BLAUSÄURE#
Im Jahr 1927 fand man in verschiedenen Zeitungen ein Inserat vor, dass über ein bewährtes, modernes Verfahren zur Ungeziefer Bekämpfung hinwies. „Bis vor kurzem war das Aus Schwefeln das meist geübte Verfahren. Beim Aus Schwefeln werden aber nur die ausgeschlüpften Tiere und nicht die Brut getötet. Auch schaden die Schwefeldämpfe den Geweben und Farben. Von der hiesigen chemischen Fabrik Dr. A. Jencic & Co. Wien, 3. Bezirk, Erdbergstraße 35, Telefon 91-0-97, wird durch das Blausäure Verfahren mit Zyklon B gegen Wanzen und alles andere Ungeziefer sowie gegen Ratten und Mäuse ein sicher wirkendes Bekämpfungsmittel eingeführt. Die Vertilgung der Motten in Pelzlager, allen Ungeziefers in Industriebetrieben, Hotels und Wohnungen kann ohne jegliche Störung des Betriebes und Schädigung der Einrichtung vorgenommen werden.“
Mit der Blausäure beschäftigte man sich schon lange. So hatte August Vogel im Illustrierten Monatsheft 1858 auf alle Tabakraucher auf zwei neue Bestandteile aufmerksam die er im Tabak vorfand – man erschrecke nicht – Blausäure auch Schwefelwasserstoff. Herr Vogel gibt genau an, wie man sich von dem Vorkommen dieser beiden Substanzen überzeugen kann, fügt aber gleich zur Beruhigung hinzu, dass dieselben im Tabakrauch keineswegs in solchen Mengen vorhanden sind, dass an eine , direkte schädliche Einwirkung auf die Gesundheit durch sie gedacht werden könnte. Der Gehalt an Blausäure fällt nach der Natur der Tabaksorte sehr verschieden aus. In sehr altem abgelagerten Rauchtabak, namentlich aus einer Tonpfeife geraucht, zeigten sich kaum Spuren von Blausäure. Nach den bisherigen Versuchen Herrn Vogels kann im Allgemeinen angenommen werden, dass durch eine gewöhnliche Zigarre dem Organismus ungefähr eben so viel Blausäure zugeführt werde, als durch eine Drachme Bittermandel Wasser.
Im Industrie und Gewerbeblatt 1862 beschäftigte man sich mit Nahrungsmitteln die unangenehm riechen oder schmecken und die man mit Blausäure verändern konnte Der Mandel Sirup, das Kirschlorbeerwasser und fast alle Blausäure Präparate bringen die nämliche Wirkung hervor. Viele Apotheker pflegen die Mörser, worin sie Moschus zerrieben hatten, dadurch zu reinigen, dass sie dieselben mit dem feuchten Teig, dem Rückstand von der Bereitung der Mandelmilch behandeln.Das Kirschlorbeerwasser wurde jüngst von Dr. Autier auch zur Desinfektion der Wunden vorgeschlagen. Der Lebertran wurde in letzter Zeit mittels der Mirban Essence, welche nichts anderes ist als Nitro Benzin desinfiziert. Dieses Verfahren wurde sogar der Gegenstand eines Privilegiums, welches gegenwärtig von einem Apotheker in Paris ausgeübt wird. Die Nachteile dabei, das Hinzubringen einer Substanz zum Tran, deren Wirkung dem tierischen Organismus schädlich ist, und zweitens demjenigen privilegiert zu sein. Aus diesem Grund habe ich versucht, dem Lebertran und Rizinusöl den Geruch mittels Blausäure Präparate zu nehmen.
