Frauen im öffentlichen Leben - Realitäten, Klischees und Utopien#
Ein Beitrag aus dem Buch: 14 Ereignisse, die die Welt verändert haben - 1814 - 1914 - 2014. Hg.: Hannes Androsch Manfred Matzka, Bernhard Ecker. (Montag, 22. September 2014)
Von
Trautl Brandstaller
Bertha von Suttner - die Utopie vom Frieden#
Eine Woche, bevor mit den Todesschüssen in Sarajewo der „Große Krieg“ seinen Anfang nahm, am 21. Juni 1914, starb Bertha von Suttner. „Die Waffen nieder, sagt es allen!“ soll sie noch kurz vor ihrem Tod gemurmelt haben. Die Warnungen der österreichischen Friedenskämpferin, die im Jahr 1905 als erste Frau den Friedensnobelpreis erhalten hatte, blieben ungehört. Sie hatte ihren jahrzehntelangen Kampf gegen den Krieg verloren, und diese ihre Niederlage seit Beginn des 20. Jahrhunderts auch vorausgesehen.
„Diese ganze Kriegspartei Europas treibt jetzt ordentlich zu einer Katastrophe, und vielleicht kann diese niedrige Zivilisation nicht anders einer höheren Platz machen, als indem sie weggefegt wird. So viel Zündstoff lässt sich doch nicht ansammeln, ohne dass es schließlich losgeht….Narrenturm, elendiger“ (Hamann 1986, S. 474), schrieb sie in ihren Memoiren.
Die österreichische Aristokratin, eine in Prag geborene Gräfin Kinsky, war mit ihrem Engagement für den Frieden weltweit zu einer Zentralfigur der Friedensbewegung geworden.
Ihr Roman „Die Waffen nieder“, die fiktive Autobiographie einer Kriegswitwe, war 1889 in Leipzig erschienen, wurde in alle europäischen Sprachen übersetzt und erreichte mehr als 20 Auflagen. Die Autorin hatte den Zeitgeist getroffen – Ende der Achtziger Jahre formierte sich eine europaweite Friedensbewegung - und avancierte mit diesem literarisch oft kritisierten Buch zur „berühmtesten Frau Europas“. Sie war, was man heute eine begnadete Netzwerkerin nennen würde, schrieb Briefe an die damalige literarische und politische Prominenz - von Leo Tolstoi bis Emile Zola, vom amerikanischen Präsidenten Theodore Roosevelt bis zum russischen Zaren Nikolaus II. An Selbstbewusstsein fehlte es ihr nicht, doch auch nicht an unerschöpflicher Energie und Einfallsreichtum. Sie schaffte es, mit ihren Romanen, Novellen und Zeitungsartikeln die internationale Friedensbewegung zum breit diskutierten öffentlichen Thema zu machen und Friedensvereine in ganz Europa zu gründen. Ihr großes Vorbild waren die USA, wo die ersten Friedensvereine schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts gegründet worden waren; und sie hatte durchaus realistische Ziele: die Einführung internationaler Schiedsgerichte zur Schlichtung von Konflikten, ein Abkommen zur Abrüstung in Europa und , ihrer Zeit weit voraus, schlug sie auch schon eine „Föderation europäischer Staaten“ vor.1891 gründet sie in Wien eine Österreichische Friedensgesellschaft und will diese auch nach Budapest und Prag ausweiten, womit sie vor allem in Prag kläglich scheitert.
Ihr international bereits beträchtlicher Ruhm steht in diametralem Gegensatz zu ihrem Ansehen in Österreich-Ungarn, wo man die „Friedensbertha“ in Karikatur und Satire der Lächerlichkeit preisgibt. Nicht nur ihr Engagement für den Frieden schafft ihr Feinde, auch ihr Kampf gegen den ansteigenden Antisemitismus, der unter dem Einfluss der Deutsch-Nationalen unter Georg von Schönerer und der Christlich-Sozialen unter Karl Lueger immer mehr an Boden gewinnt.1882 hatte in Dresden ein „Internationaler antijüdischer Kongress“ einen Einwanderungsstopp für Juden aus Osteuropa verlangt. Bertha von Suttner erkannte den Zusammenhang zwischen innerem und äußerem Frieden und gründete einen „Verein zur Abwehr des Antisemitismus“: „Die Antisemiten bekämpfe ich ebenso wie den Krieg - sie repräsentieren ja denselben Geist“ (Hamann 1986, S.212). Nur logisch, dass daraufhin die Friedensvereine als „Judenvereine“ diffamiert wurden, und deren Promotorin von der „Friedensbertha“ zur „Judenbertha“ mutierte.
Im Wien der Jahrhundertwende, diesem vielzitierten „Labor der Moderne“, war den Frauen zwar wie überall, der direkte Zugang zur Politik verschlossen, dennoch spielten sie im gesellschaftlichen Leben der Hauptstadt eine wichtige Rolle. So führte Bertha Zuckerkandl, die Tochter des liberalen „Neuen Wiener Tagblatt“-Herausgebers Moritz Szeps (Freund von Kronprinz Rudolf, der seine politischen Ansichten anonym im „Tagblatt“ publiziert haben soll) und selbst Journalistin, einen Salon, in dem die kulturelle Elite der Monarchie – von Arthur Schnitzler und Gustav Mahler über Otto Wagner, Josef Hoffmann und Gustav Klimt bis zu Sigmund Freud -verkehrte. In diesem Salon lernte Gustav Mahler auch Alma Schindler kennen, das damals angeblich „schönste Mädchen von Wien“. Auch Alma Mahler, bekannt für die Sammlung „berühmter Männer“ und berüchtigt für ihre antisemitischen Auslassungen, führte später, in den Zwanziger und Dreißiger Jahren des 20.Jahrhunderts, einen Salon. Beide „Salonieres“ verließen 1938 Österreich.
