DAS HOTELWESEN#
1911: Die Beherbergung und Verköstigung in der Fremde war seit alters her Sache der Gastfreundschaft. Aber nicht immer war sie eine reine, selbstlose Tugend; im Gegenteil, sie bildete ein auf Gegenseitigkeit begründetes Übereinkommen, wobei jede Partei sowohl der Gastgeber als der Gast zu ihrem Recht, dem später sogar zur Verhütung einseitiger Ausbeutung unter Gesetz gestelltem Gastrecht kam. Wer die Reiseschilderungen er alten griechischen und römischen Klassiker liest, wird aus verschiedenen satirischen Bemerkungen entnehmen können, dass die Inanspruchnahme der Gastfreundschaft im Altertum recht teuer zu stehen kam. Jedenfalls teurer, als selbst, die Benutzung erstklassiger Luxushotels der Neuzeit. Wo sich die Befriedigung zeitweiser Wohn- und Unterhaltsbedürfnisse in der Fremde namentlich als Folge stärkeren Handelsverkehres im breiteren Umfang geltend machte, sind schon im Altertum die Spuren der Entwicklung des Gastwirtschaftsgewerbes deutlich zu erkennen. Mit der Einführung des Postverkehrs und allgemein benützter Reisestraßen erfuhr das Herbergswesen eine einheitlicheren Charakter und die Herberge wurde, was das Hotel heute ist, eine für das Verkehrsleben wichtige und unentbehrliche Einrichtung. Das Gastwirtschaftswesen erreichte eine verkehrs- und volkswirtschaftliche sowie gewerbliche und sozialpolitische Bedeutung, die es in die ersten Reihen der Gewerbe vorrücken ließ. Gleichwohl hat es in Österreich als wirtschaftlicher Faktor noch nicht jene Beachtung gefunden, die es verdient. Die Hotelindustrie gibt einem großen Berufsstand und vielen Hilfsarbeitern lohnenden Erwerb, dem Kapital ein Betätigungsfeld und dem Staat eine reiche Steuerquelle. Der Vorsprung fremder Staaten in der Entwicklung des Hotelwesens lockt viele Österreicher ins Ausland. Als einfache, mittellose junge Kellner ziehen zahlreiche Inländer in die Fremde und schwingen sich durch ihren Fleiß, Energie und Sparsamkeit allmählich zu den ersten Stellungen, oder gar zu Besitzern gastwirtschaftlicher Etablissements auf. Die Tatsache, dass der Gewinn großer Hotelbetriebe im Ausland in die Taschen von Österreichern fließt, erweckt daselbst naturgemäß das Streben, die fremden Unternehmer und Hotelangestellten durch einheimische Kräfte zu ersetzen. Im modernen Verkehrsleben produziert nicht bloß ein Bedürfnis das zur Befriedigung desselben geeignete Organ, sondern es lässt sich auch umgekehrt durch Schaffung eines geeigneten Organs der Verkehr entwickeln. Ein derartiges Verkehrsorgan bildet zweifellos das Hotel. Der Fremde bevorzugt mit Vorliebe solche Orte, die gute, wenn auch einfache Wohnung und Verkostung bieten, während manche herrliche Gegend des Fremdenverkehrs entbehrt, weil sie keine Unterkunft besitzt. Gute Hotels wiegen selbst größere Naturschönheiten zu einem gewissen Teil auf, oder vermögen wenigstens ein bestimmtes Gebiet in die Reisemode zu bringen. Ein überzeugendes Beispiel für die Wahrheit dieser Behauptung gibt das von der Verwaltung der Südbahn im Jahr 1878 errichtete Hotel in Toblach. Der Personenverkehr durch das Pustertal in den ersten Jahren nach der Eröffnung der Bahnlinie war ungemein schwach, trotz der vielen schönen Quertäler mit ihren vorteilhaften Aufstiegen in die benachbarte Hochgebirgswelt, Von Toblach bis Cortina waren damals kaum 50 Fremdenbetten zu finden. Durch private Mittel ließ sich nichts erzielen; erst der Hotelbau der Südbahngesellschaft brachte den Fremdenverkehr ins Ampezzotal. Das selbstverständliche Risiko der Errichtung eines Hotels in einer dem großen Fremdenpublikum noch unbekannten Gegend lässt sich erheblich verringern durch zweckmäßige Wahl des Platzes, richtige Einteilung und Ausstattung des Hauses, Schlichtheit des Baues zweckentsprechende Dimensionen, billigen Betrieb bei tadelloser Leitung und gute Küche. In den Alpen muss ein neues Hotel sozusagen auf das Wachsen angelegt sein. Ein interessantes Beispiel hierfür bildet das Hotel Panhans auf dem Semmering. Allerdings kosten die nachträglichen Erweiterungsbauten viel Geld und fügen sich in der Regel nicht gut in das Gesamtbild ein.
