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Lieber Herr Erzbischof Alois Kothgasser!#


Von

Georg Josef Simmerstätter, Angerberg

Aus: Gedanken zu Glaube und Zeit, Nr. 84/2013


Die Kirche wird aus gutem Grund „semper reformanda“ genannt. Sie braucht - einem Organismus vergleichbar - ständige Erneuerung: „Herr und Gott, erhalte in deiner Kirche den Geist, von dem der hl. Karl Borromäus erfüllt war, und gib ihr die Bereitschaft, sich ständig zu erneuern. Gestalte sie nach dem Bild deines Sohnes Jesus Christus, damit die Welt ihn erkennen kann…“ (Tagesgebet am Fest des Heiligen).

Die Erneuerung ist ja schon längst im Gange und nicht aufzuhalten, denn in der pastoralen Praxis geschieht sehr vieles, was mit den Vorgaben der Kirchenleitung nicht im Einklang steht. Die Seelsorger sehen sich durch ihr Gewissen dazu gezwungen, weil sie vermeiden wollen, dass sich die Menschen nicht verstanden fühlen und daher verbittert von der Kirche abwenden. Unser aller sehnlichster Wunsch wäre es, wenn die „Leitung“ unserer Kirche auch in den Reformbestrebungen die Leitung übernehmen würde! Es müsste sonst zu unguten Entwicklungen kommen.

Ich habe im November (Anm.: 2012) in Linz am Treffen der vier Reformbewegungen teilgenommen und halte es für außerordentlich verhängnisvoll, dass unsere Kirchenführung den Vorgängen einfach ihren Lauf lassen will, ohne sich an den Beratungen in geeigneter Weise zu beteiligen. Wenn die Entwicklung einen ungünstigen Verlauf nimmt, werden Sie sich in der Folge den Vorwurf nicht ersparen können, Notwendiges nicht getan zu haben. Daher wünschen die Vertreter von „Wir sind Kirche“ dass Sie mitwirken. Jedenfalls sollte die Kirchenleitung die Zeichen der Zeit erkennen, anstatt sich ihnen entgegenzustellen. Heutzutage kann man mit den Menschen nicht mehr umgehen wie mit unmündigen Kindern!

Es geht nicht darum, Glaubenswahrheiten abzuändern oder Grundsätze aufzugeben! Die Kirche muss nach wie vor den Menschen christliche Geisteshaltung – Orientierung auf Gott und Geschwisterlichkeit zum Mitmenschen – ans Herz legen. Aber wir müssen uns auch vor Augen halten, dass keiner von uns je dem Ideal gerecht werden kann, das uns von Christus vorgegeben wird: „Seid vollkommen….“ Jesus hat dieser Erkenntnis Rechnung getragen und sich der Sünder und allen „Gesindels “ liebevoll angenommen: „Ich bin nicht gekommen, um zu richten, sondern um zu retten.“ Wenn nicht einmal er, der ohne Sünde war, den ersten Stein geworfen hat, dann werden wir die Weisung Jesu „richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet“ ernst nehmen müssen.

Die Teilnahme am Liebesmahl kann nicht Belohnung für schon erreichte Vollkommenheit sein, sondern ist Stärkungs- und Heilmittel auf dem Weg zum Vater. Jesus hat eine Gemeinschaft von Sündern gegründet: „Ich bin nicht gekommen, Gerechte zu berufen, sondern Sünder.“ Wer meint, zu den Gerechten zu gehören, für den ist Jesus nicht zuständig. Ist es denn Heuchelei, wenn wir beten: „Herr, ich bin nicht würdig…“? - Wir sind alle auf Gottes Barmherzigkeit angewiesen. Die absolut „Gerechten“ gibt es nicht! Wer von uns soll einem Mitchristen sagen dürfen: „Geh weg, du bist nicht würdig! – ich schon!“ - Wir dürfen diese Gnadenquelle den Menschen, welche die Gemeinschaft mit Christus suchen, nicht verweigern. Außerdem führt das verständlicherweise zu Verbitterung und oft sogar zu Hass.

Nach authentisch römisch katholischer Lehre ist jede(r) Getaufte Glied am geheimnisvollen Leib Christi. Mit welchem Recht verweigern wir Glaubensgeschwistern aus anderen Konfessionen, die unseren Herrn und Heiland genauso lieben wie wir, die Teilnahme am Liebesmahl, zu dem ER „die Seinen“ eingeladen hat? Mit dem sehnlichen Wunsch, dass sie eins seien, wie er und der Vater. Wenn wir die Abschiedsrede Jesu, sein heiliges Vermächtnis vor seinem Tod, ernst nehmen, dann war sein Herzensanliegen, dass die Seinen „ein Herz und eine Seele“ sein sollen. (Dass sie sich darüber die Köpfe zerbrechen sollen, wie es denn möglich sei, dass er in Brot und Wein gegenwärtig sein kann, hat er mit keiner Silbe verlangt, noch weniger, dass sie sich spalten sollten, wenn sie in dieser Frage nicht einig würden.)

