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Verschwörst du noch oder meditierst du schon?#


Aus: Gedanken zu Glaube und Zeit Nr. 342/2020

Von

Judith Heizer


Wir haben es nicht leicht momentan.

Die Nachbeben der Pandemie sind spürbar und es lässt sich nicht abschätzen, was da noch kommen wird. Menschen haben ihre Jobs verloren, es knackt und rumpelt im System. Eltern und Lehrer*innen sind erschöpft, manche Wirtschaftssparten liegen am Boden. Der Blick in andere Länder ist nicht urlaubsschwanger, sondern mitfühlend oder ängstlich. Über die Hälfte von uns glaubt an eine "Zweite Welle“, die nach Expert*innen unausweichlich kommen wird.

Der Alltag ist beschwerlicher geworden, mit dem Tragen der Masken über das Abschätzen des Abstands beim Einkaufen oder am Gehsteig. Automatismen wie der Reflex, uns zur Begrüßung die Hand zu geben, brauchen die ständige Erinnerung, es nicht zu tun. Wir sind unsicher, wie wir uns im täglichen Kontakt verhalten sollen, wie nah man sich kommen will, was übertrieben ist und was fahrlässig. Berichte wie jener in Niedersachsen, wo sich gleich nach der Wiedereröffnung mehrere Menschen in einem Lokal infizierten und nun an die fünfzig Personen in Quarantäne sind, lassen uns vorsichtig bleiben. Und dann wissen wir immer noch so wenig über diese Krankheit, um sie für uns greifbar zu machen.

Wer starb nun mit und wer an COVID-19? Wer gehört wirklich zur Risikogruppe? Was ist mit den Kindern?

Wenn uns diese Zeit eines lehrt, dann, dass im Außen wenig sicher ist. Wissenschaft, die Wissen schafft?

"Ich kann nicht verstehen, warum diese Experten nicht zu einer Meinung kommen. Das sind doch Wissenschaftler, oder?", wurde ich letztens leicht ungehalten gefragt. "Warum hat man bei 10 Virolog*innen gefühlt 12 Meinungen?" Weil auch Wissenschaft zu einem Teil Interpretation ist, versuchte ich zu erklären. Du kannst die Bibel lesen und Inquisitor werden - oder Franziskaner, je nachdem. Je geringer die Faktenlage und umso weniger valide Daten, desto mehr Raum bleibt offen für Interpretation. Wir sind es nur nicht gewohnt, keine klaren Fakten zu bekommen. Das macht uns unruhig, es bereitet uns Sorgen. Wenn wir uns auf nichts verlassen können, wem sollen wir denn dann glauben? Wer keinen Fakten trauen kann, verlässt sich auf sein Gefühl. Colts or condoms?

Wenn dieses Gefühl allerdings vor allem Angst ist, dann führt die explosive Gemengelage aus Ängsten, Unsicherheit und Bedrohung zu einem Phänomen, das in Krisen schon immer auftrat und ein menschlich-allzumenschliches ist: Den Verschwörungstheorien. Laut der Verschwörungsszene, die wieder massiven Zulauf hat, ist alles, was rund um Corona passiert, geschickt geplant und eingefädelt. Schlagworte sind Korruption, Geschäftemacherei, Zerstörung der Menschheit, Impfterrorismus und Implantate, Abschaffung der Demokratie, totale Überwachung und anderes. Wer dahinter steckt, bleibt optional: Von der diktatorischen Kontrolle einiger Superreichen bis zu ganzen Ländern, die sich dadurch machtpolitisch neu positionieren möchten. Manche glauben, dass es das Virus gar nicht gebe, es kaum gefährlich sei und von der Politik ausgenutzt werde. Oder von dunklen Mächten kreiert zum Schaden der Weltbevölkerung. Das hat natürlich Konsequenzen auf das Sozialverhalten: Jene, die glauben, das Virus gebe es gar nicht oder werde übertrieben dargestellt, tragen auch weniger Masken. Diejenigen, die an eine Art Biowaffe glauben, stürzen sich auf persönliche Vorbereitung wie Hamsterkäufe, viel Bargeld abheben, Wein und Verhütungsmittel besorgen (der französische Weg) oder Waffen (the American style).

Sehr oft geht diese Ideologie mit Antisemitismus, Rassismus, Sexismus, Nationalismus einher, dem klar zu widersprechen ist. Laut dem Psychoanalytiker und Sozialpsychologen Wilhelm Reich sind das massenpsychologische Phänomene, zumeist aus einer Opferhaltung heraus, denen wir uns zu stellen haben.

Wichtig: Wenn ich von Verschwörungstheorien spreche, meine ich nicht abweichende Meinungen vom Mainstream, kritische Betrachtungen der Berichterstattung oder das Hinterfragen politischer Handlungsmaximen. Dies ist ausdrücklich erwünscht im Sinne von Demokratie und Meinungsvielfalt.

Die Anatomie einer Verschwörung#

Stellt sich die Frage, warum wir das tun? Denn wie gesagt, sich in Krisenzeiten gegen bestimmte Gruppen zu verbünden ist nicht neu. Schon im Mittelalter wurde die jüdische Bevölkerung bereits für die Pest verantwortlich gemacht.

