Klerikales Machtstreben#
Zölibat und Missbrauch, Religion und Angst#
Von
Gerhart Herold
Aus: Gedanken zu Glaube und Zeit Nr. 295/2019
Der Himmel ist oben, und die Erde ist unten. Gott ist im Himmel, und wir sind auf der Erde. Dieses Bild von Gott und der Welt gehört immer noch zu unserer Kultur. Der Evangelist Lukas hat es damit sogar zur Ehre eines Feiertages gebracht, weil er als einziger erzählt, Jesus sei gen Himmel gefahren. Für unsere katholischen Freunde gab es dann später den parallelen Feiertag der Himmelfahrt Mariens. In jeder Barockkirche führt der Blick nach oben in den offenen Himmel.
Jesus selbst hat immer wieder versucht, die Menschen von diesem kindlichen Weltbild zu befreien, z.B. mit den Worten: „Man kann nicht sagen, das Reich Gottes (also Gott selbst) ist hier oder dort. Das Reich Gottes ist mitten unter euch“ (Lk 17). Das klingt beinahe unangenehm nüchtern, als würde unsere heile Welt zum Einsturz gebracht. Sollte Gott nicht mehr im Himmel sein? Da verschwimmt in der Religion ihre Struktur, ihr Aufbau, ihre heilige Ordnung, ihre Hierarchie. Wenn Gott selbst nicht mehr oben ist, dann sitzen wir auch nicht mehr unten.
Bei diesem Bild der Lage sind wir politisch längst angekommen, wir haben die Demokratie. Aber religiös sind wir noch nicht so weit. Sehen wir doch, wie schwer sich Papst Franziskus tut, die Last der Würde und der Würdenträger abzuwerfen. Die Fahrt mit dem Fiat und der Verzicht auf die roten Schuhe sind nur ein kleiner Anfang. Aber wie weit kommt er mit diesem Verzicht auf die Symbole der Macht?
Wie weit kam Jesus mit seinem Verzicht auf die Macht? Judas ist daran zerbrochen. Er wollte ja Jesus dazu herausfordern, seine Macht zu demonstrieren für Gott und gegen die Römer. Das gelang dem Judas nicht, und er nahm sich das Leben. Im Evangelium von heute verschiebt sich der Machtanspruch der Jünger von der Erde in den Himmel. Ich lese noch einmal: „Jakobus und Johannes gingen zu Jesus und sprachen: Meister, wir wollen, dass du für uns tust, was wir dich bitten werden. Er sprach zu ihnen: Was wollt ihr, dass ich für euch tue? Sie sprachen zu ihm: Gib uns, dass wir sitzen einer zu deiner Rechten und einer zu deiner Linken in deiner Herrlichkeit“ (Mk 10, 35-37).
Menschen streiten um den besten Platz im Himmel. Gehört das zu jeder Religion: ein Jenseits mit Logenplatz für die einen und Stehplatz für die anderen - von der Hölle ganz zu schweigen? Müssen wir uns den Himmel verdienen? Gibt es da ein Selektionsprinzip? So klingt es, wenn Jesus davon spricht, er gebe sein Leben als „Lösegeld für viele“. Macht das nicht Angst? Nur „für viele“, nicht „für alle“? Bin ich dabei oder nicht? Inzwischen weiß man, dass die Sprache Jesu für ‚viele‘ und ‚alle‘ dasselbe Wort gebrauchte. Jesus, der immer von der Liebe Gottes sprach, konnte nur gesagt haben: Es geht um das „Lösegeld für alle“.
Wir sehen: Die Übersetzung mit dem selektiven ‚viele‘ ist eine Gemeinheit. Da waren Leute am Werk, die an der Macht bleiben wollten. Derweil singen wir getrost: „Wir kommen alle, alle in den Himmel“. Ich frage mich: Warum nur malen sich Menschen ihre Religion so duster? Sollte Gott wirklich eine solche Macht in die Hand der Priester geben?
All das ergibt eine gefährliche Gemengelage. Sie hat mit zu dem Problem unserer Tage geführt: den weltweiten Missbrauch von Kindern, vor allem durch Priester. Meine katholischen Kollegen werden in der Welt isoliert auf einen Extraplatz. Sie müssen auf die Ehe verzichten, können aber als einzige Brot und Wein in Leib und Blut Christi wandeln - weder Frauen können das noch Protestanten. Ihr ‚Ego te absolvo‘ in der Beichte kann die Himmelstüre öffnen. Was ist das für ein Ego!
Dass Jesus all das nicht wollte, hat sich immer noch nicht ganz herumgesprochen. Er sah, wie „mühselig und beladen“ die Menschen sind unter der Last ihrer Religion. Deshalb stürmte er schließlich den Tempel von Jerusalem und warf alles um, was Opferkult und Macht und Angst bedeutete. Jesus wollte Glück und Freiheit an die Menschen herantragen, soviel nur irgend ging. Aber genau das brachte die Vertreter der Religion gegen ihn auf. Denn wer die Angst aus der Religion nimmt, der raubt ihr die Macht. Er legt denen das Handwerk, die mit der Angst ihre Geschäfte machen.