Was uns heute besonders interessiert, ist die Frage, ob die in Österreich bereits vorhandenen Hotels und Gaststätten quantitativ und qualitativ den Anforderungen des modernen Reiseverkehrs entsprechen.
Von der Beantwortung dieser Frage erscheint naturgemäß die weitere Entwicklung des Hotelwesens bezw., dessen Ausgestaltung im wesentlichen abhängig. Zweck dieses Vortrages soll es sein, einen Überblick über die gegenwärtigen Verhältnisse in Österreich und im Vergleich dazu in den wichtigen Fremdenverkehrsländern Europas zu bieten, sowie über die Rentabilität bestehender Hotels und Ertragsfähigkeit neuer Unternehmungen, insbesondere privater Kapitalisten, objektive Aufklärungen zu geben, um sie allenfalls dadurch zu ermuntern, auch diesem wichtigen Zweig der Volkswirtschaft ihre Aufmerksamkeit und ihre Mittel zu widmen und dadurch wieder ernsten und reellen Unternehmern, die über das nötige Fachwissen verfügen, zur Realisierung ihrer Projekte und Reorganisationen zu verhelfen. Vor allem wollen wir die Statistik, und zwar nach dem Stand vom Jahr 1909 zu Rate ziehen.
In 2195 ausgewiesenen Fremdenorten der Monarchie existieren 14.063 zur Beherbergung Fremder geeignete Hotels, Gasthäuser und Pensionen mit einer Zahl von 444.346 Betten. Davon sind Jahresgeschäfte 11.031 mit 153.117 und Saisongeschäfte 3032 mit 70.052 Betten. Die größte Anzahl von Hotels weist Böhmen 3002, Tirol 2951, Niederösterreich 2001 auf; die geringste Anzahl besitzt Dalmatien mit 182 und die Bukowina mit 52. Im Vergleich dazu sei angeführt, dass die Schweiz im Jahr 1905, 1924 Fremdenhotels mit 124.000 Betten und 9840 Reservebetten, somit im ganzen 134.000 Betten, das ist mehr als ein Viertel der in Österreich vorhandenen Anzahl, Paris hingegen 163.211 Hotelzimmer und 3097 möblierte Appartements somit ein Drittel so viel Hotelzimmer aufweist, als die österreichische Monarchie Fremdenbetten besitzt.
Naturgemäß hängt der Bedarf an Hotels von der Dichte der Fremdenfrequenz ab. Die Anzahl der in Österreich 1909 gezählten Fremden beträgt 3,772.081, wovon zirka ein Drittel aus Österreich selbst stammten. Die Summe der Logiertage bezifferte sich 1909 mit 12,390.135, woraus sich ergibt, dass mindestens während eines Monats sämtliche Fremdenbetten der Monarchie besetzt waren. Die Berechnung zeigt aber gleichzeitig, dass im allgemeinen in Österreich quantitativ genügend Hotels und Gaststätten vorhanden sind. Anders liegen die Verhältnisse allerdings teilweise an wichtigen Verkehrsstraßen und in Knotenpunkten des Fremdenverkehrs hinsichtlich der Anzahl erstklassiger und Mittelstandshotels.
Wien hat nach der vor zwei Jahren erfolgten Zählung 144 Hotels, 84 Pensionen und 38 Gasthäuser mit zusammen rund 11.000 Betten. Im Vorjahr sind zirka 603.884 Fremde in den Wiener Hotels abgestiegen.
QUELLE:Der Fremdenverkehr 7. Mai 1911 S. 9,Bild_ I.Ch. Graupp ANNO Österreichische Nationalbibliothek
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