Bertha von Suttner setzte in den späten Neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts. ihre Hoffnungen auf die Sozialdemokratie und die internationale Arbeiterbewegung. Immerhin hatte Liebknecht eine ihrer Erzählungen im Parteiorgan der deutschen Sozialdemokratie, im „Vorwärts“, abgedruckt und der österreichische Sozialist Engelbert Pernerstorfer öffentlich ihre Verdienste gerühmt.
Doch die Beziehungen Bertha von Suttners zur Sozialdemokratie bleiben zeit ihres Lebens distanziert. Während die Sozialdemokratie den Frieden nur in einer völlig neuen, demokratischen Gesellschaft gesichert sieht, glaubt Bertha von Suttner an den bürgerlichen Fortschritt in der bestehenden Gesellschaft, unbeeindruckt von den wirtschaftlichen und sozialen Umwälzungen bleibt sie eine liberale Individualistin, der ihre Herkunft den Zugang zur Arbeiterschaft versperrt. Sie hoffte mehr auf die Veränderung der Mächtigen als auf den Sturz des Kapitalismus.
Ihre Beziehungen zur Frauenbewegung entwickeln sich positiver als die zur Arbeiterbewegung, sie sieht in der amerikanischen Frauenbewegung mit ihrem Kampf für Ausbildung, für Scheidung, gegen bürgerliche Doppelmoral ein Vorbild, wehrt sich aber gegen die ideologische Ausrichtung vieler Frauenrechtlerinnen in Europa, deren Kampf für das Wahlrecht sie ebenso ablehnt wie deren Kampf gegen Prostitution und Geschlechtskrankheiten. Auch in der Frauenfrage bleibt sie eine liberale Individualistin.
Immer schon an Kontakten mit den “Very Important People“ interessiert, schickte sie ihren Roman auch an den damals schon berühmten Alfred Nobel, der mit der Erfindung des Dynamits für einen gewaltigen Aufschwung der Rüstungsindustrie gesorgt und nebenbei ein gewaltiges Vermögen angehäuft hatte. Nobel sah sich als Vorkämpfer für den Frieden, denn durch seine neue Erfindung werde, so meinte er, der Krieg unmöglich, die Abschreckung sei das beste Mittel, den Krieg zu verhindern. Trotz fundamentaler Unterschiede in ihren friedenspolitischen Bemühungen wird der Schwede Alfred Nobel einer der großzügigsten Förderer von Bertha von Suttner. Sie ist es auch, die ihm vorschlägt, für Aktivisten der Internationalen Friedensbewegung einen Preis auszusetzen. Nach dem Tod Alfred Nobels 1896, der in seinem Testament fünf Preise, davon einen für Verdienste um den Frieden gestiftet hatte, machte sich Bertha von Suttner 1901, dem ersten Jahr der Verleihung, natürlich größte Hoffnungen, den ersten Friedensnobelpreis zu erhalten, musste aber bis zum Jahr 1905 warten, bis es so weit war.
Das Jahr 1905, das Jahr ihres persönlichen Triumphes, wird zum Jahr der beginnenden Katastrophe in Europa. In Russland lässt der von ihr so verehrte Zar demonstrierende Arbeiter und Bauern zusammenschießen, der ebenfalls von ihr bewunderte Theodore Roosevelt rüstet die USA massiv auf, in Europa entwickelt sich der Balkan zum gefährlichsten Unruheherd des Kontinents, zu jenem Funken im Pulverfass, der das lange 19. Jahrhundert definitiv beendet.
Aufbruch der Frauen im „langen 19. Jahrhundert“ #
Dieses „lange 19. Jahrhundert, das von 1789 bis 1914 dauert“ (wie Eric Hobsbawm formuliert hat), brachte einen ersten Aufbruch der Frauen – sowohl was ihre „private“, als auch was ihre „politische Rolle“ betraf, das Verhältnis zwischen Männern und Frauen und die Position der Frauen im öffentlichen Leben.
In den aristokratischen Salons am Vorabend der Revolution, etwa dem des Marquis de Condorcet, wurde erstmals die Zulassung der Frauen zu den Bürgerrechten gefordert, denn es sei „ein Akt der Tyrannei, die Hälfte des Menschengeschlechts von den Bürger- und Menschenrechten auszuschließen“ (Gerhard 2009, S.14). Und in manchen intellektuellen Clubs wird auch schon eine Frauensektion gegründet.
