Die Gestalt des Jägers über die Zeiten hinweg#
Die typische Gestalt des Jägers ist die, welche über die Kreatur obsiegt hat. Hier gleichen sich die Darstellungen über Jahrtausende hinweg. Dr. Harald W. Vetter hat die jagdkulturellen Epochen bis zur Gegenwart beleuchtet.#
Von Der Anblick (2/2017) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
Von
Dr. Harald W. Vetter, Fotos: S. Erker, KK, Jagdzeit. Österreichs Jagdgeschichte. Eine Pirsch.
Mit „Typus“ meint man seit der abendländischen Antike Gestalt oder Gepräge, also das konstant Kennzeichnende einer Person oder Sache. Vor allem Literatur- und Kunstgeschichte, aber auch die Anthropologie beschäftigen sich mit auffällig ähnlichen oder gleichen Elementen von Erscheinungen, die sich konsequent durch die ganze Menschheitsgeschichte ziehen, soweit sie uns wissenschaftlich erschlossen ist. Bereits in der Prähistorie tritt die Gestalt des Jägers mit aller Macht und Prägnanz in zahllosen Höhlenmalereien und Felszeichnungen hervor, wobei diese sich jedoch nicht nur auf unseren Kontinent erstrecken. Schon vor ca. 35.000 Jahren oder mehr (die wissenschaftlichen Meinungen gehen hier immer noch ziemlich auseinander) schuf der Mensch des Jungpaläolithikums also Höhlenzeichnungen und Felsritzungen, die oft in ungemein plastischer Form Mammut, Bison, Hirsch, Elch, Bär, Wildpferde und Sauen darstellen. Allerdings ist die Figur des Jägers hier entweder einem fantastischen, wohl kultischen Mischwesen geschuldet oder nur sehr schematisch, gleichsam nebenher als fast wieder modernes und abstraktes „Strichmännchen“ dargestellt. Der gewaltige Anlauf des Wildes überwiegt jedenfalls bei Weitem noch die ganz anonyme Präsenz der Jagenden, die naturgemäß noch ein weidwerkendes Kollektiv bilden. Die Farben wurden aus Holzkohle, Eisenbzw. Manganoxid und Ockererde gewonnen. Sicher wurden auch Blut, Milch und diverse Pflanzenextrakte beigemischt. Es ist wohl schwer vorstellbar, dass sich hier einige steinzeitliche Künstler nur des Zeitvertreibs wegen verewigt haben. Schamanistischer Kult und Magie werden wahrscheinlich die wahren Gründe dafür gewesen sein.
Ebensolches spielt sich in der nordeuropäischen Frühzeit ab. Germanen und Kelten begnügten sich lediglich mit Ritzungen und Gravuren auf verschiedenen Werkstoffen wie Stein, Kupfer, Bronze und Eisen. Eine individuelle Gestaltung des Jägers kommt nicht vor. Auch in den Kulturen Mesopotamiens, Ägyptens, der Griechen und der Römer ist dies fast ähnlich bestellt. Wir finden zwar auf Mosaiken, Wandmalereien und Reliefs bzw. als Skulpturen jagdliche Darstellungen in Fülle, jedoch zeigen sich der Jäger und die Jägerin tatsächlich – mit wenigen, doch umso bemerkenswerteren Ausnahmen aus der Spätantike – zumeist noch ziemlich „entpersonalisiert“ oder als zwar höchst beeindruckende, jedoch gleichsam überindividuelle Gottheiten. Zahllose vor allem figurale Darstellungen der Jagdgöttinnen Artemis und Diana stehen dafür. Auch im Mittelalter änderte sich da nicht wirklich besonders viel.
