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Das blutige Desaster vom 12. Februar 1934#

Vor 85 Jahren brach der sozialdemokratische Aufstand gegen das Dollfuß-Regime aus. Bis heute rankt sich ein politisches Mythengestrüpp um die damaligen Geschehnisse.#


Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus der Wiener Zeitung, 9. Februar 2019

Von

Kurt Bauer


Der 12.-Februar-Platz beim Karl-Marx-Hof in Wien-Döbling erinnert an die Ereignisse im Jahr 1934
Der 12.-Februar-Platz beim Karl-Marx-Hof in Wien-Döbling erinnert an die Ereignisse im Jahr 1934, die bis heute nur unzureichend erforscht sind.
Foto: © Kurt Bauer

Mit der Historiographie des Februaraufstandes ist das so eine Sache. Viele denken, das Thema wäre omnipräsent, ausgeforscht, es gäbe eine Unmenge an Fachliteratur dazu, jeder Aspekt, jedes Detail wäre hundert Mal gewendet und von allen Seiten beleuchtet.

Das Gegenteil ist wahr. Wer sich als Historiker näher damit befasst, stellt bald fest, dass - in der Regel zu runden Jahrestagen - viel heiße Luft in Form von Gedenkbroschüren und Heldenlegenden produziert wurde. Seriöse, neutrale (das heißt nicht primär parteipolitisch motivierte) Studien sind hingegen Mangelware, ein wissenschaftliches Standardwerk fehlt überhaupt.

Zwei Lagermythen#

Wer die durch und durch politisierte und ideologisch polarisierte österreichische Zeitgeschichteszene näher kennt, weiß auch warum. Offensichtlich wollte sich niemand an dem heiklen Thema die Finger verbrennen, deswegen gar seine Karriere aufs Spiel setzen. Bürgerliche, liberal und konservativ eingestellte Historiker überließen die Angelegenheit liebend gerne der hegemonialen linken, sozialdemokratischen und kommunistischen Kollegenschaft.

Aber auch auf dieser Seite fand sich kaum jemand, der bereit gewesen wäre, allzu tief zu schürfen. Es wären dabei - so viel ließ sich schon bei oberflächlichem Studium der Quellen feststellen - notwendigerweise Tatsachen ans Licht gekommen, die dem liebevoll gepflegten Mythos von den opfermutigen Februarkämpfern fundamental zuwidergelaufen wären.

Die politische Erinnerungskultur der Zweiten Republik wurde und wird nämlich von zwei mächtigen Lagermythen beherrscht, die jeweils direkt auf die beiden Hauptereignisse des Unglücksjahres 1934 Bezug nehmen. Freilich, der christlichsozial-konservative Dollfuß-Mythos ("erstes Opfer Hitlers") ist am Verblassen. Sogar das umstrittene Dollfuß-Bild im ÖVP-Klub wurde unlängst ins Museum verfrachtet. Anders verhält es sich mit dem Februarmythos der Sozialdemokraten, der nach wie vor hoch im Kurs steht. Seine Kernaussage in einfachen Worten: Die österreichischen Arbeiter waren die Ersten in Europa, die im Februar 1934 dem Faschismus bewaffnet Widerstand leisteten. Ohne ihren heldenhaften Opfergang wäre die Wiedergeburt Österreichs im Jahr 1945 nicht möglich gewesen.

Kennzeichnend für derartige politische Mythen ist, dass sie zwar prinzipiell auf historischen Fakten und Ereignissen aufbauen, aber im ständigen Wieder- und Weitererzählen ihre eigene Wirklichkeit entwickeln, bis sie schließlich mit den quellenmäßig überlieferten tatsächlichen Vorgängen kaum noch in Übereinstimmung zu bringen sind. Im Fall des Februaraufstandes wirkt zudem bis heute die propagandistisch motivierte, völlig überhitzte Mythenproduktion der 1930er Jahre nach.