Doch wer die Schriften der großen Aufklärer liest, kann sich über Langlebigkeit und Kontinuität von Argumenten und Gegenargumenten nur amüsieren. Seit mehr als 200 Jahren gilt die Physiologie der Frau als d a s Hindernis für reale Gleichheit (wen wundert es da, wenn neuere Entwicklungen des Feminismus der Biologie radikal den Kampf ansagen und vom „Unbehagen der Geschlechter“ künden). Jean Jacques Rousseau war einer der ersten im aufklärerischen Diskurs (die katholische Theologie lassen wir in diesem Kontext außen vor), der „die Natur der Frau“ zum Hindernis für Gleichheit erklärte. Ihre Sexualität führe zur Unterwerfung unter den Mann, und damit notwendigerweise zu Passivität und Unvollkommenheit.
Frauen kommen daher in Rousseaus Schriften, z.B. im „Gesellschaftsvertrag“, ebenso wenig vor wie in der „Erklärung der Menschenrechte“ (l´homme , der „Mensch“, ist bekanntlich ein Synonym für „Mann“). Als Teil einer Broschüre „Die Rechte der Frau“ verfasst Olympe de Gouge, eine „femme galante“, Autorin von Romanen und Theaterstücken, daher die „Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin“. Darin fordert sie einen Gesellschaftsvertrag zwischen Männern und Frauen, der beider Rechte und Pflichten enthält, spricht sich gegen jede Gewalt aus, auch gegen die Hinrichtung Ludwigs XVI. und für die Aufhebung der Sklaverei in den nordafrikanischen Kolonien. Sie agitiert in der Nationalversammlung von der Zuschauertribüne aus für ihre politischen Ziele – so viel Kampfeslust war den Jakobinern zuviel- 1793 fiel sie unter der Guillotine.
In England war es Mary Wollstonecraft, die die Rechte der Frau einforderte, nachdem Edmund Burke in seinen „Betrachtungen über die Französische Revolution“ die Menschenrechte verteidigt hatte; „Die Vernunft verlangt, dass die Rechte der Frauen geachtet werden und schreit um Gerechtigkeit für die Hälfte des Menschengeschlechts“(Gerhard 2009, S.22).
Diese beiden Dokumente bestimmen den feministischen Diskurs in Europa über mehr als zwei Jahrhunderte.
Die Zeit zwischen dem Wiener Kongress 1815 und der bürgerlichen Revolution in Europa 1848 ist die Zeit der Restauration der alten Ordnung. Die revolutionären Ideen werden in den Untergrund gedrängt, die alten Werte dominieren den öffentlichen Diskurs.
Das Metternich`sche System hält Demokratie und bürgerliche Freiheiten, Grundrechte und die Emanzipation der Frauen für Keime des gefährlichen Aufruhrs. Die strenge Zensur, das „Zopfensystem“( Johann Nestroy) unterdrückt alle Ansätze freiheitlicher Bestrebungen. Männerrechte wie Frauenrechte werden nicht länger diskutiert. In der Öffentlichkeit treten Frauen, wie schon im Ancien Regime, als Maitressen auf – oder als Schauspielerinnen, Tänzerinnen, Sängerinnen. Trotz alledem: die Salons des Biedermeier, die jetzt nicht nur die Aristokraten betreiben, sondern auch das neu entstehende Bürgertum, lassen die Ideen der Revolution weiterleben. Das Bürgertum wünscht Freiheit, die Gleichheit und die Brüderlichkeit geraten in den Hintergrund, die neue Bewegung nennt sich Liberalismus.
Salons in Berlin und Wien gelten als Brutstätten dieser neuen Ideen, dort treffen sich Wissenschaftler, Schriftsteller, Maler, Musiker, um eine neue Gesellschaft zu entwerfen. Und es sind vor allem Frauen, die diese Salons betreiben – Rahel Varnhagen in Berlin, Fanny von Arnstein in Wien sind nur die bekanntesten Namen.
Zur gleichen Zeit schafft die Industrialisierung, die in England ihren Ausgang genommen hatte, eine neue soziale Schicht, deren Armut und Verelendung in den bürgerlichen Salons ignoriert wird. Die großen wirtschaftlichen, und sozialen Umwälzungen, die die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts bestimmen werden, sind nur als Grollen im Untergrund zu erahnen. Doch die Explosion des Jahres 1848 geht von diesen neuen sozialen Schichten, den ausgebeuteten Arbeitern und Arbeiterinnen, dem Proletariat, und dem Kleinbürgertum in Handwerk und Gewerbe aus, das den sozialen Abstieg, die Proletarisierung fürchtet.
Das Selbstbewusstsein der Frauen hatte sich nach 1789 massiv weiterentwickelt. Nicht nur die bürgerlichen Frauen partizipierten am politischen Diskurs der damaligen Salonkultur.
Auch die frühen Sozialisten, vor allem in Frankreich, hielten das Thema der Frauenemanzipation am Kochen. 1832 redigierten drei Frauen, Arbeiterinnen aus dem Dunstkreis der Saint-Simonisten, die ihre Artikel nur mit Vornamen zeichneten, eine Zeitung mit dem Titel „La Femme Libre“: „In einer Zeit, da alle Völker sich im Namen der Freiheit auflehnen, und der Proletarier seine Freiheit fordert, sollten wir Frauen da etwa passiv bleiben…? Bis jetzt wurden wir Frauen ausgebeutet und tyrannisiert. Diese Tyrannei, diese Ausbeutung muss aufhören. Wir werden frei geboren wie der Mann. Und die Hälfte des Menschengeschlechts darf nicht ungerechterweise der anderen unterworfen sein.“(Gerhard 2009, S.30)
1837 taucht in der Debatte erstmals das Schlagwort „Feminismus“ auf, dessen Urheberrecht ein Mann, der Frühsozialist Charles Fourier, für sich beanspruchen kann. Er ist der erste, der den Fortschritt der Gesellschaft an den Fortschritt der weiblichen Emanzipation koppelt:
„Der Grad der weiblichen Emanzipation ist das natürliche Maß der allgemeinen Emanzipation“ (Gerhard 2009, S.30).
