Das gute Leben für alle #
In aktuellen Feminismus-Debatten geht es viel um „Binnen-Is“. Dabei war die Vision der Frauenbewegung doch eigentlich eine ganz andere.#
Mit freundlicher Genehmigung aus der Wochenzeitschrift DIE FURCHE (23. August 2018)
Von
Trautl Brandstaller
Verfolgt man die aktuellen Mediendebatten rund um die von Hollywood ausgegangene Metoo- Kampagne, die sich seither von der Filmindustrie auf fast alle gesellschaftlichen Bereiche, vom Sport über die Opernwelt bis zur Politik ausgebreitet hat, könnte man zu zweierlei Schlüssen kommen. Schluss eins: Die Frauenbewegung hat nach langen Jahren endlich einen großen Sieg errungen. Schluss zwei: Die späte Offenlegung sexueller Belästigung bis hin zu Gewalt führt zu neuer Verkrampfung in den Geschlechterverhältnissen.
Die politischen Folgen der medialen Debatten legen eher den zweiten Schluss nahe – in Schweden wurde ein Gesetz beschlossen, wonach der Geschlechtsverkehr nur mit ausdrücklichem Einverständnis erfolgen darf, in Frankreich wurde ein Gesetz beschlossen, wonach Männer Frauen nicht nachpfeifen dürfen. Kein Wunder, dass in dieser gesellschaftlichen Atmosphäre die Idee aufkommt, künftig nur mehr mit Puppen, oder noch besser mit Robotern Sex zu praktizieren. War es das, was die Frauenbewegung angestrebt hatte oder ging es vor rund 50 Jahren um ganz andere Fragen?
Auch die zweite Frauenbewegung der Sechziger- und Siebzigerjahre (die erste entstand bekanntlich schon im 19. Jahrhundert) begann mit einer Medienkampagne: Im Jahr 1970 veröffentlichte das französische Magazin „Nouvel Observateur“ ein Manifest, in dem 143 prominente Frauen (von Simone de Beauvoir bis Romy Schneider) bekannten: „Ich habe abgetrieben.“ Die Frankreich-Korrespondentin des „Stern“, Alice Schwarzer, übernahm die Kampagne für Deutschland, wo in konservativen Kreisen Wellen der Empörung hochgingen.
„Mädel, möchtest nicht zur Modeschau?“#
In Österreich fanden sich zwar keine prominenten Bekennerinnen, aber das Thema Abtreibung heizte die gesellschaftspolitischen Debatten rund um die Studentenbewegung und die heiß diskutierten Reformpläne für Familien- und Strafrecht mächtig an. Blenden wir kurz auf die damalige Rechtslage zurück: Nach dem damals immer noch geltenden Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch (ABGB) aus dem Jahr 1811 war der Mann das Haupt der Familie. Er konnte seiner Frau die Berufstätigkeit verbieten, Gewalt in der Erziehung war erlaubt ( die „g’sunde Watschn“), Scheidung war nur bei schwerem Verschulden möglich. Im Strafrecht waren für Abtreibung hohe Strafen für die Frau wie für den Arzt vorgesehen. Homosexualität, auch unter Erwachsenen, wurde „als Unzucht wider die Natur“ mit bis zu fünf Jahren Kerker bestraft.
Das Patriarchat war gesetzlich festgeschrieben. Gleiche Rechte für Männer und Frauen waren nicht vorgesehen. Die Religion trug und trägt für diese Machtverhältnisse massive historische Verantwortung. Gesellschaftlich war die Welt streng getrennt. In eine Männerwelt – Politik, Wirtschaft, Medien – und eine Frauenwelt – statt „Kirche, Küche, Kinder“ (die alten Zuständigkeiten) gab es zwar schon Möglichkeiten der Berufstätigkeit, das aber in sehr eingeschränktem Rahmen. Als ich zu Beginn meiner journalistischen Karriere auf einer innenpolitischen Pressekonferenz auftauchte, klopften mir männliche Kollegen freundlich auf die Schulter: „Mädel, möchtest nicht lieber zu einer Modeschau gehen?“
Frauen waren in so gut wie allen „männlichen“ Berufen eine extreme Minderheit – das begann schon beim Studium (unter 100 Jus-Studenten gab es fünf Frauen, ebenso drastisch war das Verhältnis bei Naturwissenschaft und Technik) und setzte sich in der Berufswelt fort. Wenn Frauen in die „Männerwelt“ eindrangen, mussten sie bessere Qualifikationen aufweisen, mehr Arbeit leisten, um anerkannt zu werden; wenn es um Macht ging, also um Führungsposten, nützte auch dies relativ wenig.