In der letzten Sitzung der Gesellschaft der Ärzte im Februar 1867, hielt der Gerichtschemiker Dr Schauenstein einen Vortrag über Selbstvergiftung durch Blausäure, aus Anlass eines Falles, wo eine ziemlich beträchtliche Menge Blausäure genommen wurde und der Tod fast augenblicklich nach dem Genuss eintrat. in einem Fläschchen, das der Sterbende noch in der Hand hielt, waren Reste einer Flüssigkeit, welche die chemische Untersuchung als ziemlich konzentrierte Blausäure nachwies. Im Mageninhalt aber, der 26 Stunden nach dem Tode untersucht wurde, war durchaus keine Spur von Blausäure nachzuweisen. Es fand sich nicht einmal der gewöhnlich als charakteristisch angegebene Geruch.Hingegen war eine ansehnliche Menge von Ameisensäure vorhanden. Es hatte sich mithin die Blausäure völlig in Ameisensäure verwandelt, eine Tatsache, welche mit der chemischen Konstitution der Blausäure in so vollkommenem Einklang steht, dass ihr Auftreten im Organismus nicht befremden kann. Diese Tatsache, die bisher nicht beobachtet worden war, ist von großer Bedeutung für die gerichtliche Medizin, indem esnun bewiesen ist, dass Vergiftungen durch Blausäure vorkommen können,und noch im Mageninhalt die Blausäure als solche nicht mehr , wohl aber das Produkt ihrer Umwandlung – die Ameisensäure - nachzuweisen ist, auf welche letztere man bisher keine Rücksicht genommen hatte. Es ist mithin bei der chemischen Untersuchung des Mageninhaltes – so oft der Verdacht einer Vergiftung mit Blausäure vorhanden – auf das Vorhandensein von Ameisensäure Bedacht zu nehmen, um so mehr, da diese in den Stoffen, welche gewöhnlich im Magen gefunden werden nicht vorkommt.
Ein Bericht der Volkszeitung im Mai 1869 befasst sich ebenfalls mit diesem Thema. Die bösartige aller bekannten Gifte ist die Blausäure, denn kein Gift wirkt so rasch. Schon allein der Geruch ist gefährlich und bekommt sofort Kopfschmerzen und andere Zustände. Der Tod erfolgt plötzlich und an der Leichnam zeigt keinerlei Veränderungen, nur der Geruch könnte verräterisch sein.
Über die furchtbare Wirkung der Blausäure sind wir erst in jüngster Zeit durch den kürzlich verstorbenen Prof. Schönbein in Basel aufgeklärt worden.
Die Blausäure muss in das Blut übergehen, je rascher dies geschieht umso schneller äußert sich ihre verderbliche Wirkung. Der augenblickliche Tod tritt ein, wenn man Blausäure direkt in die Ader injiziert. Der Tod durch Blausäure Vergiftung ist eine Art Erstickung.
Während der schwedische Chemiker Carl Wilhelm Scheele 1782 die Blausäure entdeckte, jedoch keine Ahnung von ihrer schrecklichen Wirkung hatte, waren die alten ägyptischen Priester die einzigen Hüter der Wissenschaft, bereits ganz vertraut damit. Allerdings bereiteten sie die Blausäure auf eine ganz andere Weise.
Vor etwa 40Jahren lag dem Medizin-Kollegium in Breslau ein Fall vor, wo der fortgesetzte Genuss einer Mandelmilch die aus Versehen aus bitteren Mandeln bestand, beinahe tödlich geworden wäre.
Vielen wird es kaum bekannt sein, dass der aus Italien unter dem Namen Maraschino so sehr beliebte Likör sowie der Persico, ein Branntwein, das Kirschwasser der Schweizer und der Pflaumenbranntwein Slibowitz blausäurehaltig sind. Trinkt man zu viel davon so können sie trotz ihres angenehmen Geschmackes sehr unangenehme Nachwirkungen haben.
Schon Diascorides der in der Mitte des ersten Jahrhunderts nach Chr. Lebte, sowie andere Schriftsteller des Altertums wussten über die Bittermandel Bescheid.Für sie war z.B. der Pfirsichbaum schädlich und giftig, obwohl seine Früchte so verführerisch waren.
Großes Aufsehen erregte 1830 ein Fall in Paris. Sieben Epileptischen in Bicetre wurde nämlich Blausäure Sirup verordnet. In sieben Minuten nachdem sie davon genossen, lagen alle sieben bewusstlos auf ihren Betten. Der Tod des Ersten erfolgte in 15 bis 20 Minuten, während der Letzte etwas länger lebte.
Bei gewissenhaften Ärzten kam die Blausäure bald in Misskredit.
Aus der Universitätsklinik für innere Medizin des Prof. von Schrötter im allgemeinen Krankenhaus hielt Dr. M. Koritschoner am 14. November 1890 einen Vortrag über die Blausäure und ihre Wirkung auf die Tuberkulose der Lungen.