In diesen Jahren, um 1830 in Frankreich wird die Befreiung der Frauen mit der Befreiung des Proletariats verknüpft. 1843, also 5 Jahre vor Karl Marx, schreibt die Frühsozialistin Flora Tristan ihr Buch „Die Arbeiterunion“, in dem sie die Unterdrückung der Arbeiter und die der Frauen analysiert: „Der am meisten unterdrückte Mann kann ein anderes Wesen unterdrücken …seine eigene Frau. Die Frau ist die Proletarierin des eigenen Proletariats“ (Tristan 1988, S.35). Gleichzeitig macht sie sich Gedanken über das „Geheimnis des sozialen Glücks– unheimlich aktuelle Überlegungen, wenn man an die heutigen Bestrebungen denkt, neue Parameter für das Bruttonationalprodukt einzuführen. Einer der Maßstäbe für „soziales Glück“ sollte dabei „der Grad der weiblichen Emanzipation“ sein. Flora Tristan war in weiten Teilen ihres Denkens von Charles Fourier beeinflusst, nahm aber auch schon Gedanken von Karl Marx betreffend die internationale Organisation der Arbeiter vorweg.
Die Saint-Simonisten gehen allerdings einen Schritt weiter (ein Schritt, der erst 120 Jahre später von der neuen Frauenbewegung nachvollzogen wurde); ihre Theorie der Emanzipation predigt eine neue Moral, attackiert Monogamie und bürgerliche Ehe und fordert die sexuelle Befreiung der Frau.
Ganz ähnlich fordern die amerikanischen Frauen in der „Erklärung von Seneca Falls“ 1848 erstmals nicht Gleichheit, sondern das Recht auf Unabhängigkeit und Selbstbestimmung, und die Anerkennung der „anderen Lebensweise der Frauen“ – für gleiche Rechte wie die Männer, aber auch für gleichzeitige Anerkennung weiblicher Werte und Erfahrungen. Das Dilemma zwischen Gleichheit und Differenz wird uns bis in die Gegenwartsdiskussionen begleiten.
Die Revolution 1848, die über ganz Europa – von Paris bis Mailand, von Wien bis Berlin, von Budapest bis Lemberg hinwegfegt, bringt wie jede Revolution einen Aufschwung für die Frauenbewegung. Zwar sind es zunächst „liberale“ Männer, die die „bürgerlichen“ Freiheiten - Pressefreiheit, Vereins- und Versammlungsfreiheit –fordern, aber in allen Städten nehmen bürgerliche und proletarische Frauen an den Demonstrationen teil, sie unterstützen die Forderungen und hoffen auf ihre Gleichberechtigung in einer neuen republikanischen und demokratischen Gesellschaft.
Als im Dezember 1848 in der Frankfurter Paulskirche die Debatten um eine Verfassung für ein demokratisches Deutschland hohe Wellen schlagen, bleiben die Frauen allerdings nur Zuschauerinnen, offizielle Teilnahme und Rederechte sind ihnen untersagt.
In Frankreich schlagen Frauen die Schriftstellerin George Sand, die in Männerkleidung, Zigarren rauchend und umgeben von berühmten Männern wie Frederic Chopin und Alfred de Musset für Aufsehen in der Öffentlichkeit gesorgt hatte, als Mitglied der Nationalversammlung vor, was von den Männern abgelehnt wird. Die französische Feministin Jeanne Deroin empört sich: „Ihr wollt Männer der Zukunft sein. Die ihr nicht seht, dass die gesetzliche Ungleichheit zwischen Mann und Frau alle anderen sozialen Ungleichheiten hervorbringt!“(Gerhard 2009, S.44)
Louise Otto, sächsische Schriftstellerin aus bürgerlichem Haus, die für ihre Romane „Schloss und Fabrik“ die Lage der Arbeiterinnen studiert hat, gründet die erste deutsche „Frauenzeitung“ unter dem Motto „Dem Reich der Freiheit werb´ ich Bürgerinnen“ (Gerhard 2009, S.33) und wird damit zur Wortführerin der ersten Frauenbewegung in Deutschland. Die Zeitung polemisiert gegen die angebliche „weibliche Bestimmung“, gegen die „weibliche Natur“, die die Frauen auf die Rolle der Mutter, der Pflegerin, des Dekorums auf männlichen Festen reduziere- eine Rolle, die ihnen durch Erziehung antrainiert werde, und die nur durch Zugang zur Bildung geändert werden könne. Die „Frauenzeitung“ wird mit Ende der Revolution 1850 verboten.
1848 – Revolution, Restauration und Neubeginn #
Auf den Barrikaden hatten sie noch gemeinsam gekämpft, bürgerliche Frauen und Arbeiterinnen. Nach der Niederschlagung der Revolution und der Etablierung neoabsolutistischer Regime trennen sich ihre Wege.
