das Bundesheer u. a. die Diesterwegschule mit Artillerie, weil sich dort Schutzbündler verschanzt hatten. In der Wiener Zeitung hieß es tags darauf in einem Aufruf der Regierung „An das Volk von Österreich“, dass eine „jeder Verantwortung bare Führung der sozialdemokratischen Partei“ den Versuch unternommen habe, sich mit Waffengewalt gegen die Behörden aufzulehnen und einen Generalstreik anzuzetteln.

Verbalradikaler Schwulst #

Doch dieser dreitägige Bürgerkrieg mit lange nachwirkenden traumatischen Folgen war, zumindest zu diesem Zeitpunkt, gegen den Willen der Mehrheit des Parteivorstandes in Wien ausgebrochen. In Wahrheit handelte es sich um einen Aufstand des Schutzbundes, der auch ein Aufbegehren gegen Exponenten der Parteiführung war, die zwar die revolutionäre Rhetorik bravourös beherrschten, die aber vor der revolutionären Tat letztlich zurückschreckten.

In einem Leitartikel schrieb das Blatt: „Entsetzliches, Unfassbares, Grauenvolles ist geschehen. Die Hetzpolitik der österreichischen Sozialdemokraten ist nun blutigrot in Österreich aufgegangen.“ Nun müsse den „roten Staatsfeinden das Handwerk gründlich gelegt werden“.

Dieser verbalradikale Schwulst, selbst im Amtsorgan der Bundesverwaltung, ist typisch für die gewaltgeschwängerte Atmosphäre der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, die geprägt war von Wirtschaftskrisen und Massenarbeitslosigkeit. Da gab es in den Parteien und neben ihnen ein chaotisches Spektrum politischer Gruppierungen: Milizen, Kampfverbände, Wehrbünde, Heimwehren, Frontkämpfervereinigungen, Sturmscharen. Und die Sammelbewegung, die nach faschistischem Muster im autoritären Ständestaat die Parteien ersetzen sollte, hieß „Vaterländische Front“.

Auch die Medien übten sich im martialischen Ton. Die Sozialdemokraten verstanden ihre Arbeiterzeitung als Kampforgan und die niveauvolle theoretische Schrift der Partei hatte den programmatischen Titel Der Kampf.

Wenn da zum Beispiel der Heimwehrführer Rüdiger von Starhemberg in einer Postille namens Die Freiheit! als „Krieger“ geehrt wurde, dann war das eine durchaus zeitgemäße Würdigung für einen Politiker.

Dieser adelige „Krieger“ wurde am 8. 9. 1931 im christlichsozialen Linzer Volksblatt mit folgender „Analyse“ über die aktuelle politische Situation zitiert: „An Stelle des Monarchen kam eine Herde von Gaunern und Falotten, die nichts anderes können als Steuergelder vergeuden. [...] Die Zeiten sind vorbei, da wir noch den Ehrgeiz hatten, staatserhaltend zu sein. Wir haben kein Interesse an Ruhe und Ordnung von heute.“ Die hasserfüllte verbale Gewaltbereitschaft äußerte sich im politischen Alltag immer wieder in blutigen Zusammenstößen.

Zeit der Heilsprediger #

Es war eine Zeit, in der sich politische Parteien als Heilsbringer verkannten. Die Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP) wollte einen „neuen Menschen“ und eine gerechte sozialistische Gesellschaftsordnung. Laut Parteiprogramm aus dem Jahr 1926, das erst 1958 durch ein neues ersetzt wurde, strebte sie eine „Eroberung der Herrschaft in der demokratischen Republik“ an. Notfalls sollte „der Widerstand der Bourgeoisie auch mit den Mitteln der Diktatur“ gebrochen werden. Militärischer Arm der SDAP war der Republikanische Schutzbund, der als eine Art „Gegen-Heer“ organisiert wurde und am Höhepunkt seiner Stärke 80.000 Mann mobilisieren konnte.