Die Blausäure wurde zuerst von Scheele 1782 aus dem im Jahr 1794 von Diesbach in Berlin entdeckten Berliner blau sowie aus der Blut Lauge, welche bei der Fabrikation des Berliner blau durch Glühen tierischer Substanzen mit Alkalien gewonnen wird, dargestellt. Im flüssigen Zustand wurde die wasserfreie Blausäure zuerst im Jahre 1815 von Gay Lussac der zugleich ihre Eigenschaften genau ermittelte, ihre quantitative Zusammenstellung festsetzen und einige ihrer Verbindungen untersuchte, dargestellt. Auffallender Weise übersah der Entdecker der Blausäure Scheele ihre Giftigkeit, sie wurde erst 21 Jahre später von dem Apotheker Schrader in Berlin erkannt. Im Jahr 1809 von Ittner eingehend gewürdigt. Nun sind alle Forscher dahin einig, dass der Cyanwasserstoff, das stärkste und am schnellsten wirkende von allen bekannten Giften ist (Schrader, Schaub, Coullon, Emmert usw.) Für den Menschen gilt 0.1 g als absolut tödliche Dosis. Am schnellsten wirkt die Inhalation der Blausäure ihr zunächst kommt die Injektion des Giftes direkt in die Blutbahn. Ich möchte an dieser Stelle bloß jene Wirkungen des Cyan Wasserstoffes besprechen welches uns einen günstigen oder heilenden Einfluss dieses Giftes durch Inhalation desselben auf die Tuberkulose der Lungen erklären und wahrscheinlich machen können. Was die sichergestellte lokal anästhesierende Wirkung betrifft, welche sich bei Einatmung des Cyan Wasserstoffes im Gebiete des Respirationstraktes zeigen müsste so könnte sie uns gewiss eine Verminderung des Hustenreizes und so unmittelbar auch. eine Verminderung des Auswurf vollkommen begreiflich erscheinen lassen. Außerdem besitzt die Blausäure verdünnt, die Eigenschaft bei Berührung der Schleimhaut eine starke Sekretion derselben anzuregen die den zähen Auswurf dadurch erleichtert. Die Reizung der peripheren Vergus Enden in der Lunge durch höchste Stufe der Blausäure reflektorisch tödliche Respiration Stillstand hervorruft, könnte einen gesteigerte Blutzufuhr zur Lunge und das Organ wirkungsvoller ernähren.
Die Blausäure, das geheimnisvolle Gift, hatte immer schon die Fantasie der Menschheit beschäftigt. Kein Wunder, dass der Aberglaube übertriebene Gerüchte über die Wirkung dieses Giftes in die Welt gesetzt hatte. So wurde vermutet, dass die Blausäure ihrem Entdecker das Leben kostete. Der 1742 in Stralsund geborene Apotheker Karl Wilhelm Scheele der im Jahr 1782 das Gift entdeckte starb erst fünf Jahre später. Also war die Vermutung unsinnig. Noch dazu hatte er schon vorher die ebenso gefährliche Arsensäure entdeckt.
In vielen Dramen und Romanen spielt die Blausäure eine wichtige Rolle und diese Helden und Heldinnen lässt man aus Rache daran zugrunde gehen. Die Vorstellungen der Autoren wird oft derart falsch dargestellt da sie keinerlei Ahnung über die Wirkung des Giftes haben.
Das Znaimer Wochenblatt 1910 widmet sich ebenfalls ,wie so viele andere Blätter, der Blausäure und berichtet darüber: „Das wichtigste Arzneimittel, welches Blausäure enthält ist das Bittermandel Wasser. Es enthält auf 700 Teilen Wasser nur einen Teil Cyan Wasserstoff. Trotz dieses geringen Blausäuregehaltes ist es ein sehr beliebtes und geschätztes Beruhigungsmittel. Es beruhigt die Nerven ungeheuer. Noch größer und besser ist seine Wirkung, wenn man Morphium zusetzt. 15 Gramm Bittermandel Wasser und 0.05 – 0.1 Morphium sind sehr beruhigend und heilende Tropfen bei Husten, Lungen- und Herzleiden. Man nimmt von dieser Lösung alle zwei Stunden 20 Tropfen. Gegengift bei Vergiftungen mit Blausäure sind Chlorwasser oder Bleichkalk Lösung.“
Scheele stellte die Blausäure oder richtiger den Cyan Wasserstoff aus dem gelben Blutlaugensalz dar. Erst nach seinem Tod, im Jahr 1798, gelang es dem Franzosen Bertholet, sie aus dem Berliner Blau herzustellen. Seit dieser Zeit führt die Blausäure diesen Namen.
