Offener Brief an den Präfekten der Kongregation für die Glaubenslehre Kardinal Gerhard Ludwig Müller#
Von
Ida Raming
Aus: Gedanken zu Glaube und Zeit Nr. 170/2016
Sehr geehrter Herr Kardinal,
In Sorge um Fehlentwicklungen in der gegenwärtigen römisch-katholischen Kirche, die dem Geist Jesu Christi fundamental widersprechen, wende ich mich an Sie als Präfekten der Kongregation für die Glaubenslehre. Gestatten Sie bitte, dass ich mich zunächst kurz vorstelle:
Ich bin katholische Theologin und bin im Fach Theologie an der kath. - theologischen Fakultät der Universität Münster i. J. 1970 promoviert worden. Ich bin ebenfalls aktive Zeitzeugin des 2. Vatikanischen Konzils (Eingabe an das Konzil i. J. 1963, gemeinsam mit Dr. Iris Müller, gest. 2011).
In meiner Dissertation (veröffentlicht: 1973; 2. Aufl. 2002; englische Übersetzung: 1976 u. 2. Aufl. 2004) befasste ich mich intensiv mit der Stellung und Wertung der Frau in der röm. - kath. Kirche, im besonderen mit den Gründen für ihren Ausschluss vom diakonalen und priesterlichen Dienst. Mein Lehrer (gest. 1988) war ein ausgewiesener Kenner der kirchlichen Rechtsgeschichte und des kirchlichen Rechts.
Seit meiner Promotion habe ich die innerkirchliche Entwicklung in diesem Themenbereich aufmerksam weiter verfolgt und zahlreiche Artikel und auch mehrere Bücher dazu veröffentlicht. Bei meinen Forschungen zu dieser Thematik gewann ich einen tiefen Einblick in die lange Geschichte der Frauendiskriminierung in der katholischen Tradition: Es waren nicht nur bestimmte Frauen diskriminierende Bibelstellen, auf die ich stieß, sondern auch Aussagen von Kirchenvätern und Kirchenlehrern (z.B. Augustinus, Thomas v. Aquin u.a.), bei denen die Auffassung herrscht, Frauen seien sowohl seinsmäßig/genetisch als auch moralisch minderwertig. Deshalb seien sie auf den Stand der Unterordnung (status subiectionis) verwiesen. Als Folge wurde auch die Gottesebenbildlichkeit der Frau in Frage gestellt oder z.T. völlig negiert und der Frau die Ordinationsfähigkeit zum Priesteramt abgesprochen (vgl. die Argumentation von Th. v. Aquin u.a. zum Status subiectionis und zur Ordination von Frauen).
Oben genannte Texte gingen als Rechtsquellen in das Corpus Iuris Canonici ein und bildeten die Basis für die angebliche Ordinationsunfähigkeit der Frau, wie sie im CIC/1917 c. 968 § 1 kirchenrechtlich bindend festgestellt wurde: „Die heilige Weihe empfängt gültig nur ein getaufter Mann“. Trotz fundierter Einwände und Resolutionen katholischer Frauenverbände und vorliegender wissenschaftlicher Untersuchungen wurde dieses Gesetz unverändert in den CIC/1983 c. 1024 übernommen.
Als Ergebnis stellt sich heraus: Der Ausschluss der Frauen von der Ordination (zum Priesteramt) basiert auf einer schweren, Jahrhunderte alten Diskriminierung der Frau, was aufgrund zahlreicher Quellenbelege eindeutig belegt werden kann. Diese Diskriminierungsgeschichte ist bis heute von der Kirchenleitung nicht kritisch aufgearbeitet worden und folglich auch nicht überwunden.
Zwar vermeiden es die jetzigen verantwortlichen Amtsträger der Kirche, den angeblichen Minderwert der Frau noch heute als Grund für ihren Ausschluss von der Ordination anzuführen – das verbietet ihnen die gegenwärtige Denkweise in demokratischen Staaten – aber hinter allen derzeitigen Begründungen, die vom Lehramt der Kirche für den Ausschluss der Frauen von der Ordination vorgebracht wurden und werden, verbirgt sich die bis heute nicht überwundene Diskriminierung der Frauen:
- So beruft sich das kirchliche Lehramt auf den angeblich „freien“ Willen Jesu Christi bei der Auswahl von ausschließlich 12 Männern für das Apostelamt (Ordinatio Sacerdotalis Nr. 2).
Hier ist evident: Eine kirchliche Lehre ohne Einbeziehung sozio-kultureller und geschichtlicher Entwicklungen kommt notwendigerweise zu Fehlschlüssen und Falschlehren!