Gedenktafel an den Februaraufstand beim Schlingerhof in Floridsdorf., Foto: © Kurt Bauer
Gedenktafel an den Februaraufstand beim Schlingerhof in Floridsdorf.
Foto: © Kurt Bauer

Dass man in den damaligen politischen Kämpfen - von deren Intensität man heute kaum noch einen Begriff hat - die Tatsachen grob verzerrte, das eigene Leid, den eigenen Heroismus und im Kontrast dazu die Brutalität und Niedertracht des jeweiligen Gegners maßlos übertrieb, versteht sich von selbst. Jede Seite tat es. Allein, im Fall des sozialdemokratischen Aufstandes vom 12. Februar 1934 ist es erstaunlich, in welchem Ausmaß man auch nach 1945 an der seinerzeit in die Welt gesetzten Propaganda festhielt und viele Halbwahrheiten und Lügen zu unumstößlichen historischen Tatsachen hochstilisierte.

Die Opfer#

Zentral ist die Problematik der Anzahl und Zusammensetzung der Todesopfer des Aufstandes. Bereits unmittelbar nach Ende der Kämpfe war seitens der Sozialdemokraten und Kommunisten von 1200, 1600 Toten und mehr die Rede - eine Größendimension, die übrigens auch von den Nazis übernommen und verbreitet wurde. Die Dollfuß-Regierung nannte eine offizielle Zahl von 314 Todesopfern. Welcher Seite konnte man trauen?

Interessant ist, dass man sich nie bemühte, die Opfer des Republikanischen Schutzbundes - in deren Gedenken während all der Jahre der Zweiten Republik Tausende Kränze niedergelegt wurden - namentlich vollständig zu erfassen. Sozialdemokraten und Kommunisten begnügten sich in ihren Darstellungen der Februarkämpfe für gewöhnlich damit, die offiziellen Zahlen zu zitieren, üblicherweise verbunden mit dem vagen und vieldeutigen Hinweis, dass die tatsächliche Zahl der Opfer unbekannt sei, sich aber wohl auf weit mehr als tausend Tote belaufe. Zudem deklarierte man für gewöhnlich sämtliche Zivilopfer ohne weitere Umstände für den Schutzbund.

Ein vom Autor dieses Beitrags mit Unterstützung des Zukunftsfonds der Republik Österreich durchgeführtes Forschungsprojekt ergibt ein ganz anderes Bild: Die Gesamtzahl der Toten liegt bei ungefähr 360 Personen. Davon sind jeweils 31 Prozent der Todesopfer den Regierungskräften und den Aufständischen zuzurechnen. 38 Prozent der Toten waren Unbeteiligte, Nicht-Kombattanten, durch unglückselige Zufälle oder aus Leichtsinn in die Kampflinien geraten. Stellt man zudem neun Hinrichtungen und rund ein Dutzend Suizide unter den Aufständischen in Rechnung, so zeigt sich, dass während der Kämpfe selbst deutlich mehr Angehörige der Polizei, des Bundesheeres und der regierungstreuen Wehrverbände fielen als Angehörige des Schutzbundes.

"Arbeitermörder" Dollfuß#

Die Gewichtung der Verantwortung für die Zufallsopfer ist schwierig. Wertet man die einigermaßen vertrauenswürdigen unter den vorliegenden Berichten aus, dürften beide Seiten ungefähr zu gleichen Teilen dafür verantwortlich sein, eventuell mit einem leichten Übergewicht der Regierungskräfte.

Die stärksten Bilder, die sich vom Februaraufstand eingeprägt haben, sind diejenigen der zerschossenen Fassaden der Gemeindebauten des Roten Wien. Mit Kanonen auf Arbeiterhäuser geschossen zu haben, ist der schwerste Vorwurf, der Kanzler Dollfuß und seinem autoritären Regime bis heute gemacht wird. Darauf gründet das Schmähwort vom "Arbeitermörder".