Die bürgerlichen Frauen kämpfen um ihr Recht auf Bildung, und engagieren sich für karitative Ziele, wie die Versorgung alleinstehender Frauen und unehelicher Kinder. Die Frauenbewegung in Deutschland und Österreich bleibt auf kleine Gruppen beschränkt, die „Frauenfrage“ auf die Ökonomie reduziert. Die politische Gleichstellung wird unter Berufung auf die „Natur des Weibes“ abgelehnt.
Die Arbeiterinnen ordnen sich in die Reihen der neu entstehenden Arbeiterparteien ein und akzeptieren lange Zeit, dass die Frauenfrage nur ein „Nebenwiderspruch“, neben dem „Hauptwiderspruch“ zwischen Arbeit und Kapital sei, wobei der Lösung des „Hauptwiderspruchs“ selbstverständlich Vorrang gebühre. Zusätzlich schlägt ihnen vonseiten der Arbeiter mit fortschreitender Industrialisierung Misstrauen und Ablehnung entgegen. Die Frauen werden als Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt gesehen und von den Arbeitern daher immer häufiger auf ihre „natürlichen Pflichten“ als Frau und Mutter verwiesen, die dem Manne die „Gemütlichkeit des häuslichen Lebens“ zu verschaffen haben.
Dennoch beginnt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein neues Zeitalter für die Frauen, die Ideen der Revolution lassen sich nicht mehr gänzlich unterdrücken. Großbritannien, das Land, in dem die Industrialisierung am weitesten fortgeschritten ist, bringt auch die fortschrittlichste feministische Literatur hervor.
Harriet Taylor Mill, die Ehefrau von John Stuart Mill, dessen berühmter Essay „On Liberty“ Grundprinzipien des Liberalismus formuliert, veröffentlicht 1852 ihren Essay „Enfranchisement of Women“, der für Frauen das Wahlrecht und die völlige rechtliche Gleichstellung mit den Männern verlangt. Der Essay wird von Sigmund Freud ins Deutsche übersetzt, demselben Sigmund Freud, dessen Theorien über die „weibliche Natur“ (Stichwort „Penisneid“) den alten Theorien über die Minderwertigkeit der Frauen ein weiteres leidvolles Kapitel hinzufügen. Die deutsche Übersetzung erreicht breite Publizität in Europa.
Gemeinsam veröffentlicht das Ehepaar Mill 1869 „Die Hörigkeit der Frau“, die zur „wahren Bibel des Feminismus im 19. Jahrhundert“ (Gerhard 2009, S.31) wird.
John Stuart Mill hatte 1867 im britischen Unterhaus erstmals das Stimmrecht für Frauen gefordert und damit den Anstoß zur Suffragettenbewegung (benannt nach suffrage, engl-frz für Stimmrecht) gegeben. Zur führenden Figur der Bewegung entwickelte sich Emmeline Pankhurst aus Manchester, deren Eltern sich schon früh gegen die Sklaverei in den USA und für die Gleichberechtigung der Frauen engagiert hatten. Nach dem Tod ihres Mannes gründet sie 1903, gemeinsam mit ihrer Tochter und vier anderen Frauen, die Women’s Social and Political Union, deren Methoden sich im Lauf der Jahre zunehmend radikalisierten. Anfänglich organisierte sie nur Straßendemonstrationen, Hungerstreiks und Aufrufe zum Steuerboykott, später wurde sie wegen Brand-und Bombenanschlägen mehrfach verurteilt. Das Thema des Frauenwahlrechts rückte durch ihre Aktivitäten zwar ins Zentrum der politischen Debatten, die Suffragetten allerdings avancierten zum neuen Feindbild der bürgerlichen Presse – Karikaturen zeichnen das Bild der „Mannweiber“, Frauen, die ihrer „natürlichen Bestimmung“ entfliehen wollen.
1878 findet der erste Internationale Frauenkongress statt, der aber das Stimmrecht für Frauen nicht auf seine Tagesordnung setzt, um die „Politik der kleinen Schritte nicht zu gefährden“.
Dieser taktischen Vorsicht der bürgerlichen Frauen widersetzt sich die Arbeiterbewegung.
Sie nimmt sowohl das Wahlrecht für Frauen als auch die Abschaffung des Patriarchats in ihren Forderungskatalog auf. Die Frau, so August Bebel in seinem grundlegenden Werk ‚Die Frau und der Sozialismus’, leide doppelt: unter Klassenherrschaft und Patriarchat: „Es gibt keine Befreiung der Menschheit ohne die soziale Unabhängigkeit und Gleichstellung der Geschlechter“.(Bebel 1973, S.30).
In bewusster Abgrenzung zur bürgerlichen Frauenbewegung gründet Clara Zetkin 1891 die Zeitschrift „Die Gleichheit“, wo sie zwar die Notwendigkeit von Reformen anerkennt, aber eine Zusammenarbeit mit den bürgerlichen Frauen ablehnt: „Die Frau hat für ihre volle Emanzipation nur von der sozialistischen Partei etwas zu erwarten. Die Bewegung der bloßen `Frauenrechtlerinnen` kann in einzelnen Punkten gewisse Vortheile erzielen, sie kann jedoch nie und nimmer die Frauenfrage lösen“ (Zetkin 1889, S.40).