Wer getauft ist und auf Christus seine Hoffnung setzt, egal welcher Konfession er angehört und auch egal, ob konservativ oder aufgeschlossen, ist Glied am geheimnisvollen Leib Christi und ist uns Bruder bzw. Schwester. Jeder gläubige Getaufte muss in unserer Gemeinschaft Platz haben, auch der „glimmende Docht“, - der „treue Fernstehende“ (Richard Rohr) und auch jener, der von den Knechten des Gutsbesitzers als „Unkraut“ eingestuft wird. Nicht wegschieben, sondern sich liebevoll seiner annehmen, das hat uns Jesus vorgelebt.

Der göttliche Richter wird laut Gerichtsparabel nach Mt. 25,31ff nicht nach der Lehrmeinung fragen, sondern danach, ob wir Liebe geübt haben - im ganz banalen Alltag! Nach diesem Maßstab kann ein Atheist auf der rechten Seite zu stehen kommen. Daher ist eine schwere Last, für die Aufrechterhaltung der Spaltung verantwortlich zu sein.

Die Hl. Schrift sagt uns, dass wir „nach Gottes Bild und Gleichnis“ geschaffen sind, „Ebenbild Gottes“! Das sind wir deswegen, weil er uns zur Liebe fähig gemacht hat. „Als Mann und Frau schuf er sie…“ - „Wer nicht liebt, hat Gott nicht erkannt, denn Gott ist Liebe" (1 Joh 4, 8"). Wer Theologie studiert, kann sehr viel Richtiges über Gott erfahren, wenn er aber Liebe nicht kennt, dann hat er so viel „Vorstellung“ von Gott wie ein Blindgeborener von Licht und Farben. Wenn wir Liebe erleben, bis hin zu ekstatischen Zuständen, bekommen wir einen Begriff von Gott, ja, werden wir Gott ähnlich, Ebenbild Gottes. Durch die Liebe, die er uns erleben lässt, offenbart er uns sein Wesen.

Aus der Liebe lässt uns Gott auch teilhaben an seinem schöpferischen Wirken. Laut Schöpfungsbericht ist es Auftrag Gottes: „Seid fruchtbar und vermehret euch und bevölkert die Erde…“ Er schenkt keinem einzigen Menschen neu das Leben, ohne zwei Menschen in Liebesvereinigung dafür in seinen Dienst zu nehmen. Die eheliche Liebesvereinigung christlicher Eheleute ist Vollzug eines Sakramentes. Liebe, auch die Geschlechterliebe, ist eine heilige, ja, eine göttliche Sache. Gerade sie wird von den Menschen am intensivsten erlebt. Sie verdient Ehrfurcht und hohe Verantwortung, aber nicht, weil sie etwas Schmutziges, sondern weil sie Geschenk Gottes ist! Sagt nicht Gott dem Petrus im Zusammenhang mit den jüdischen Speisevorschriften, er solle nicht unrein nennen, was er (Gott) für rein erklärt hat?

Die konsequente Abwertung der Ehe und damit der Familie in unserer Kirche manifestiert sich auch in den Bestimmungen, dass Priester keine rechtsgültige Ehe schließen dürfen und die Ehelosigkeit als „höhere Vollkommenheit“ angesehen wird. Es ist höchst verhängnisvoll, dass Eheleute implizit als Versager hingestellt werden, weil sie eben nicht ehelos zu leben vermögen. Die christliche Ehe ist der Ort, wo nicht nur der Fortbestand der Menschheit gewährleistet wird, sondern ist auch der Ort, wo Gott der Kirche neue Glieder zuführt.

Die Eheleute sind die Missionare der nachfolgenden Generation. Aufgabe der Kirche wäre es, die Eheleute zu verantwortungsbewusster Gestaltung des Ehelebens anzuleiten. Dass die Kirche in dieser Funktion selbst von den Gläubigen nicht mehr ernst genommen wird, liegt daran, dass sie es nicht verstanden hat, das Sexualleben zu kultivieren, sondern Geschlechtlichkeit als etwas Schmutziges hinstellt, das sie lieber vollkommen verbieten möchte.