Genau besehen waren es freilich die Schutzbündler gewesen, die diese Wohnhäuser als Arsenale und Festungen gegen die Exekutive missbraucht und damit die Bewohner in höchste Gefahr gebracht hatten. Für das Bundesheer war der Einsatz ihrer Artillerie die Ultima Ratio, um den Aufstand möglichst rasch und ohne größere eigene Verluste zu beenden. Tatsächlich zogen die Aufständischen häufig ab, sobald die Kanonen in Stellung gebracht wurden. Spätestens nach dem Einschlagen der ersten Schüsse flohen sie in jedem Fall Hals über Kopf.

Gedenktafel für beim Februaraufstand getöteteStraßenbahner, U-Bahn-Station Kagran.
Gedenktafel für beim Februaraufstand getöteteStraßenbahner, U-Bahn-Station Kagran.
Fot: © Kurt Bauer

Bei der Auswertung der Todesursachen der Februaropfer zeigt sich, dass das Bundesheer beim Kanoneneinsatz tatsächlich verhältnismäßig maßvoll vorgegangen war. Elf von 151 Zivilopfern (Schutzbündler und Unbeteiligte) in Wien starben durch den Artilleriebeschuss des Bundesheeres. Ungleich mehr Menschen kamen auf der Straße oder aus anderen Ursachen ums Leben.

So paradox es klingt: Bei Verzicht auf die einzig wirklich überlegene Waffe, die der Regierung zur Verfügung stand - die Artillerie -, wären die Kämpfe beträchtlich in die Länge gezogen worden. Der offene Angriff auf die in ummauerten Stellungen verschanzten Schutzbündler und der unweigerlich folgende Nahkampf in den Gebäuden hätte zweifellos zu ungleich mehr Toten und Verwundeten unter Kombattanten wie Nicht-Kombattanten geführt, als es schließlich wegen des Einsatzes der Kanonen und Minenwerfer der Fall war.

Für die standrechtlichen Hinrichtungen von insgesamt neun Aufständischen gibt es nur eine treffende Charakterisierung: heimtückische Rachejustiz. Der Vorwand des Regimes, dass diese Justifizierungen zur Abschreckung nötig gewesen wären, sind unhaltbar. Sie waren unnötig und in Hinblick auf eine spätere Aussöhnung sogar kontraproduktiv. Die Kämpfe waren längst abgeflaut, als die durchwegs fragwürdigen Todesurteile nach überhasteten, unfairen und schlampig durchgeführten Verfahren vollstreckt wurden.

War es ein Bürgerkrieg?#

Der 12. Februar 1934 stellte den Gipfelpunkt eines langwierigen, unerbittlichen Konfliktes dar. Zwangsläufig war die Entwicklung bestimmt nicht, aber selbst der zeitgenössische Beobachter Bruno Kreisky meint, dass mit der Ablehnung des christlichsozialen Koalitionsangebotes von 1931 durch die Sozialdemokraten die letzte Chance zur Rettung der österreichischen Demokratie vertan worden war.

Der Graben zwischen den politischen Lagern und Weltanschauungen wurde danach immer tiefer, schließlich unüberwindlich. Es ist nicht verfehlt, von politischen Spannungen zu sprechen, die so bedrohlich waren, dass sie tatsächlich zu einem regelrechten Bürgerkrieg hätten führen können. Man denke nur an die Parteiarmeen und paramilitärischen Verbände, die sich hochgerüstet und hasserfüllt gegenüberstanden. Ein Bürgerkrieg fand in der Zwischenkriegszeit zweifellos in den Köpfen statt. Wie übrigens in vielen Ländern Europas.

Was sich schließlich am 12. Februar 1934 ereignete - dieses strohfeuerartige Aufflackern von Kämpfen in einigen wenigen Industrie- und Arbeiterbezirken -, lässt sich allerdings nach keiner gängigen politikwissenschaftlichen Definition oder nach den Regeln des internationalen Strafrechts als Bürgerkrieg bezeichnen. Ein "Aufstand" von Teilen des Republikanischen Schutzbundes war es, von "inneren Unruhen" kann man sprechen, aber bestimmt nicht von Krieg.

Man vergleiche nur die sich über höchstens drei Tage hinziehenden Schießereien in Österreich 1934 mit dem Spanischen Bürgerkrieg, der von 1936 bis 1939 dauerte, das gesamte Land erfasste und Hunderttausende Menschenleben forderte.