Immer mehr ins Zentrum der „Frauenfrage“ rückt die anwachsende Prostitution, die in den Großstädten zu einem Massenphänomen geworden ist. Von vielen Frauenvereinen wird das Verbot der Prostitution gefordert; und grundsätzlich die Frage der Doppelmoral in der bürgerlichen Gesellschaft aufgeworfen. Ein heftiger Richtungsstreit zwischen den Anhängern der Ehe und denen der „freien Liebe“ trennt rechte und linke Flügel der Frauenbewegung um die Jahrhundertwende. Gleichzeitig kündigt sich auch in Europa jene Debatte an, die bis heute die Gemüter bewegt- die Frage von Gleichheit und Differenz; so heißt es in einem Dokument der Weltfrauenkonferenz in Berlin 1904: „Nicht um dem Manne gleich zu werden, sondern um mehr und ganz sie selbst sein zu können, fordert die Frau das Recht der freien Selbstbestimmung auch für sich…“ (Gerhard 2009, S.77)
Das „kurze 20. Jahrhundert“ - Rückschläge und neue Frauenbewegung#
Der Erste Weltkrieg, dieser Beginn des „kurzen 20. Jahrhunderts 1914 – 1989“ (Eric Hobsbawm) zerstört alle Ansätze weiblicher Solidarität, die meisten Frauenorganisationen reihen sich in die nationalen Kampffronten ein, Clara Zetkin hält im Widerspruch zu ihrer Partei, den Sozialdemokraten, an der Forderung nach Frieden fest.
Frauen werden erstmals massiv als Arbeitskräfte in den traditionell den Männern vorbehaltenen Fabriken und Werkstätten herangezogen.
1918 erhalten die Frauen in Österreich und Deutschland das Wahlrecht, ihre Beteiligung an den ersten Wahlen ist enorm hoch , sie liegt in beiden Ländern bei 90 %, ihre Vertretung in den Parlamenten erreicht allerdings nicht einmal 10 Prozent. Und dieser Prozentsatz wird sich über 60 Jahre lang nicht wesentlich ändern.
Erste Wohlfahrtseinrichtungen, wie Mutterschutz und Unterstützung für Kriegswitwen werden für Frauen geschaffen, wie auch die ersten Ansätze des Sozialstaates, der nach dem Zweiten Weltkrieg ausgebaut wird. Neben dem Wahlrecht erhalten die Frauen auch gleichen Zugang zur Bildung – zu höheren und hohen Schulen, wobei deren Kosten die ärmeren sozialen Schichten de facto von der Bildung ausschließen.
Die Ungleichheit im Privatrecht, das gesetzlich fixierte Patriarchat bleibt allerdings aufrecht. In Österreich werden die Forderungen, die die sozialistische Abgeordnete Adelheid Popp erhebt - die Abschaffung des „Mannes als Haupt der Familie“ und die Abschaffung des Paragraph 144 (Strafdrohung für Abtreibung) erst 5o Jahre später realisiert.
In den Zwanziger Jahren, in Berlin, Paris, Wien und anderen Großstädten macht ein neues, emanzipiertes Frauenbild Furore– die Frauen werfen ihre Korsette und langen Kleider ab, mit Bubikopf, Charlestonkleidchen und ersten Hosenanzügen signalisieren sie ihre neuen, nicht nur modischen, sondern auch sexuellen Freiheiten, - bis in den Dreißiger Jahren der Faschismus das kurze Intermezzo der Freiheit beendet.
Der Nationalsozialismus in Deutschland und die Faschismen in anderen europäischen Staaten gehen zum offenen Angriff auf alle Formen der Frauenbewegung über. Die Forderungen nach Emanzipation und Gleichstellung werden dem „Kulturbolschewismus“ zugerechnet. Antisemitismus und Antifeminismus gehen Hand in Hand. Nicht zu leugnen ist die große Zahl der Mitläuferinnen und auch fanatischen Anhängerinnen des NS-Regimes, ebenso wenig aber lässt sich der hohe Anteil von Frauen am Widerstand leugnen.
Die geistigen Nachwirkungen von Nationalsozialismus, Faschismen und Zweitem Weltkrieg bestimmen das kulturelle Klima der Nachkriegszeit. Der Ost-West-Konflikt überlagert alle politischen und gesellschaftlichen Debatten. Die alte Ordnung soll wiederhergestellt werden. Diese restaurativen Vorstellungen treffen in besonderem Maße die Frauen.
So heißt es in einem ersten Frauenbericht in Deutschland 1966: „Die Frau ist nach körperlicher und geistig-seelischer Beschaffenheit auf Mutterschaft angelegt“ (Gerhard 2009, S.109) und die schwedische Nobelpreisträgerin Alva Myrdal entwickelt mit Viola Klein gemeinsam das „Dreiphasenmodell“ – Ausbildung, Ehe und Kindererziehung, danach Berufstätigkeit.
Die Gegenstimmen, die an der alten Idee der Emanzipation festhalten, bleiben in den ersten Nachkriegsjahren in der Minderheit, Simone de Beauvoir schreibt 1949 ihr Standardwerk „Das andere Geschlecht“, das erst in der Folge der Studentenbewegung 1968 breite Wirkung auslöst. Und in den USA kritisiert die Feministin Betty Friedan in ihrem 1963 erschienenen Buch „Der Weiblichkeitswahn“ die Rückkehr des „Hausmütterchens“ in Werbung, Film und Fernsehen.
