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Die entscheidende Wende#

Wie sie die katholische Kirche schaffen kann: gleichberechtigte Teilhabe der Laien an allen Entscheidungskompetenzen#


Von

Willibert Kurth

Aus: Gedanken zu Glaube und Zeit Nr. 299/2019


Dass die Ungleichbehandlung der Laien und speziell der Frauen in der katholischen Kirche eine der Hauptursachen für viele innerkirchliche Krisenherde darstellt, hat jüngst der Wiener Erzbischof Kardinal Schönborn in seinem vielbeachteten Gespräch mit der ehemaligen Ordensschwester Doris Wagner betont. Vielen muss es – erfreulich oder schockartig – in den Ohren klingeln, wenn der allseits hoch angesehene Kirchenmann den staatsrechtlichen Begriff der Gewaltenteilung in den Mund nimmt und für die Kirche einfordert.

Die Diskriminierung von Laien und gerade von Frauen ist sowohl als Ursache von Fehlentwicklungen wie auch bei deren Bekämpfung und Aufarbeitung ein ganz zentraler wunder Punkt. Die seit Jahren dauernde und immer wieder neue Untiefen offenlegende Debatte um Gewalt verschiedenster Art gegen Minderjährige, Schutzbefohlene und Frauen belegt dies unübersehbar.

Etwa wenn die klerikale Hierarchie zu deren Aufarbeitung offenkundig nicht in der Lage ist (siehe dazu den Erfahrungsbericht der US-Bischofskonferenz 2018, die zu dieser Erkenntnis gelangte mithilfe staatlicher Ermittlungsbehörden und Untersuchungen, FAZ vom 28.12.2018: Selbstkontrolle im Weinberg des Herrn); während Laien als Experten und vor allem Expertinnen hier hervorragende Arbeit leisten, oft aber eben aufgrund der Hierarchie an Grenzen stoßen und „eingebremst“ werden. Umso fragwürdiger sind dann die Entscheidungen und Signale aus dem Vatikan, etwa wenn die von den US-Bischöfen eingesetzten Untersuchungskommissionen, in denen Laien die Mehrheit haben und von diesen auch geleitet werden können, von Rom aus untersagt wurden.

Es kommt nicht von ungefähr, wenn Kardinal Schönborn gerade aufgrund der tiefgehenden Missbrauchsdebatte nun zu der Erkenntnis gelangte, dass es einen Abbau der Diskriminierung von Frauen und Laien in der Kirche und ihren Entscheidungskompetenzen braucht. Denn diese Debatte weist auf Kernaspekte der Krise der katholischen Kirche überhaupt hin, die weiter reichen als allein die Gewaltdebatte. Es stellen sich zentral die Fragen der Struktur der Kirche, der Macht, des Umgangs mit Macht und der Konzentration von Macht in den Händen einer kleinen klerikalen Führungsclique. Geschlossene Strukturen sind immer anfälliger für Missbrauch jeder Art, sagte Schönborn in der ORF-Pressestunde am 14. April 2019. Dies gilt für Missbrauch hinsichtlich jeder Art von Gewalt ebenso wie für den Missbrauch von Macht generell und auch deren ineffizienten Einsatz.

Offene Systeme seien weniger anfällig, fügte der Kardinal hinzu. Er belegt dies u.a. mit Ergebnissen der Klasnic-Kommission, wonach die meisten Fälle von Missbrauch in der vorkonziliaren Zeit stattgefunden hätten, als die Kirche in vieler Hinsicht ein noch viel geschlosseneres System war als nach den Reformen des Konzils. Damit stellt er sich im Übrigen offen gegen die Ursachenanalyse seines Lehrers Josef Ratzinger/ Papst em. Benedikt XVI., der in einer langen Abhandlung für das bayerische Priesterblatt die Ursachen für den Missbrauch vor allem in einer Verwahrlosung der Sitten infolge der 68er Jahre sieht (FAZ 13.4.2019 Entsetzen und Jubel über ein Schreiben Papst Benedikt XVI. https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/ursachen-fuerkindesmissbrauch- benedikt-xvi-veroeffentlicht-schreiben-16138431.html).