Die Vertreter des kirchlichen Lehramts berufen sich bei dem fortdauernden Ausschluss der Frauen vom Priesteramt auf das „Vorbild Christi“ und auf „Gottes Plan für seine Kirche“ (OS Nr. 1). Sie scheuen sich also nicht, Gott selbst für den Ausschluss der Frauen verantwortlich zu machen. Auf diese Weise beleidigen sie in schamloser Weise die Gerechtigkeit und Heiligkeit Gottes und setzen der Freiheit Gottes patriarchale Schranken entgegen.
- Zur Begründung der Ordinationsunfähigkeit der Frau verweist das kirchliche Lehramt darüber hinaus auf das „andersartige Wesen, die „andersartige Rolle“ der Frau (z.B. nur ein Mann könne den „Bräutigam“ Jesus der „Braut-Kirche“ gegenüber repräsentieren (Inter insigniores Nr. 5 u. OS Nr. 2).
Wer aber definiert das Wesen und die 'Rolle der Frau'? Es sind die Amtsträger der Kirche, denen gegenüber sich die Frauen in einer untergeordneten Stellung befinden!
Dabei ist entlarvend, dass von kirchenamtlicher Seite regelmäßig betont wird, dass der Ausschluss der Frau von der Ordination keine Diskriminierung oder Benachteiligung der Frau beinhalte (z.B. OS Nr. 3).
Das sagen die herrschenden Amtsträger zur Beschwichtigung der Unterdrückten – zur Verschleierung des von ihnen verursachten Un-Rechts! Wahr dagegen ist: Nur die von diesem Un-Recht und Ausschluss Betroffenen – die Frauen – können ausdrücken, was sie als Diskriminierung empfinden, nicht aber die Herrschenden (= kirchliche Amtsträger)!
Entgegen den amtskirchlichen Verlautbarungen (die Kirche habe keine „Vollmacht“ von Jesus/Gott, Frauen zur Ordination zuzulassen, s. z.B. OS Nr. 4) betone ich: Die Kirche bzw. die leitenden kirchlichen Amtsträger haben durchaus die Vollmacht von Gott, Frauen zur sakramentalen Ordination, zu Diakonat und Priesteramt, zuzulassen. Sie können sich mit „Fug und Recht“ z.B. auf folgende Bibelstellen berufen:
- 1 Kor 12,11: Es ist Gottes heiliger Geist (heilige Geistkraft), die „jedem, jeder zuteilt, wie Sie/Er will...“ - d.h.: Gott lässt sich nicht vorschreiben, nur Männer zum priesterlichen Dienst zu berufen. Frauen stehen gegen diese dem freien Geist Christi widersprechende Handlungsweise der Amtskirche auf und geben öffentlich Zeugnis von ihrer priesterlichen Berufung, die aus Ehrfurcht und Gehorsam gegenüber Gottes heiliger Geistkraft nicht unterdrückt werden darf!
- Gal 3,26-28: „Ihr alle seid ja in Christus Jesus Söhne und Töchter Gottes durch den Glauben. Denn da ihr in Christus hineingetauft seid, habt ihr Christus angezogen. Da gilt nicht mehr Jude oder Grieche, nicht mehr Sklave und Freier, nicht mehr Mann oder Frau (nicht 'männlich und weiblich'); denn ihr alle seid einer in Christus Jesus...“
Diese Texte warten bis heute auf ihre Anerkennung und Verwirklichung! Es ist die Befangenheit der verantwortlichen Kirchenmänner im patriarchalischen Un-Geist, der ihre Realisierung verhindert – zum Schaden der Kirche. Ihr angemaßtes Herrentum, das dem Geist des dienenden Jesus total widerstrebt, blockiert dringend nötige Reformen im Hinblick auf die Stellung der Frau in der Kirche – also eine Erneuerung der Kirche im Geist Jesu Christi.
Meine Hoffnung und mein Glaube ist dennoch: Gottes lebendiger heiliger Geist wird die Kirche – trotz widerstrebender Kirchenleitung - „in alle Wahrheit einführen“ (vgl. Joh 16,13), auch in bezug auf die Stellung und Wertung der Frau!
Im Glauben an diesen „Geist der Wahrheit“ grüße ich Sie,
Ida Raming
Dr. theol. Ida Raming legte dem Zweiten Vatikanischen Konzil eine Eingabe für die volle Gleichberechtigung der Frauen in Diakonat und Priesteramt vor. Sie schrieb mehrere Bücher zum Thema Stellung der Frau in der römisch-katholischen Kirche, insbesondere zur Frauenordination. Sie lebt zur Zeit in Stuttgart.
2002 wurde Raming vom freikatholischen Bischof Rómolo Antonio Braschi mit weiteren Theologinnen zur Priesterin geweiht und deswegen exkommuniziert. Inzwischen ist die Internationale Priesterinnenbewegung (RCWP/ARCWP) auf mehr als 200 Mitglieder angewachsen.
Der Eingang des hier wiedergegebenen Briefes vom Juli 2015 wurde zwar bestätigt, er wurde aber (bisher) nicht beantwortet.