Deshalb mussten die Priester und die Schriftgelehrten ihn endlich mundtot machen, und mehr als das. Ihnen blieb keine andere Wahl. Nur deshalb nahm Jesus schließlich Leid und Tod auf sich. Er wollte dieser Auseinandersetzung nicht ausweichen und sprach dann in seiner letzten Stunde: „Vater vergib ihnen, die (armen Kerle) wissen nicht, was sie tun“.
Jetzt, kurz vor Karfreitag, ist wichtig: Jesu Tod ist nicht das „Lösegeld“, das Gott einfordert. Jesus warnte davor, jemals wieder mit Gott Geschäfte machen zu wollen im Gefühl der Angst. Nur so darf das Kreuz das zentrale Symbol des Christentums bleiben. Es sagt nichts anderes, als dass der Himmel offen steht, und zwar für alle Menschen dieser Erde. Die Apostel Jakobus und Johannes meinen, sie müssten sich nach vorne boxen, und feilschen um die besten Plätze im Himmel. Damit zeigen sie leider nur eines: Sie haben nicht begriffen, was Jesus wollte. Wie peinlich das ist, merkt schon der Evangelist Matthäus: Er weigert sich, den Text des Markus, den ich vorgelesen habe, ohne jede Korrektur zu übernehmen. Bei ihm sorgt sich die Mutter um die himmlische Zukunft ihrer beiden Söhne. Damit versteckt Matthäus die Karrieresucht der Jünger hinter der verzeihlichen Fürsorge, wie sie jeder Mutter eigen ist.
Eine Religion der Extraplätze lassen heute viele Menschen hinter sich. Gott sei Dank hat der Glaube Jesu Selbstheilungskräfte in sich und setzt sich durch. Ein evangelischer Bischof sagte in unseren Tagen: „Es ist die Hauptaufgabe der Kirche, den Menschen zur Mündigkeit zu verhelfen“. Politisch sind wir schon viel weiter als religiös: Die Allgemeinen Menschenrechte und die UNO wurden selbstverständlich. So frage ich mich: Warum kann die UNO kein Modell sein für die Gemeinschaft der Religionen? Hans Küng, der große katholische Theologe, versucht das seit Jahren mit seinem Parlament der Weltreligionen. Da erledigte sich der Streit um Ehrenplätze im Himmel von selbst.
Immer noch, auch heute im 21. Jhdt. leiden wir unter dem Gefährlichsten, das uns auf Erden bedroht: die Macht in den Händen von Klerikern - denken wir nur an den „Islamischen Staat“, aber auch an die Fundamentalisten anderer Religionen. Nein, es gibt keinen „allein selig machenden“ Glauben. Jesus ging es um das Wohl der Menschen, nicht um das Wohl Gottes. Die Menschen sollen hier auf Erden Platz nehmen und sich an ihrer Schönheit und Würde freuen.
Die Religion der Ägypter bringt dies in einem einzigartigen Bild zum Ausdruck: Die Göttin Isis trägt als ihr Zeichen einen Thron auf dem Kopf. Darauf sitzt weder ein Gott noch ein Priester. Der Thron ist leer. Das will sagen: Gott ist dir wie ein Thron auf Erden. Du darfst dich niederlassen, er gibt dir einen Platz. Er lässt dich zu Würde und Ruhe kommen. Aus der Tiefe dieser 4000 Jahre alten ägyptischen Religion tritt uns ein heilendes Gottesbild entgegen. Glauben wir: Es gibt sie, die Allmacht des Guten. Das war auch Jesu Evangelium.
Dr. theol. Gerhart Herold
1942 geboren in Sachsen, aufgewachsen am Chiemsee, Studium der Theologie, der Musikwissenschaft und der Kirchenmusik in Erlangen und Hamburg, 1972 Promotion im Fach Neues Testament an der LMU München, Gemeindepfarrer in München, verheiratet mit Tina Zabolitzky, zwei Söhne (Mathematiker und Physiker), 1978 Theologischer Referent in der Bayerischen Kirchenleitung (Ausbildung der Theologen), 1984 Hochschulpfarrer und Dozent an der Universität der Bundeswehr München, 1997 Redakteur der Neuauflage des „Evangelischen Erwachsenen-Katechismus“, 2000 Leiter ‚Evangelisches Münchenprogramm’ (eMp, in Kooperation mit McKinsey), 2004 Referent für Theologische Projekte der Kirchenleitung der Evang.-Luth. Kirche in Bayern, 2008 dauernder Ruhestand, lebt in D-83607 Holzkirchen, Deutschland.