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Österreichs einzige Weltumsegelung neu bewertet: Der Traum von der Weltmacht als Ziel#

Novara-Expedition: Kritische Analyse der Primärquellen. Wissenschafter als Feigenblatt für ehrgeizige Kolonialpläne#


Mit freundlicher Genehmigung der Wiener Zeitung (Sa./So., 26. /27. Juni 2010)

Von

Werner Grotte


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Lebensgefährliches Abenteuer: Kriegsfregatte "Novara". Foto: T. Sternisa

150 Jahre lang galt die erste und einzige Weltumseglung eines großen österreichischen Kriegsschiffes als herausragende Leistung im Dienste der Wissenschaft. Viele heimische Museen sind bis heute gut bestückt mit Exponaten dieser Reise.

Geht es nach den Erkenntnissen von David G. L. Weiss und Gerd Schilddorfer, muss die Geschichte rund um die Fahrt der Segelfregatte "Novara" (1857-59) allerdings umgeschrieben werden. Sie kommen unter Berufung auf penible Durchsicht der Primärquellen zum Ergebnis, dass die Wissenschafter an Bord nur Beiwerk waren und die Reise tatsächlich einem anderen Zwecke diente – nämlich der Realisierung ehrgeiziger Kolonialpläne der Großmacht Österreich-Ungarn.

Tatsächlich war die Lage des 40 Millionen-Einwohner-Reiches in der beginnenden Industrialisierung Mitte des 19. Jahrhunderts prekär: Der junge Kaiser Franz Joseph musste nach innen wie nach außen Stärke zeigen. Die Aufstände von 1848 waren zwar niedergeschlagen, wachsende soziale Missstände aber nicht behoben.

Wirtschaftlich und militärisch musste die Seemacht Österreich-Ungarn mit dem Handelsfreihafen Triest und dem Kriegshafen Pola kurz vor Eröffnung des Suez-Kanals quasi vor der Haustür Flagge zeigen. Kolonialmächte wie Großbritannien hatten die meisten strategischen Stützpunkte entlang der Handelsrouten nach Asien okkupiert. Österreich-Ungarn, das eine wichtige Rolle beim Bau des Suez-Kanals spielte, musste seine Präsenz zwischen Indien und China tunlichst verstärken. Was lag also näher, als ein mächtiges Kriegsschiff auszuschicken, das persönliche Kontakte verbesserte und mögliche Stützpunkte erkundete?

Wie die Autoren sich nachzuweisen bemühen, kam für Letzteres vor allem die bereits einmal kurz von Österreich besetzte, mittlerweile aber lose von Dänemark beanspruchte Inselgruppe der Nikobaren im Indischen Ozean in Frage. Tatsächlich kreuzte man aber nur fünf Wochen vor den Inseln, machte wenige Ausflüge an Land und brachte dennoch so viele ethnologische Schätze mit, dass Österreich heute die weltweit größte Sammlung nikobarischer Volkskunst besitzt. Sieht man von der deklariert anti-imperialistischen Grundeinstellung ab, wartet das penibel recherchierte Buch mit einer seltenen Fülle von Details rund um damalige Entscheidungsprozesse, Akteure und deren Handlungen auf. Original-Zitate aus dem – damals millionenfach verkauften – Reisebericht des wissenschaftlichen Leiters Georg Scherzer aus 1861 wechseln sich mit Hinweisen oder Kommentaren der Autoren ab.

Allein das Vorhaben, 360 Seeleute, Soldaten und Gelehrten drei Jahre lang auf einer umgebauten 50 Meter-Kriegsfregatte rund um die Welt zu schicken, stellte in der damaligen Zeit ein mitunter lebensgefährliches Abenteuer dar. Unter anderem geriet das stolze Schiff in einen ausgewachsenen Taifun.

Die Autoren wollen stellenweise dennoch den Eindruck einer Spazierfahrt erwecken. Dass die Gäste aus Europa an ihren Stationen zwischen Südamerika, Afrika, Indien, China und Australien großteils mit Pomp und Enthusiasmus empfangen wurden, erscheint verständlich bezogen auf eine Zeit, in der eine Urlaubsreise von Wien zum Semmering als Luxus galt. Auch verwundert es wenig, wenn die Österreicher in Hotels oder Residenzen und nicht in Eingeborenen-Krals logierten. Letzteres gilt bei Staatsbesuchen – und die Novara-Expedition ist mit einem solchen vergleichbar – heute noch als unmöglich.

Schließlich versuchen die Autoren, die Qualität der mitgebrachten Exponate zu mindern, indem sie betonen, dass diese vielfach auf Märkten oder von Sammlern erstanden und nicht in freier Wildbahn „erlegt“ wurden. Pflegten die Forscher aber doch Kontakt zu Eingeborenen und ließen deren Körper vermessen, wird das als „Rassismus“ gedeutet. Einige Thesen klingen zwar logisch. Insgesamt hat es aber den Anschein, dass Wissenschafter Weiss und Journalist Schilddorfer ihre eigene Warnung zu Anfang des Buches in dessen weiteren Verlauf vergessen haben: Man möge die Vorgänge rund um die Novara-Reise nicht aus der Perspektive des 21. sondern aus jener des 19. Jahrhunderts sehen.

"Novara" – Österreichs Traum von der Weltmacht. David G. L. Weiss, Gerd Schilddorfer, Verlag Amalthea, 24,95 Euro

Wiener Zeitung Sa./So., 26. /27. Juni 2010