Die nächste Generation schlägt radikalere Töne an: Kate Millett veröffentlicht 1968 ihre Streitschrift gegen „die Tyrannei des Mannes in unserer Gesellschaft“, so der Untertitel von „Sexus und Herrschaft“, einer wissenschaftlichen Analyse der vielfältigen Formen männlicher Ausbeutung der Frauen. Und ein Jahr später sekundiert ihr Germaine Greer mit ihrem „Aufruf zur Befreiung der Frau“, wie sie ihr Buch „Der weibliche Eunuch“ nennt. Jugendwahn und Schönheitsindustrie vorwegnehmend, schreibt sie: „Es kotzt mich an, ewige Jugend vorzuheucheln, es kotzt mich an, meine Intelligenz Lügen zu strafen, meinen eigenen Willen, mein Geschlecht. Ich weigere mich, Darsteller einer Frauenrolle zu sein, ich bin eine Frau, kein Kastrat.“ (Greer 1970, S.61)
Die neue Frauenbewegung der Siebziger Jahre#
In Europa ist es wiederum Frankreich, das die revolutionäre Tradition der Frauenbewegung aufgreift. 1969 unterschreiben 143 prominente Frauen, darunter Simone de Beauvoir und zahlreiche Schauspielerinnen, in der linken Wochenzeitung „Le Nouvel Observateur“ ein Manifest gegen die Strafbarkeit der Abtreibung und bekennen „Ich habe abgetrieben“.
Die deutsche Illustrierte „Stern“ , deren Korrespondentin in Paris Alice Schwarzer heißt, führt eine parallele Aktion in Deutschland durch. Beide Aktionen schlagen hohe Wellen in der Öffentlichkeit, erste Gruppen einer „neuen Frauenbewegung“ werden gegründet, erweitern das Thema der Straffreiheit für Abtreibung zum Thema der Befreiung der Sexualität, zur neuen Beziehung zwischen den Geschlechtern, zur Revolution der Lebensweise. Thematisiert wird erstmals auch häusliche Gewalt, die ersten Frauenhäuser werden Ende der Siebziger Jahre eröffnet.
Die Frauenorganisationen, auch die der Parteien, die an den traditionellen Themen weitergewerkt hatten, wurden neu politisiert und errangen Einfluss in den Parteien. Langsam setzte sich die Erkenntnis durch, dass der „Hälfte der Menschheit“ das Recht auf politische Teilhabe auf allen politischen Ebenen zukomme.
Die neue Frauenbewegung kann durchaus auf beträchtliche Erfolge verweisen – der offenkundigste Erfolg ist die massiv verbesserte Ausbildung der Frauen, die Zahl der Maturantinnen und jüngst auch die Zahl der Akademikerinnen hat die der männlichen Absolventen übertroffen; damit in Zusammenhang steht der Zugang zu allen Berufen. Wobei die meisten Karrieren lange Jahre an der „gläsernen Decke“ endeten, allerdings beginnt auch diese Decke langsam zu bröckeln. Hartnäckig hält sich auch der Unterschied zwischen Männer- und Frauenlöhnen, worauf jüngst wieder ein OECD-Report hingewiesen hat. Und hartnäckig unterrepräsentiert sind die Frauen auch bis heute auf so gut wie allen politischen Ebenen. Erst zu Beginn des 21. Jahrhunderts zeichnen sich da bescheidene Verbesserungen ab.
Der langfristig vielleicht wirksamste Erfolg ist der Wandel der Männerrolle. Die Frauen erkannten Mitte der Achtziger Jahre, dass ein wirklicher Fortschritt nur durch eine Emanzipation auch der Männer möglich ist, und daher eine Debatte über das Selbstverständnis der Männer, über ihre Funktionen und Rollen in der Gesellschaft notwendig sei. Bei der älteren Generation der Männer kam diese Problematisierung der „Männlichkeit“ nicht besonders gut an, die jüngere Generation aber war zu dieser Diskussion und auch zu einer Veränderung von Selbstverständnis und sozialem Verhalten durchaus bereit. Indikator für diese Bereitschaft: der neue Umgang junger Väter mit ihren Kindern.
Im Hochgefühl der neuen Frauenbewegung entstanden auch Thesen wie die von der Überlegenheit der „weiblichen Werte“. In einem Interview der Autorin mit der Ikone der Neuen Frauenbewegung, Simone de Beauvoir, meinte diese: “Ich glaube nicht an eine Überlegenheit der weiblichen Werte. Es muss einen Austausch der Werte geben, die durch und in der Unterdrückung erworben werden, und den Werten der Unterdrücker….z.B. müssen die weibliche Geduld und der weibliche Sinn für Humor erhalten bleiben, aber gleichzeitig müssen die Frauen von den Männern deren Möglichkeit zu Aggressivität und Initiative übernehmen. Erst diese Einheit, dieses Ensemble von Werten wird die neue Menschheit ausmachen, wenn es je eine neue Menschheit geben sollte.“ (Brandstaller 2007, S.66)
21. Jahrhundert – Globalisierung #
Das Ende des 20. Jahrhunderts, das nicht nur Hobsbawm mit dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums und dem Ende des Kommunismus ansetzt, sieht die Frauen neuerlich an den Rand der Gesellschaft gedrängt – aus verschiedenen Gründen: Zum einen gibt es einen massiven ideologischen Backlash. Die amerikanische Soziologin Susan Faludi analysiert in ihrem Buch „Die Männer schlagen zurück“ die Mechanismen, wie der neue, entfesselte Kapitalismus die Frauen an die Kandare nimmt. Begleitet wird dieser Backlash von intensiven Medienkampagnen, wie sie die amerikanische TV-Industrie souverän beherrscht. Serien wie „Sex and the City“ und „Desperate Housewives“ signalisieren das neue Frauenverständnis. Die Tussi ist zurück, schrieb eine österreichische Journalistin; auch die aktuelle Mode wäre einmal einer gründlicheren Analyse zu unterziehen. Die gleichzeitige Forcierung der ewig jugendlichen, magersüchtigen Kindfrau, die durch Botox- Spritzen und Schönheitsoperationen erzeugt wird, lässt tief ins Unterbewusstsein der westlichen Gesellschaften blicken.