Mit diesem Hinweis auf die Vorteilhaftigkeit offener Systeme (und folglich auch entsprechender Entscheidungsstrukturen) gibt Schönborn denn auch den entscheidenden Hinweis, wo die Lösung für die massiven Krisen und Strukturprobleme der katholischen Kirche liegt, auch wenn er – erstaunlicherweise - in dem Gespräch mit Frau Wagner nach der zutreffenden Diagnose („die Ungleichbehandlung ist eines der Grundübel“) hinzufügt: Er wisse aber noch keine Lösung. Die Lösung liegt eben genau in der jetzt von Schönborn selbst analysierten Öffnung der bisher allein klerikalen oder klerikal dominierten Systeme für Laien und vor allem auch Frauen.

Bisher liegen die Entscheidungskompetenzen in allen wichtigen Bereichen der Kirche allein bei Klerikern: von hochrangigen Personalentscheidungen, etwa Bischofsernennungen, bis hin zur Lehre und der Stimmberechtigung bei Synoden. Es ist doch völlig unsinnig und keinem Menschen heute mehr vermittelbar, wenn bei der jüngst in Rom abgehaltenen Synode zu Ehe und Familie Eheleute zwar beratend mitwirken können, aber das Stimmrecht allein zölibatär lebenden Bischöfen, überwiegend im Alter 60+, vorbehalten ist. Unabhängig von den Inhalten macht sich die Kirche damit per se völlig unglaubwürdig. Zumal Synodenteilnehmer Schönborn selbst betonte, welch wichtige Beiträge und Impulse bei der Synode von den Eheleuten eingebracht wurden.

Hinzu kommt ganz grundlegend, dass diese strukturelle Diskriminierung von Laien und Frauen

  • den Menschen- und Grundrechten moderner Rechtsstaaten (z.B. Gleichheitsgrundsatz, Diskriminierungsverbot) widerspricht, was die katholische Kirche mittelfristig in ein immer größeres Spannungsverhältnis zur staatlichen Gewalt bringen wird. Und letztlich in der Frage mündet, ob eine Organisation wie die katholische Kirche mit ihren Strukturen im Hinblick auf die Grund. und Menschenrechte überhaupt als zulässig angesehen werden kann. Ich bin sicher, dass es in den nächsten 10 Jahren diesbezügliche Klagen bei Höchstgerichten in europäischen Staaten sowie bei den entsprechenden Gerichtshöfen der EU und des Europarates geben wird. Gerade auch vor dem Hintergrund, dass der katholischen Kirche in vielen Ländern wie in Österreich und Deutschland zahlreiche Privilegien durch den Staat gewährt werden, etwa im Bildungs- und Universitätsbereich.
  • der Botschaft Jesu und ihrem Wesen widerspricht. Jesus selbst hat Frauen und religiös nicht besonders ausgebildeten Personen besondere Aufmerksamkeit geschenkt und sich gerade Ausgegrenzten zugewandt. Seine Apostel waren Fischer und Handwerker, denen er Verantwortung übertrug. Frauen nahmen überdies in der Urkirche eine wichtige Rolle ein, hatten
genauso wie Männer Anteil an der Leitung von Gemeinden und Gottesdiensten. In zahlreichen Paulusbriefen ist dies belegt und (ausgerechnet) im Brief an die Gemeinde in Rom ist sogar ausdrücklich von einer „sehr anerkannten Apostelin Junia“ die Rede (Röm 16, 7), die allerdings aufgrund eines päpstlichen Verdikts über mehr als 800 Jahre zu einem Junias umgetauft und erst mit der jüngsten Einheitsübersetzung 2016 rehabilitiert wurde. Es tut sich also doch etwas, wenn auch sehr, sehr langsam, viel zu langsam. Abgesehen davon hat es bis ins 8. Jahrhundert Diakoninnen in der Kirche gegeben.

