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BROTWUCHER#

Wien
Brot Foto Graupp

1930: Große Aufregung im Lager der Brotwucher. Das Kartell will retten, was zu retten ist. Den Kampf kann und wird nur die Hausfrau entscheiden.

Nicht nur in Wien und Graz ist der Brotwucher gebrochen worden, auch in Provinzstädten hat der Kampf um das billige Brot eingesetzt. Richtungs- und beispielgebend ist die Gemeinde von Stockerau vorangegangen, die im kurzen Weg das Preiskartell der Stockerauer Bäcker über den Haufen geworfen hat.

Der amtsführende Vizebürgermeister von Stockerau Nationalrat Rösch, ließ auf Grund des Brotkampfes des „Abend“ den Vorstand der Stockerauer Bäckergenossenschaft zu sich rufen und verlangte von ihm, dass das Brot um 10 Groschen für den Laib und die Semmel um einen Groschen im Preis ermäßigt werden müssen.

Bürgermeister Rösch gab den Bäckern zwei Tage Zeit, um sich zu entscheiden. Nach Ablauf dieser Frist erhielt er von der Bäckergenossenschaft einen Brief, in dem sich die Bäckermeister auf das - Gesetz beriefen, wonach jede Preisverabredung verboten ist. Mit diesem neuesten Schwindel, der auch in Wien von den Kartellgewaltigen praktiziert wird, die bei einer Preiserhöhung nie ein Haar in der Gesetzessuppe finden, wollten die Stockerauer Bäcker dem Verlangen des Bürgermeisters ausweichen.

Bürgermeister Rösch aber wusste sich zu helfen. Er sandte einen Marktkommissar nach Wien, der die vom „Abend“ angeführten Verkaufsstände mit billigem Brot besucht hat und schließlich mit der Bäckerei Müller ein Abkommen traf, wonach diese Bäckerei von gestern an täglich Tausende von Brotlaiben nach Stockerau mittels Lastauto liefert.

Gestern wurden nun auf dem Rathausplatz zum erstenmal diese billigen Brotlaibe und das Kleingebäck verkauft und fanden natürlich reißenden Absatz. In kurzer Zeit mussten aus Wien neue Brotsendungen nachgeliefert werden, und nun wird in Stockerau täglich auf dem Rathausplatz das billige Wiener Brot verkauft.

Der Brotlaib im Gewicht von 1250 Gramm kostet in Stockerau nur 60 Groschen und enthält 40 v. H. Roggenmehl. Die Semmeln, die ein Gewicht von 46 Gramm haben, kosten 6 Groschen. Diese energische Aktion des Bürgermeisters von Stockerau wurde von der Bevölkerung ohne Unterschied der Parteirichtung überaus begeistert begrüßt.

Nur die Bäcker machen natürlich auch in Stockerau ein Riesengeschrei und versuchen, durch falsche Gerüchte das billige Wiener Brot in Misskredit zu bringen, ohne dass deshalb auch nur ein Gramm Wiener Brot weniger verkauft würde.

Auch heute findet der Verkauf bereits statt und wird so lange fortgesetzt werden, bis sich die Stockerauer Bäcker entschließen werden, gleichfalls mit dem Preis herunter zu gehen.

Die bekannte Ankerbrotfabrik hat täglich einen Gewinn von 12.600 Schilling, das sind im Jahr 3,780.000 Schilling und so manchem Wiener wird die Arbeitslosenunterstützung von 18 Schilling entzogen und endet mit Selbstmord in der Donau, oder sie greifen zum Gasschlauch. Aber die Brotfabrikanten dürfen Millionengewinne aus den Taschen der Bevölkerung holen.

Bravo! Das ist endlich einmal eine Tat! Wenn man will. So geht alles. Und wenn dieses Beispiel des Stockerauer Bürgermeisters Nachahmung finden wird, dann ist es zu Ende nicht nur mit dem Brotwucher, sondern mit dem Lebensmittelwucher überhaupt.

QUELLE: Der Abend, 26. August 1930, Österreichische Nationalbibliothek ANNO

https://austria-forum,org/af/Wissenssammlungen/Essays/Historisches_von_Graupp


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