Bereits 1917 wurde über Entlausung mit Blausäure berichtet. „Die Blausäure, die man neuerdings in Deutschland erfolgreich zur Bekämpfung der Mehlmotten angewandt hat, kann auch im Dienste der Heeresleitung sehr nützliche Arbeit leisten, man kann mit ihr erfolgreich im Kampfe gegen die Kleiderlaus, zur Entlausung, herangezogen werden. Das Verfahren besteht darin, dass man zunächst den Raum gründlich absichert; dann stellt man auf seinen Boden einen Blausäure Entwickler einfachster Art: in einer flachen Porzellanschale wird durch Eingießen von Schwefelsäure in Wasser verdünnte, heiße Schwefelsäure hergestellt; solange sie noch heiß ist, setzt man Cyan Natrium zu, herauf beginnt die Blausäure Entwicklung, und die Personen, die die Entlausung ausführen,haben den Raum möglichst rasch zu verlassen.Hat die Blausäure, die sich alsbald reichlich entwickelt, 45 bis 60 Minuten wirken können, so wird der Raum wieder geöffnet und bereits eine halbe Stunde später hat sich dann das darin enthaltene Gas verflüchtigt, so dass der Raum ohne Gefahr wieder betreten und benutzt werden kann. Der Rückstand in der Porzellanschale ist giftig und muss daher beseitigt werden. Die Kosten des Verfahrens sind sehr gering: 100 Kilogramm Cyan Natrium kosten 220 Mark; für den Raummeter braucht man nur 10 Gramm neben 15 Raumzentimeter Wasser. Die Bedenken, die man etwa wegen der Giftigkeit der Blausäure hat, kann man ohne weiteres fallen lassen, denn in den Vereinigten Staaten, wo seit Jahrzehnten Blausäure zur Bekämpfung von Insekten angewandt wird, ist seit sehr vielen Jahren dabei nicht ein einziges Menschenleben durch Blausäure Vergiftung verloren gegangen. Selbstverständliche Voraussetzung ist, dass das Blausäure Verfahren nur von Leuten durchgeführt wird, die damit völlig vertraut sind.“
Tragische Vorfälle haben in der Vergangenheit gezeigt, dass mit dem Gift unvorsichtig umgegangen wurde. So berichtet die Linzer Zeitung 1927 über einen Fall; „Vor dem Umzug einer Reihe von Familien aus den Notwohnungen in der Katzenau in eine von der Stadtgemeinde neu errichtete Siedlung wurde das Mobiliar nach einem neuen Verfahren mit Blausäure gereinigt. Nach dieser Desinfektion der Möbel sind von den Parteien eine Frau und ein vierjähriges Mädchen gestorben. Acht Personen zeigten Symptome einer Vergiftung. Es wurde sofort die Sperre der in Betracht kommenden Wohnungen vorgenommen. Die wahre Ursache der Vergiftungen muss erst festgestellt werden. Inzwischen konnten sieben von den acht in das Spital überstellten Personen wieder entlassen werden. Es wurden Anordnungen getroffen, dass der Fall von einer Kommission genau untersucht werde. Bürgermeister Mehr versicherte einer Deputation der Baracken Bewohner der größten Anteilnahme und gab, wie das „Tagblatt“ mitteilt, bekannt, dass die Entgasung nach dem Blausäure Verfahren sofort unterbrochen wurde und eine Desinfektion nach diesem Verfahren nicht wieder aufgenommen werden darf, bis die Kommission den Grund eruiert hatte.
Der Gemeinderat in Wien hatte im September 1927 vor den Ferien beschlossen, das ehemalige „Hotel Stadt Prag“ anzukaufen und in ein Hausgehilfinnen Heim umzuwandeln. Vor einigen Tagen wurde das Gebäude einer Desinfizierung nach dem Blausäure Verfahren unterzogen. Das Verfahren dauerte sieben Stunden und erfolgte im Beisein des Stadt Physiker Dr. Wielsch und des Branddirektor Ing. Wagner. Das neue Heim wird in kurzer Zeit seiner Bestimmung übergeben.
QUELLE: Woener klinische Rundschau 5. März 1920 S 1, Laibacher Zeitung 1867 6. Februar S 3, Industrie Gewerbeblatt 10. April 1862 S 73, Volkszeitung 23. Mai 1869, Ill. Kronen Zeitung 20. September 1927, Innsbrucker Nachrichten 14. Juni 1858, Forstzeitung 19. Februar 1922, ANNO Österreichische Nationalbibliothek Bild: Graupp
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