Nun wollen wir aber einen gewaltigen Sprung über die gleichsam geschichtlichen Reviergrenzen hinweg wagen. Erst in der Renaissance, also zwischen dem 15. und 16. Jahrhundert, rüsten vor allem die italienischen Künstler Antlitz und Gestalt des Weidmanns mit realen, typischen Zügen aus. „Wiedergeboren“ aus der Antike versuchen die Maler und Bildhauer gleichzeitig sowohl dem Idealismus als auch dem Naturalismus ihren Tribut zu zollen. Das Weidwerken wurde erst jetzt zu einem je eigenen Tun, also als ein ganz persönliches Abenteuer gestaltet, das Habitus und insbesondere das Antlitz des adeligen Jägers formt. Noch vielmehr ist dies im Barock der Fall. Mit allem Prunk und herrschaftlichen Gesten präsentieren sich die Potentaten in den von Bildhauern, Malern und Grafikern geschaffenen Werken. Die Jagd steht hier zumeist gleichermaßen für Machtanspruch und vergnüglichen Zeitvertreib. Man hat hier den Eindruck, dass der so gefeierte Herrscher auch jegliche Macht über die Natur hätte, ja diese ihm gleichsam ebenso geradezu untertan wäre. Und es sind dies nicht nur seine Jagdknechte und leibeigenen Treiber oder seine Hundemeute, sondern naturgemäß jegliches jagdbares Wild – ob „wehrhaft“ oder nicht –, das vor ihm „hinsinkt“. Jean-Jacques Rousseau (1712 – 1787), der bedeutendste französischschweizerische Aufklärer, trieb in allen seinen Schriften die Individualisierung des Menschentums samt einem völlig neuen Naturverständnis vehement voran und nur wenig später hatte die Französische Revolution wenigstens einmal die Standesschranken eingerissen. Gut 50 Jahre danach war das Weidwerk zumindest von Gesetzes wegen „demokratisiert“, jedoch dadurch kaum marginalisiert. Die Jagd blieb immerhin noch lange Zeit wesentlich mit dem Adel konnotiert und wurde von diesem vor allem, was „Weidgerechtigkeit“ und Brauchtum betrifft, weiterhin eifrig fortgeschrieben. Man machte sich in allerhand Jagdzeitschriften spöttisch über Bauern- und Sonntagsjäger lustig, die die herkömmlichen Verhaltensweisen, Traditionen und Fertigkeiten gar nicht wirklich begriffen, geschweige denn verinnerlichen könnten. Im 19. Jahrhundert und darüber hinaus war das „Kräftedreieck“ Jäger, Tier und Gesellschaft allenfalls erst erahnbar, die Jagdmaler waren immer noch eifrig dabei, den „Jagdherrn“ – jetzt freilich mit sehr viel individualistischeren Zügen – entsprechend darzustellen. Die Angehörigen des bayrischen oder österreichischen Hochadels taten es einander gleich, ja wollten sich mit eindrucksvollen, wirklichkeitsnahen Ölgemälden gar noch übertreffen. Doch alle Überhebung war schließlich vergeblich, denn seit Mitte des 19. Jahrhunderts begann die Fotografie, hier ein realistischeres Handwerk zu führen. Freilich, lange genug standen die Jäger auch da noch in ziemlich stolzer Pose: oft in fast unglaubwürdig feiner Kleidung, triumphierend neben der Beute oder sich auf die Büchse lehnend. Auch diese Dokumente des Wirklichen haben durchaus immer noch etwas fast Theatralisches. Und wenn wir uns ehrlich sind, die heutigen Erinnerungsfotos in Farbe, meistens rasch mit dem Handy geschossen, sind gar nicht sehr viel anders. Die typische Gestalt des Jägers ist die, welche über die Kreatur obsiegt hat. Hier gleichen sich die Darstellungen natürlich über Jahrtausende hinweg. Nur dass in unserer Gegenwart mehr Stolz, Freude und hoffentlich Dankbarkeit in den Mienen der Abgebildeten zu sein scheinen. Denn wir haben es heute allmählich doch verstanden: Wir werden niemals die Natur gänzlich umgestalten können, sie gestaltet und prägt vielmehr uns.