Gerade die jüngsten Erfahrungen mit der Aufarbeitung von Missbrauch in der Kirche, wo die Vorteilhaftigkeit der Mitwirkung fachkundiger Experten und Expertinnen unbestritten ist, belegt, wie segensreich die gleichberechtigte Mitwirkung kompetenter Laien für die Kirche ist. In anderen Gesellschaftsbereichen wie Politik und Wirtschaft ist dies heute allgemein anerkannt und hoch geschätzt. Um wieviel segensreicher wäre es, wenn diese Mitwirkung sich auch auf eine gleichberechtigte Teilhabe an allen Entscheidungskompetenzen in der Kirche sowie bei Amt und Lehre erstreckt und darauf ausgedehnt würde. Vor dieser fälligen Weichenstellung schrecken aber selbst jene zurück, die mehr und mehr zu dieser Erkenntnis gelangen, wie eben Kardinal Schönborn. Schönborn sagte in dem erwähnten ORF-Gespräch, solche Entwicklungen bräuchten Zeit, gerade in einer so komplexen, weltweiten Institution wie der katholischen Kirche mit ihrer Tradition und den vielen verschiedenen Strömungen. Einigen gingen die Reformen jetzt schon zu weit. Dabei ist mir klar, dass es gerade bei so sinnfälligen und zentralen Einrichtungen wie dem Amt nicht von heute auf morgen gehen kann. Es ist sehr richtig, dass es hier eine Entwicklung braucht, die einfühlsam ist und auf die gewachsenen Traditionen Rücksicht nimmt. Mit Blick auf diese Rücksicht wie auch auf die unbestrittenen Erfordernisse ist allerdings die richtige Richtung dann auch einzuschlagen! Hier ist in der Frage des Amtes die Wieder-Zulassung von Diakoninnen ein ebenso wichtiger Schritt wie die Weihe von Viri probati zu Priestern. Erste Schritte auf dem klaren und nicht aufzugebenden Weg zur vollen Zulassung von Frauen zu allen Ämtern sowie zur grundsätzlichen Wahlfreiheit der Priester für Ehe oder Ehelosigkeit.

Mindestens ebenso entscheidend ist der andere Schritt: Die volle Zulassung kompetenter Laien

  • zu allen Entscheidungsbereichen auf allen Ebenen der Kirche von der Bischofsernennung bis hin zu Fragen der Organisation der Seelsorge, wo vielfach neue Großstrukturen von oben übergestülpt wurden und werden.
  • in der Lehre, etwa bei Synoden.

In diesen Bereichen der Entscheidungsstrukturen sowie der Lehre braucht es jetzt endlich mutige Schritte in die richtige Richtung im Sinne der von Schönborn geforderten Gleichbehandlung, Gewaltenteilung und Öffnung der Systeme; zumal wenn erkannt wird,

a) zu welchen schwerwiegenden Fehlentwicklungen die bestehenden, ineffektiven und ungerechten Strukturen führen und

b) welche substantiellen Menschenrechtsverletzungen sie darstellen. Wenn erkannt wird, welch schlimme Folgen diese bestehende Diskriminierung von Laien und Frauen hat und wie sehr sich gerade Frauen (und in der Folge ganze Familien) in zunehmendem Maße von der Kirche abwenden, weil sie sich in ihr nicht mehr zuhause und ernst genommen fühlen und es nicht verantworten können, in dieses falsche und vielfach so bigotte System ihre Kinder hineinzuerziehen, dann läuft die Zeit davon. Da kann man nicht einfach zuwarten oder sagen, es braucht Zeit; wenn man dieses Unrecht und die krassen Widersprüche zur eigenen Botschaft erkannt hat, kann man solches gravierende Unrecht nicht einfach weiter praktizieren. Beim Amt kann man nachvollziehen, dass es eine Entwicklung über eine gewisse Zeitschiene braucht (wobei ich sicher bin, dass sowohl die Lockerung beim Zölibat wie die Zulassung von Frauen zum Diakoninnen- und dann zum Priesteramt schnell weite Anerkennung finden wird). Aber bei der Diskriminierung der Laien hinsichtlich der Entscheidungskompetenzen und in Fragen der Lehre ist in keiner Weise nachzuvollziehen, warum dies auf die Lange Bank geschoben und das Unrecht und die gefahrvollen und ineffektiven Strukturen noch länger fortgeschrieben werden sollen. Dies bringt nur Negatives und Gefahr. Hier ist eine klare Änderung zeitnah sinnvoll und notwendig und inhaltlich geboten.