Die Frauenbewegung der frühen Siebzigerjahre bestand zunächst aus einer kleinen Minderheit, die sich stark an Frankreich und Deutschland orientierte, aber auch die Bücher der amerikanischen Feministinnen studierte. „Emanzipation“ war das erklärte Ziel. Emanzipation war aber mehr als gleiche Rechte für Männer und Frauen, sie bedeutete für die erste Generation der Feministinnen Befreiung von anachronistischen Rollenbildern, und zwar für Frauen und Männer. Nur emanzipierte Frauen und Männer könnten in Zukunft eine freie, gerechte und solidarische Gesellschaft aufbauen. Simone de Beauvoir hat es vor 40 Jahren in einem Interview mit der Autorin dieses Beitrags formuliert: „Es muss einen Austausch der Werte geben, der Werte, die durch und in der Unterdrückung erworben werden, und den Werten der Unterdrücker. Z. B. müssen die weibliche Geduld und der weibliche Sinn für Humor erhalten bleiben. Aber gleichzeitig müssen die Frauen von den Männern deren Möglichkeit zu Aggressivität und Initiative übernehmen. Erst diese Einheit, dieses Ensemble männlicher und weiblicher Werte wird die neue Menschheit ausmachen, wenn es je eine neue Menschheit geben sollte.“ Aus der kleinen Minderheit engagierter Feministinnen wurde im Lauf der Siebzigerjahre eine breite Bewegung, die die Frauen in allen Parteien (ausgenommen die FPÖ) erfasste.
Von den ursprünglichen Visionen hat sich der Feminismus allerdings weit entfernt. Wie in der allgemeinen, so gab es auch in der Frauenpolitik einen Backlash in den Neunzigerjahren. Judith Butler eröffnete mit ihrem Bestseller „Gender Trouble“ ein neues Kapitel der Frauenpolitik. Ihr ging es nicht mehr um soziale Rollen, sie stellte die Biologie in Frage, auch die biologischen Rollen seien sozial konstruiert. Frauenpolitik verengte sich zu Gender-Debatten, die Gesellschaft und ihre notwendigen Veränderungen gerieten aus dem Blickfeld.
Repolitisierung der Bewegung #
Auch in den 1990ern hatten die Medien eine zentrale Rolle gespielt. Der frauenpolitische Backlash nahm in US-TV-Serien seinen Anfang – von „Sex and the City“ bis zu „Desperate Housewives“ wurden alte Rollenklischees wieder aufgewärmt. Wenn der ORF meint, mit den „Vorstadtweibern“ feministisch punkten zu können, lügt er sich selber in die Tasche. Auch die Debatten um die neutextierte Bundeshymne und sprachlich „korrekte“ Änderungen in literarischen Texten, oder der Streit um das „Binnen-I“ gehen am Kern der Frauenpolitik vorbei.
Dabei gäbe es genug Themen für eine neue, repolitisierte Frauenbewegung: Die Situation von zugewanderten Mädchen und Frauen, vor allem unter den türkischen „Gastarbeitern“, die Österreich ins Land geholt hat, wurde viel zu lange von den Frauenpolitikerinnen aller Parteien ignoriert. Die Reduzierung des Frauenthemas auf die „Kopftuchdebatte“ greift einfach zu kurz – Emanzipation erreicht man nicht durch Verbote, Emanzipation ist, wie wir aus der eigenen Geschichte wissen, ein mühsamer und langfristiger Prozess, in den auch die Männer miteinbezogen werden müssen. Und wie im Katholizismus, so spielt auch im Islam das Thema der Sexualität und das Frauen-Männer-Verhältnis eine wichtige Rolle für die Entwicklung der Gesellschaft.
Auf einem Welt-Sozialforum in Dakar habe ich erlebt, mit welcher ungeheuren Kraft afrikanische Frauen heute ihre Emanzipation und eine humane Gesellschaft einfordern. Der Feminismus ist längst eine globale Bewegung geworden, auch wenn manche Politikerinnen hierzulande dies noch nicht bemerkt haben. Emanzipatorische Initiativen zu unterstützen – sei es den Aufstand der Frauen in Saudi-Arabien, die Proteste in Indien gegen die Tötung weiblicher Föten, oder den Kampf gegen Genitalverstümmelung –, scheint mir ein größeres Anliegen zu sein als manch medial hochgepushte Grapsch-Debatte. Denn es gibt ein gemeinsames Ziel aller dieser globalen feministischen Aktivitäten: Die Schaffung einer Welt, in der ein gutes Leben für alle, ein gleiches, gerechtes und solidarisches Leben für alle, Männer und Frauen, möglich ist.
Die Autorin ist Journalistin und war für die Gesamtredaktion des ersten österreichischen Frauenberichts 1975 zuständig.