Gedenktafel an den Februaraufstand beim Goethehof in Kaisermühlen, enthüllt 1984.
Gedenktafel an den Februaraufstand beim Goethehof in Kaisermühlen, enthüllt 1984.
Foto: © Kurt Bauer

Bemerkenswert ist, dass sich die schon unmittelbar nach dem Ende des Aufstandes aufgekommene Bezeichnung "Bürgerkrieg" auch in der Zweiten Republik hartnäckig hielt und von allen politischen Richtungen verwendet wurde und wird. Ihre Funktion war ursprünglich wohl die eines bequemen Legitimationsmusters der Großen Koalitionen aus ÖVP und SPÖ. Dass man einst in einem angeblichen Bürgerkrieg gegeneinander gekämpft hatte, musste nun als Begründung dafür herhalten, den Staat durch Jahrzehnte mit demokratiepolitisch bedenklichen 90-Prozent-Mehrheiten praktisch ohne Opposition zu regieren und unter sich aufzuteilen.

War es das Ziel der aufständischen Schutzbündler, zu den gewohnten verfassungsmäßigen Zuständen zurückzukehren? Es finden sich keinerlei Belege dafür, dass es ihre Absicht gewesen wäre, die parlamentarische Demokratie unter Einschluss bürgerlicher Parteien und mit ihrem normalen Spektrum von rechts bis links wieder in Kraft zu setzen.

Beschädigter Karl-Marx-Hof
Beschädigter Karl-Marx-Hof (01.02.1934)
Foto: © IMAGNO/Austrian Archives (S)

Nach 1945 wurde die Formel "Sie starben für Freiheit und Demokratie" bei Gedenkveranstaltungen regelmäßig im Mund geführt und auf Gedenktafeln und Denkmäler gemeißelt. Dabei handelt es sich eindeutig um Projektionen aus einer Zeit, als die Demokratie westlichen Zuschnitts bei uns wieder in Mode gekommen war.

1933/34 hatte es ganz anders geklungen. Der oberösterreichische Schutzbundführer Richard Bernaschek, Zentralfigur und Auslöser des Aufstandes, schrieb in einem Thesenpapier, dass das sozialdemokratische Programm nicht Wiederherstellung der parlamentarischen Demokratie lauten könne. Vielmehr müsse nach einer siegreichen sozialen Revolution der Parlamentarismus durch die "Diktatur des Proletariats" ersetzt werden. Ein weiteres Beispiel: Die linke Sozialdemokratin Käthe Leichter proklamierte zur selben Zeit im "Kampf", dem theoretischen Hauptorgan des Austromarxismus, dass die Arbeiterschaft nach dem Sieg über den Faschismus die errungene Macht "mit diktatorischen Mitteln" behaupten müsse.

Rechte Sozialdemokraten versuchten hingegen, dem Dollfuß-Regime so weit als möglich entgegenzukommen. Karl Renner entwarf ein "Staatsnotgesetz", das Dollfuß weitgehende Vollmachten für einen Notverordnungskurs eingeräumt hätte. Der stets zaudernde Parteiführer Otto Bauer ging sogar so weit, sich ständestaatlichen Ideen anzunähern, um zu einem Übereinkommen mit Dollfuß zu finden. Vergeblich. Dafür proklamierte er in einer atemberaubenden Wendung sofort nach Ende der Kämpfe vom tschechoslowakischen Exil aus eine "revolutionäre Diktatur" anstelle der "Wiederherstellung der bürgerlichen Diktatur von gestern".

Organisierter Selbstmord#

Gut, das war eben der unselige Geist der Zeit. Parlament und Demokratie standen 1934 weder bei Christlichsozialen noch bei Sozialdemokraten hoch im Kurs. Dass man in den ersten Jahren und Jahrzehnten der Zweiten Republik im geschichtspolitischen Hickhack zwischen Februar- und Dollfuß-Mythos versuchte, die damaligen Auswüchse schönzureden, ist verständlich. Aber 85 Jahre nach den Ereignissen wäre es hoch an der Zeit, sich von der naiven Vorstellung zu lösen, die aufständischen Schutzbündler hätten 1934 für Demokratie in unserem heutigen Sinne gekämpft.

