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Halbherzigkeit bei der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals in der Kirche#

Klerikales Machtmonopol und Diskriminierung der Laien gehören korrigiert#


Von

Willibert Kurth

Aus: Gedanken zu Glaube und Zeit Nr. 288/2019


Am Verhalten von Kardinal Schönborn zeigt sich die ganze Halbherzigkeit, mit der die katholische Kirche bei der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals vorgeht: Einerseits will man Veränderung und bekundet dies wortreich. Man tut auch das Eine oder Andere: etwa durch die Einrichtung von Ombuds- und Präventionsstellen und durch den Einsatz von kompetenten Laien, die aber im Kleriker-System Kirche oft an ihre Grenzen stoßen. Andererseits bleibt man weitgehend in den alten Strukturen und Denkmustern eines von Geistlichen dominierten Systems, wo im konkreten Fall Kirchenschutz oft vor Opferschutz steht.

So wenn der Kardinal in dem jüngst im TV ausgestrahlten Gespräch mit der ehemaligen Ordensschwester Doris Wagner von einem Vergewaltigungsfall erzählt in einem südeuropäischen Land, wo der dortige Kardinal sich der Aufarbeitung verweigerte und die Frau aus dem Orden ausgeschlossen wurde. Und Kardinal Schönborn verschweigt den Namen des Landes und den konkreten Fall; und dies seit vielen Jahren, da der Vorgang mindestens mehr als 6 Jahre zurückliegt (zur Zeit von Papst Benedikt). So beteiligt er sich an der Verdeckung der Straftat und handelt – wenn auch ein anderes Land betreffend, aber es ist ja die eine Kirche und die eine Glaubwürdigkeit, um die es geht – so für Kirchenschutz und die Deckung der Täter sowie gegen das Opfer und die Aufklärung und Erneuerung. Er verrät damit letztlich die Glaubwürdigkeit des Neuanfangs, den er wortreich bekundet.

An weiteren Beispielen in Österreich und Wien selbst ließe sich dies fortführen, wo Priester, die gegen die Richtlinie zur Missbrauchs- und Gewaltthematik aus 2010 verstoßen, nicht zur Verantwortung gezogen werden; wo selbst vom Kardinal in einem mir bekannten Fall strafrechtlicher Verurteilung nichts unternommen wird. Und wo jene, die sich für Aufarbeitung einsetzen in „gravierenden Grenzüberschreitungen“, von Kirchenvertretern ausgegrenzt werden, Gesprächsverweigerung erfahren und vielfach links liegen gelassen werden als Querulanten und Nestbeschmutzer. Kein Einzelfall, wie die Leiterin einer kirchlichen Präventionsstelle feststellte.

Und wenn der Kardinal zu dem Fall in Südeuropa einen dortigen Bischof zitiert mit den verharmlosenden und das fehlende Bewusstsein für die Thematik ausdrückenden Worten: „ Wir haben da im Süden einen anderen Zugang“, dann entspricht dem für Wien folgende Erfahrung bei einem Gespräch zur Aufarbeitung „mehrerer gravierender Grenzüberschreitungen“ (Gutachten der Ombudsstelle): Eine leitende Mitarbeiterin des Erzbistums hatte zwecks Aufarbeitung zu einem Gespräch geladen, zwar erst nach fünfeinhalb Jahren, aber immerhin. Diesem Gespräch entzogen sich die seinerzeitigen leitungsverantwortlichen Priester in Orden und Erzbistum nach wie vor – Einsicht? Glaubwürdigkeit des Neuanfangs? Jedenfalls zum wiederholten Male ein klarer Verstoß gegen die Richtlinie aus 2010. Und am Ende fasste dann die leitende Mitarbeiterin als Fazit zusammen, „dass wir einiges ähnlich sehen“ und ansonsten die zwei Standpunkte nebeneinander stehenbleiben. Aber wo kann es Raum für zwei verschiedene Standpunkte geben, wenn das Gutachten der Ombudsstelle (siehe oben) eindeutig ist?

Offenbar gibt es nicht nur in Südeuropa einen anderen Zugang zur Thematik, sondern – sicher schon auf einem anderen Niveau der Einsicht und auch des Tuns - auch bei Verantwortlichen im Erzbistum Wien und damit im Verantwortungsbereich von Kardinal Schönborn. Wie gesagt, keiner der involvierten Priester, auch nicht die leitungsverantwortlichen Geistlichen, wurden für ihre mehrfachen und klaren Verstöße gegen die Richtlinie zum Umgang mit Missbrauch aus 2010 je zur Verantwortung gezogen. Gegen einen der damals Leitungsverantwortlichen, der ein Gemeindemitglied, das sich jahrelang für die Aufarbeitung eingesetzt hat, als „kriminellen Stalker“ öffentlich beschimpft hat, wird statt dessen die Aufarbeitung seines Verhaltens jetzt von staatlicher Seite erfolgen, da die Kirche unfähig und/oder unwillig dazu ist. Nämlich als Strafprozess vor einem Wiener Bezirksgericht. Damit auch in dem südlichen Land die Gerichte tätig werden könnten, müsste der Kardinal reden. Sonst beteiligt er sich an der von ihm gegeißelten „Dynamik des Schweigens“ und verhindert so wirkliche Aufarbeitung und den Neuanfang. Und zu allererst müsste er in seinem eigenen Bistum für ein glaubwürdiges Vorgehen Sorge tragen. Ich habe vielfach das Gegenteil erlebt, gerade durch Priester, während kompetente Laien und vor allem Fachfrauen sehr engagiert und klar handelten.