Eine einleuchtende Begründung des Verschwörungsbooms gab mir die Mainzer Sozialpsychologin Pia Lamberty: "Eine Pandemie löst einen sehr großen Kontrollverlust aus, weswegen sich manche Menschen dann in Verschwörungen flüchteten. Wenn Menschen das Gefühl haben, keine Kontrolle zu haben, suchen sie Strategien, um damit umzugehen. Eine Strategie ist, auch da Muster zu sehen, wo keine sind. Eine Verschwörungserzählung strukturiert die Welt. Deswegen gehen Bedrohungen und Unsicherheiten mit einer erhöhten Empfänglichkeit für Verschwörungstheorien einher. Das sieht man beispielsweise nach Terroranschlägen. Experimentelle Studien zeigen aber auch, dass Menschen mit unsicheren Arbeitsverhältnissen mehr Verschwörungen sehen" (Der Spiegel, Nr. 20, 09.05.2020, Wut und Wahnsinn).

Die aktuelle Pandemie ist demnach ein Klima, in dem Verschwörungsideen blühen. Das ließ sich schon bei der Ausbreitung von HIV Anfang der 1980er oder noch früher anhand der Spanischen Grippe nach dem Ersten Weltkriegs beobachten. Und sie fallen auf gedüngten Boden, denn: Mit einer Verschwörungserzählung können wir den Dingen einen Sinn geben. Das macht Ereignisse handhabbarer, als wenn sie einfach zufällig passieren. Denn selbst wenn eine Verschwörungstheorie die Welt auf eine bedrohliche Weise strukturiert, gibt sie Halt und wir fühlen uns nicht mehr so stark den willkürlichen Geschehnissen ausgeliefert. Man glaubt, dahinter zu blicken und zu wissen, wie die Dinge funktionieren. Mir kann man nichts vormachen. Ich weiß Bescheid. Wer anders denkt, wird entweder in Überzeugungsarbeit mit aggressivem Unterton verwickelt oder mit jenem milden Lächeln bedacht, das nur den besonders Naiven zusteht.

Forschungen dazu zeigen weiters, warum ein winziger Erreger und (vermutlich) eine Fledermaus für so viele nicht als Erklärung für Corona ausreichen: Bei großen Ereignissen möchten wir glauben, dass auch ihre Ursachen eine entsprechend große Dimension haben. Als Lady Diana 1997 in Paris ums Leben kam, waren all jene, die an die Banalität eines Autounfalls nicht glauben konnten, überzeugt von einer Aktion des Geheimdienstes – oder davon, dass sie noch lebt.

Interessant ist zudem noch ein zweiter Punkt: Der Glaube an Verschwörung befriedigt auch ein narzisstische Bedürfnis. Das Gefühl: "Ich weiß mehr als die anderen" oder "Ich habe euch durchschaut" (wer immer mit "euch" gemeint ist), gibt uns eine Idee von Einzigartigkeit. Es macht uns besonders, es erhebt uns über die Massen, die alle wie die Lemminge der Regierung hinterher rennen.

Den Zusammenhang zwischen Glaubwürdigkeit einer Botschaft und einer möglichst geringen Anzahl an Mitwissenden macht eine Studie zu Rauchmeldern deutlich: Menschen mit hoher Verschwörungsmentalität waren in einem Experiment eher bereit, der erfundenen Theorie zu glauben, Rauchmelder würden installiert werden, um Menschen krank zu machen, wenn sie erfuhren, dass nur eine Minderheit das auch glaubt. Das machte die Erzählung in ihren Augen glaubwürdiger. Fazit: Wir brauchen in diesen Zeiten mehr denn je Möglichkeiten, uns zu beruhigen und selbst zu regulieren. Wenn das Außen uns mehr und mehr verängstigt und verwirrt, wenn Widersprüchliches zutage kommt, wenn die Orientierung schwerfällt, beginnt es mit dir.

Dann ist es an dir selbst, dir die Möglichkeit zu schenken, dich zu stabilisieren und die Orientierung nicht zu verlieren.

Umso wichtiger ist es zu lernen, in uns selbst ein ruhiges Zentrum der Kraft aufzubauen, in dem wir Ruhe finden, wenn die Angst kommt, um trotz Chaos draußen Frieden im Inneren für uns zu schaffen.

Mein Ratschlag von Herz zu Herz: Wenn du noch nicht damit begonnen hast, finde für dich eine passende Form der Meditation. Es gibt höchst wahrscheinlich keine psychologisch-spirituelle Methode, die weltweit von so vielen namhaften und unabhängigen Wissenschaftler*innen untersucht und in ihrer positiven Wirkung auf so vielen Ebenen bestätigt wurde. Wenn du dazu Hilfestellung oder Tipps brauchst, die findest du hier: https://www.juditheizer.com/goodies. "Meditate. Because some answers can only be found on the inner net."

Ich wünsche dir einen klaren und ruhigen Geist!

DDr. Judith Heizer begleitet als Coach Menschen auf dem Weg zu ihrer beruflichen und privaten Lebensvision.