Gleichzeitig schlägt die westliche Frauenbewegung einen neuen Kurs ein, 1990 veröffentlicht die amerikanische Philosophin Judith Butler ihr vieldiskutiertes Buch „Gender Trouble“, zu deutsch „Das Unbehagen der Geschlechter“, in dem sie die These aufstellt, daß nicht nur die kulturelle Prägung der Frau, sondern auch das biologische Geschlecht nur gesellschaftliche Konstrukte seien. Der „fortschrittliche“ oder vermeintlich fortschrittliche Teil der Frauenbewegung in den USA und in Europa stürzte sich in der Folge in endlose „Gender -Debatten“ und zog sich aus der politischen Welt zunehmend zurück. Manche sprachen vom „Exodus der Frauen“ auf den „Frauenplaneten“.
Diese Tendenzen konnten aber die „Globalisierung“ der Frauenbewegung nicht aufhalten, die Forderung nach Bildung und politischen Rechten hat inzwischen die Frauen weltweit erfasst. Zwar kämpfen Frauen in weiten Teilen der Welt vorerst um ihr Überleben- gegen den Massenmord an weiblichen Embryos in China und in Indien, gegen die Verletzung ihrer physischen Integrität - gegen die in großen Teilen Afrikas noch immer praktizierte Klitoris-Beschneidung – und um ihre Anerkennung als gleichberechtigte menschliche Wesen, was ihnen von den traditionalistischen Religionen, vor allem vom Islam noch immer abgesprochen wird (auch die katholische Kirche hat den Frauen bekanntlich über Jahrhunderte eine Seele abgesprochen).
Aber gerade in den arabischen Ländern haben die jüngsten Umwälzungen gezeigt, dass die jungen, gebildeten Frauen ihre Länder zu gerechteren und demokratischeren Gesellschaften umgestalten wollen. Der Anteil der Frauen auf den Plätzen der Revolution war nicht zu übersehen. Als auf dem Weltsozialforum in Dakar 2011 die jungen Ägypterinnen auftauchten, wurden sie von den dort stark vertretenen Frauen Afrikas bejubelt. In einem großen Zelt hatten sich in Stammestracht hunderte Schwarzafrikanerinnen versammelt. „Wir sind noch geschlagen worden, wir werden noch geschlagen. Aber unsere Töchter müssen an die höheren Schulen. Mit einer ordentlichen Ausbildung wird kein Mann es mehr wagen, sie zu schlagen“.
Auch wenn der „Arabische Frühling“ derzeit im restaurativen Frost zu erstarren scheint – langfristig werden sich die Frauen in dieser Region nicht mehr aus der Öffentlichkeit verdrängen lassen.
Sie erinnern ihre westlichen Schwestern an die Wurzeln der Frauenbewegung, an die Utopie einer neuen Gesellschaft, in der Männer und Frauen als Freie und Gleiche zusammenleben.
Eine Utopie, die sowohl in den USA, von Wissenschaftlerinnen wie der Neoaristotelikerin Martha Nussbaum, wie in Europa, von der ungarischen unorthodoxen Marxistin Agnes Heller, am Leben erhalten oder wieder zum Leben erweckt wird. Martha Nussbaum fordert in ihrer Theorie vom „guten Leben“ eine Balance zwischen Rationalität und Emotionalität bei Frauen und Männern - als Voraussetzung für ein gelungenes Leben und eine weltweit gerechte Gesellschaft. Für Agnes Heller ist die Revolution der Frauen, die auf Gewalt verzichtet hat, „die größte Revolution in der Weltgeschichte, im Unterschied zu allen anderen wird sie vielleicht einmal vollendet sein“. (Heller 2014- Interview „Süddeutsche Zeitung“).
Partizipation an allen Kämpfen für eine Verbesserung der Welt- was könnte zu Beginn des 21. Jahrhunderts ein besseres Ziel für die Frauenbewegung sein? „Wir wollen die Hände nicht in den Schoß legen, auch nicht in unbefriedigenden Zeiten, so Eric Hobsbawm, soziale Ungerechtigkeit muß immer noch angeprangert und bekämpft werden. Von selbst wird die Welt nicht besser“(Hobsbawm 2003, S.471).
Verwendete Literatur: #
- Simone de Beauvoir, Das andere Geschlecht, Rowohlt, Hamburg 1968
- August Bebel, Die Frau und der Sozialismus, Dietz, Berlin 1973
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