Der Kampf der Christlichsozialen richtete sich gegen den „gottlosen Marxismus“, eine „österreichische Mission“ wurde propagiert, und die Österreicher sollten zudem als „die besseren Deutschen“ an vorderster Front gegen das „germanische Neuheidentum“ der Nationalsozialisten antreten. In der ersten Nummer der Zeitschrift Der christliche Ständestaat vom 3. Dezember 1933 konnte man zum Beispiel Folgendes lesen: „Europa, das christliche Abendland, das wahre Deutschtum richten ihre Augen voll Erwartung auf Österreich, das den christlichen deutschen Ständestaat zum Programm erwählt hat. [...] In einer Zeit der Abkehr von Irrtümern, die sich selbst ad absurdum geführt haben, aber auch in einer Zeit der Gärung und Verwirrung müssen die ewigen, allgemeingültigen Ideen von Staat, Nation, Volksgemeinschaft, Recht, Autorität, Freiheit und Persönlichkeit klar herausgestellt werden.“

Chefredakteur Friedrich Funder
Chefredakteur Friedrich Funder
Foto: © Die Furche
Die „Reichspost“
Funder. Die „Reichspost“ unter ihrem damaligen Chefredakteur Friedrich Funder stellte sich klar hinter Bundeskanzler Dollfuß und die von diesem betriebene Entwicklung hin zum autoritären Staat.
Foto: © Die Furche

Von dieser systematisch aufgeheizten Atmosphäre im Kampf zweier ideologischer Gegner, die einander zu erbitterten Feinden gemacht hatten, profitierten die gefährlichsten und radikalsten Gegner des österreichischen Staates: die Nationalsozialisten. Noch bei der Nationalratswahl 1930 hatten sie kein einziges Mandat erringen können.

Stimmen der Besonnenheit, die es sowohl im christlichsozialen Lager als auch auf dem rechten Flügel der Sozialdemokratie gab, hatten keine Chance mehr.

„...alles falsch gemacht“ #

Auch das Organ der Christlichsozialen, die Reichspost mit ihrem Chefredakteur Friedrich Funder, verfocht zu diesem Zeitpunkt eine klare, starre Linie: gegen eine Zusammenarbeit mit der Sozialdemokratie und gegen Bemühungen, den gelähmten Nationalrat wieder handlungsfähig zu machen.

Nach der blamablen „Selbstausschaltung“ des Parlaments am 4. März 1933, als alle drei Nationalratspräsidenten wegen eines Streits um ein Abstimmungsergebnis zurückgetreten waren, förderte die Reichspost die von Kanzler Engelbert Dollfuß zielbewusst vorangetriebene Entwicklung hin zum autoritären Staat. Auch die Selbstaufgabe der Partei durch das Aufgehen in der „Vaterländischen Front“ nahm Friedrich Funder schließlich hin.

Mit der Forderung „Heraus aus dem Sumpf!“ konstatierte er damals zum Beispiel die „Vertrauenskrise eines entgeistigten Parlamentarismus, der an seiner eigenen Omnipotenz impotent geworden ist“. Und am 23. 3. 1933 plädierte er für die „unaufschiebbare Beseitigung eines der Wirtschaft zum Fluch gewordenen Systems“.

Nach dem Zweiten Weltkrieg bewies Friedrich Funder mit der Gründung der FURCHE und ihrer ausgleichenden politischen Linie, dass er aus der Geschichte gelernt hatte.

„Wir alle haben alles falsch gemacht“: Dieses selbstkritische Resümee über die Politik in der Ersten Republik zog in seinen späten Pensionsjahren Franz Olah, der in der Zweiten Republik Gewerkschaftspräsident und SPÖ-Innenminister war. Das durfte aber nur einer sagen, der nach dem Verbot der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei bei den illegalen „Revolutionären Sozialisten“ aktiv war und der für seine politische Überzeugung, ebenso wie Friedrich Funder, von den Nationalsozialisten ins Konzentrationslager gebracht worden war.

Der Autor, geb. 1932, war lange Jahre stellvertretender Chefredakteur, von 1994 bis 1997 Chefredakteur der „Kleinen Zeitung“ und schrieb zwischen 1986 und 1993 regelmäßig Kolumnen für die FURCHE unter dem Titel „Rufzeichen“.

DIE FURCHE, Donnerstag, 6. Februar 2014


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