Wir haben seit dem Vatikanum über 50 Jahre gewartet; und an diesen entscheidenden Stellen hat sich wenig bis nichts getan. Es braucht mutige und relevante Schritte jetzt. Und wenn sie aus Rom nicht kommen, was hält unsere Bischöfe davon ab, diese nach ihren Möglichkeiten im Rahmen ihrer Verantwortung zu setzen und voranzugehen? Wie es Papst Franziskus immer wieder mutmachend fordert: „Geht Ihr voran!“

Was hinderte beispielsweise einen Kardinal Schönborn, für sein Bistum anzuordnen, dass alle Gremien einschließlich aller Entscheidungsgremien mindestens gleichberechtigt mit Geistlichen und Laien besetzt werden. Aufgrund der überwiegenden Mehrzahl der Laien würde es die Gegebenheit in der Kirche nur widerspiegeln, wenn Laien in solchen Gremien die Mehrheit hätten; aber wir wollen ja den Geistlichen nicht ihren Einfluss nehmen. Es geht um ein sinnvolles und fruchtbares Miteinander unter Einbeziehung aller. Und da Frauen in der Kirche was die Entscheidungen angeht bislang wenig zu melden hatten und gerade auch die Stellung der Ordensfrauen in den letzten Monaten zunehmend in den Blick gekommen ist, würde ich es sehr befürworten, wenn neben der paritätischen Besetzung der Entscheidungsgremien durch Kleriker und Laien dann jeweils 2, 3 oder 4 Ordensschwestern je nach Größe des Gremiums vertreten sind, die in Personalunion sowohl einen geistlichen Stand wie die Frauen abbilden. In weltlichen Gremien etwa der Wirtschaft würde man dies als Position des neutralen Dritten bezeichnen. In der Kirche wäre diese Position geradezu idealtypisch durch Ordensfrauen wahrzunehmen.

Und durch eine entsprechende Übung im Wirken und Funktionieren solcher Gremien spielt sich dann eine Praxis ein, dass das Gremium als Ganzes immer die Entscheidung trifft, für die sich die Mehrheit seiner Mitglieder entscheidet. Was spräche dagegen, dass Kardinal Schönborn mit der Durchführung einer solchen Gremienreform in seinem Bistum begänne, rechtzeitig vor der Wahl seines Nachfolgers (sei dies nun aufgrund seines bevorstehenden 75. Geburtstages binnen Jahresfrist oder, was zu vermuten ist, in gut 5 Jahren mit Erreichen des 80. Lebensjahres, da für derart allgemein geschätzte Bischöfe die verdiente Pension selbst mit 75 Jahren nicht erreicht ist); und andere österreichische, deutsche, US-amerikanische, brasilianische … Bischöfe Ernst machen mit der notwendigen Erneuerung der katholischen Kirche weg von der ungerechten und unchristlichen Diskriminierung der Laien und Frauen hin zu einer der Botschaft Jesu und den Menschenrechten entsprechenden Kirche!


Verehrte Bischöfe,

gehen Sie mutig voran!
Setzen Sie dies in den Gremien Ihres Bistums um!
Machen Sie ein Ende mit unchristlicher Diskriminierung und ineffizienten, geschlossenen Strukturen!

* * *

Ich möchte diesen Beitrag jenem Mann widmen, der in den vergangenen Jahrzehnten unermüdlich in Gedanken, Worten und Werken für die Erneuerung und Reform der katholischen Kirche tätig war: neben vielem anderen als langjähriger Vorsitzender der Laieninitiative in Österreich sowie als Begründer und Herausgeber der Gedanken zu Glaube und Zeit: Dr. Herbert Kohlmaier. Damit verbinde ich meinem herzlichen Dank für sein so großartiges Wirken im Sinne der Botschaft Jesu!

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P.S: Wie die hier vorgeschlagene Reform und das damit verbundene Prozedere konkret aussehen kann, habe ich anhand der dann reformierten Arbeitsweise des Domkapitels exemplarisch ausgeführt. Diese vertiefende Darstellung kann unter willibert.kurth@web.de bei mir angefordert werden.


Willibert Kurth ist Unternehmensberater und Sprecher des Lainzer Kreises an der Kardinal König Akademie, Wien-Lainz