Koloman Wallisch, Nationalratsabgeordneter und steirischer SDAP-Landesgeschäftsführer, war der einzige sozialdemokratische Politiker von Rang, der sich vorbehaltlos und bis zum bitteren Ende auf die Seite der kämpfenden Schutzbündler stellte. Als seine Frau Paula ihn nach den Aussichten für den Kampf fragte, antwortete er: "Ich bin überzeugt davon, dass es ein organisierter Selbstmord ist, jetzt, da die Regierung bereits so überaus stark mit Militär und Waffen und Munition ausgerüstet ist." Nach dem Zusammenbruch werde er wohl auch selbst zu den Opfern gehören, aber ein rasches Ende sei ihm lieber als dieses aufreibende Dasein.

Das Buch des 1961 geborenen und in Wien lebenden Zeithistorikers und Autors Kurt Bauer , 'Der Februaraufstand 1934. Fakten und Mythen' (Böhlau Verlag, Wien 2019, 217 Seiten)
Das Buch des 1961 geborenen und in Wien lebenden Zeithistorikers und Autors Kurt Bauer, "Der Februaraufstand 1934. Fakten und Mythen" (Böhlau Verlag, Wien 2019, 217 Seiten)

Paula Wallisch überliefert diese Episode in ihrem hagiographisch angehauchten Buch "Ein Held stirbt". Die Geschichte hört sich trotzdem glaubwürdig an, denn so gut wie alle Führer der Partei und des Schutzbundes sahen es genauso. Im Unterschied zu Wallisch tauchten sie allerdings sofort bei Ausbruch der Kämpfe unter oder ließen sich verhaften. Die meisten der "einfachen" Schutzbündler nahmen eine ähnliche Haltung ein. Exemplarisch ist ein Ausspruch Georg Strechas, der zu den Verteidigern des Goethehofs in Wien-Kaisermühlen gehörte:

"Das ist eh klar, der ganze Einsatz da ist jetzt für nichts, außer für das, dass sie nicht sagen können, wir haben kapituliert, ehrlos kapituliert. Aber herausschauen wird nichts. Die Auseinandersetzung beginnt nach Erledigung dieser bewaffneten Auseinandersetzung heute."

Verzweifelter Aufstand#

Nach Schätzungen eines gut informierten Augenzeugen der Vorgänge folgte in Wien ungefähr ein Drittel aller Schutzbündler den Alarmbefehlen und schloss sich dem Aufstand an. Aber auch von diesen zeigten die wenigsten ein Interesse daran, einen sinnlosen Tod in einem aussichtslosen Kampf zu sterben. So erklärt sich die erstaunlich defensive Haltung in einer Auseinandersetzung, in der nur mutiges und blitzartiges Losschlagen und Zupacken zum Erfolg geführt hätten. Stattdessen machten sich die meisten Aufständischen vernünftigerweise rechtzeitig vom Kampfplatz, als die Überlegenheit des Gegners offensichtlich wurde.

Wozu also das Ganze? Wofür all die Toten? Kann die "Ehre" der Arbeiterbewegung tatsächlich eine hinreichende Begründung dafür sein? In Wahrheit hatte die Sozialdemokratie diesen Kampf schon lange vor jenem kalten Februar 1934 verloren - nicht zuletzt durch schwere eigene Versäumnisse und Fehler. Mag sein, dass die gnadenlos in die Enge getriebene österreichische Sozialdemokratie sich und der Welt durch den verzweifelten Aufstand, in den man hineinstolperte, etwas beweisen wollte und vielleicht sogar bewiesen hatte. Aber es bleibt ein grundlegendes moralisches Dilemma: War dieser von Anfang an aussichtlose, rein symbolische Akt der Selbstbehauptung tatsächlich das Leben von Hunderten Menschen wert?

Wiener Zeitung, 9. Februar 2019


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