Wenn man den Leuten die Latte zu hoch legt, dann gehen sie unten durch. Wäre es der Christenheit gelungen, die Menschen zu mehr Achtung voreinander und zu mehr Mitmenschlichkeit zu erziehen, so hätte sie bestimmt mehr erreicht, als durch alle Verbote und Höllendrohungen im Zusammenhang mit der Sexualität.

Wer zu Achtung vor dem Mitmenschen erzogen ist, der wird auch im Sexuellen seine Mitmenschen verantwortlich behandeln und alles vermeiden, was wir in unserer Zeit so bitter zu beklagen haben. Wäre es der Christenheit gelungen, die Sexualität zu kultivieren, anstatt zu negieren, wäre für die Kirche viel gewonnen. Den Menschen die Sexualität abgewöhnen zu wollen ist aussichtslos; sie gehört zur Grundausstattung des Menschen; mehr Mitmenschlichkeit beizubringen hat Aussicht auf Erfolg, wenn in gesunden christlichen Familien in frühester Kindheit damit begonnen wird. Die brauchen wir!

Eine bezeichnende Begebenheit: Eine religiös sehr interessierte, aus gläubigem Elternhaus stammende Schülerin und Maturantin in Religion, hat mir einmal (vor mehr als 20 Jahren schon) gesagt, sie werde nach Erhalt der ersten Kirchenbeitragsvorschreibung aus der Kirche austreten, denn eine Frau gelte in der Kirche „einen Dreck“ . In Politik und Wirtschaft könnten Frauen Spitzenplätze einnehmen, in der Kirche sei mit Müh´ und Not zu erreichen gewesen, dass Mädchen ministrieren dürfen. Dass Priester nicht heiraten dürfen, sei doch auch ein Beweis dafür, dass die Frau als etwas Minderwertiges angesehen wird.

Müsste nicht die Kirche die Erste sein, die der Frau ihre Würde erkämpft und sichert? Genau das bedrückt mich in arger Weise in Bezug zu allen Lebensbereichen: Die Kirche müsste doch in allen menschlichen Belangen die geistig führende Rolle einnehmen und alle Lebensbereiche nach christlichen Grundsätzen gestalten. Das ist eine eminent erzieherische Aufgabe, zu der die christlichen Familien angeleitet und befähigt werden müssten. Mit Geboten, Verboten und Strafandrohungen ist das nicht zu erreichen. Wenn es nicht gelingt, die Menschen von Kleinst auf für „das Gute“ zu begeistern, dann ist alle Mühe verloren. Mit Höllendrohungen ist nichts (mehr) zu erreichen. Wir (Kirche) haben uns das in der Vergangenheit zu leicht gemacht.

Liebe Brüder im bischöflichen Dienst, das ist es, was ich Ihnen sagen wollte. Wir wollen nicht ein Christentum zu Ausverkaufspreisen, sondern ein Christentum, das den Menschen Hilfestellung in ihrem Leben bietet. Solange in den pastoralen Bemühungen in erster Linie versucht wird, den Gesetzen gerecht zu werden, sind wir auf dem Holzweg. Wir müssen alles dran setzen, den Menschen gerecht zu werden. Wenn sie spüren, dass das „Bodenpersonal Gottes“ für sie da ist, sie versteht und ihnen im Leben eine Hilfe ist, dann laufen sie auch nicht davon. „Der Mensch ist nicht für den Sabbat da, sondern der Sabbat für den Menschen.“ Jesus lehrt uns „Bruderliebe vor Gesetzestreue“.

Für die Gespräche mit der Pfarrerinitiative hoffe ich sehr, dass in diesem Fall der ganzen Welt gezeigt werden kann, wie in christlichen Kreisen Auseinandersetzungen geführt werden können. Keine leichte Aufgabe! In diesem Fall sind es nicht „Meinungsverschiedenheiten“, sondern ganz ernsthafte „Überzeugungsverschiedenheiten“. Trotzdem muss es und wird es zu einer lebbaren Lösung kommen. Im Glauben an Christus und im Bemühen um unsere Mutter Kirche mit Ihnen einig, ...

Josef Georg Simmerstätter ist römisch-katholischer Priester und wurde wegen seiner Eheschließung vom Dienst entbunden. Er wirkte danach als Entwicklungshelfer in Bolivien und in seiner Heimat als Religionspädagoge. Er ist Vater von vier Kindern mit fünf Enkeln.Der Brief wurde ohne inhaltliche Veränderung gerafft und geringfügig textlich bearbeitet.