Und eine unabhängige Untersuchungskommission, die es in Deutschland wenigstens im Ansatz gab, wird von Schönborn nach wie vor abgelehnt. Dabei zählt er weltweit noch zu jenen, die relativ am positivsten dastehen. Was ist da gesamtkirchlich und von der vatikanischen Weltkonferenz in wenigen Tagen zu erwarten? Der entscheidende Durchbruch in dieser klerikal verkrusteten Männerkirche wird beim Missbrauch wie insgesamt bei der Reform der katholischen Kirche nur gelingen, wenn das Machtmonopol der Priester und Bischöfe sowie die dementsprechende Diskriminierung von Laien und Frauen beendet wird. Da macht es Hoffnung, wenn Kardinal Schönborn auch hier erstmals Gewaltenteilung in der Kirche befürwortet und deren bisherige Abwesenheit als eine zentrale Ursache für viele Fehlentwicklungen dieser Tage klar benennt; und sich für ein „System der Checks and Balances“ ausspricht, was in der angelsächsischen Staatstheorie der zentrale Begriff für Gewaltenteilung ist. Die Botschaft hör ich wohl, allein ...

Und dies bedeutet vor allem: An allen wichtigen Entscheidungskompetenzen auf allen Ebenen von der Pfarre bis zum Vatikan müssen Geistliche und Laien gleichberechtigt beteiligt werden. Es war sehr bezeichnend, dass Abt Henckel-Donnersmarck auf die entsprechende Frage von Frau Reiterer in der Sendung Im Zentrum am 10. Februar mit keinem Wort einging, sondern geschickt auf ein anderes Thema auswich; und Frau Reiterer auch nicht nachfragte.

Es ist ein Hohn und völlig welt- und sachfremd, wenn bei der jüngsten Ehesynode in Rom die teilnehmenden Eheleute lediglich Beraterstatus haben, während die Entscheidungen allein von zölibatär lebenden Bischöfen, meist im Alter von 60+, getroffen werden. Wobei Kardinal Schönborn in besagtem Gespräch selbst erwähnt, welch wichtige Impulse und Beiträge von Eheleuten bei dieser Synode kamen. Und warum dürfen sie dann nicht mitentscheiden? Schönborn bezeichnet die fehlende Augenhöhe von Geistlichen sowie Laien und Frauen, gerade auch Ordensfrauen, aber auch Frauen insgesamt, als „Uraltsünde“ in der Kirche. Und er folgert: „Die Frauenfrage ist eine der großen Fragen der Zeit, die wir in ein neues Licht stellen müssen.“ Doch wo bleiben die Taten? Wo bleibt überhaupt erst mal das entsprechende Bewusstsein bei den Bischöfen weltweit? Und dabei ist dies nicht mal allein oder in erster Linie eine Frage des Weiheamtes, sondern vor allem eine Frage, dass Frauen und Laien in gleichberechtigter Weise teilhaben an allen Entscheidungskompetenzen auf allen Ebenen in der Kirche - bis hin zur Wahl eines Bischofs, was dann auch die Bezeichnung Wahl verdienen würde; selbstredend inklusive des Bischofs von Rom.

Noch vor wenigen Wochen hat sich Papst Franziskus selbst gegen ein leichtes Aufweichen dieser entscheidenden Strukturbastion der Kleriker gewandt, als er das Votum der US-Bischöfe für die Einsetzung von Untersuchungskommissionen bei Missbrauch, die auch von Laien geleitet werden können, unterbunden hat. Der Ukas aus Rom: Die Kommission müsse in jedem Fall von einem Erzbischof geleitet werden! Wenn das die Linie der katholischen Kirche und bei der Konferenz in Rom ist, befördert die katholische Kirche damit ihren weiteren Niedergang.

Mit das größte Verdienst des Gespräches von Kardinal Schönborn sehe ich darin, dass er die Fakten schonungslos benennt und nichts verharmlost. Und dass er den Opfern glaubt und sie wertschätzt und ihnen in der Kirche einen würdevollen Platz einräumt. Er benennt dabei auch Fakten, die ich mir nicht vorstellen konnte und die mich zusätzlich schockieren: Etwa dass Bischöfe sich aus Klöstern Ordensfrauen regelrecht kommen lassen wie Prostituierte. Welche perversen Bischöfe gibt es! Welche perversen Ordensoberen, die sich da einspannen lassen, mitmachen und die ihnen anvertrauten Menschen nicht davor schützen! Es braucht hier ein umgehendes, grundlegendes Umdenken weltweit und vor allem das entsprechende umfassende Handeln und den glaubwürdigen Neuanfang: Verständnis und Vertrauen in die Opfer und schonungslose Aufarbeitung der Verbrechen und ihrer Täter, ob es nun Priester, Laien oder Bischöfe sind. Ob die katholische Klerikerkirche dazu allerdings in der Lage sein wird – und zwar jetzt und im konkreten Tun – das bleibt mehr als fraglich. Hoffen darf man, aber es muss auch viel getan werden, am meisten von den Bischöfen und dem Papst selbst. Die Konferenz jetzt in Rom ist die letzte Chance, ehe der Zug endgültig abgefahren ist.

Willibert Kurth, Wien/Aachen, Diplom-Volkswirt, Unternehmensberater, Sprecher des Lainzer Kreises am Kardinal König Haus in Wien