DER GRÜNE SEE#
1894: Zu den Talstrichen, welche seit den letzten Jahren die Sommerfrischler und Touristen in der oberen Steiermark gar mächtig anziehen, zählt in hervorragender Weise das Tragösstal. Dasselbe zweigt vom Mürztal etwa eine halbe Stunde nördlich von Bruck a. d. Mur ab und zieht sich in nordwestlicher Richtung ungefähr 24 km lang hin, bis es im zweiten Pfarrdorf des Tales, zu Oberort, auch Tragöss genannt, seinen Abschluss findet. Die ganze Talfurche durchfließt der Lamming, welcher aus den Berggebieten des Trenchtling, der Griesmauer und der Heuschlagmauer entspringt und eine Reihe seeartiger , hellgrüner Wasserbecken bildet. Das Tragösser Tal, das in seinem Laufe den Namen wechselt, bietet die großartigsten landschaftlichen Kontraste. Die erste Hälfte heißt das Lammingtal, und der Mittelpunkt desselben ist das Pfarrdorf St. Kathrein in der Lamming, welches genau auf halbem Weg des ganzen Talstriches liegt.
Die Landschaftsbilder, die sich uns auf der Wanderung von St. Kathrein aufwärts zeigen, sind voll Anmut und pittoresker Schönheit. Blumenreiche Wiesenmatten wechseln ab mit wogenden Fruchtfeldern deren Hintergründe Wald bedeckte Höhen bilden. Und rückwärts steigen in Riesengröße die gigantischen Formen der Kalkalpen in den blauen Himmel auf, so dass das Gesamtgemälde gleichzeitig den Eindruck des Lieblichen und des Gewaltigen auf den Touristen ausübt. Man mag das Auge und den Blick kaum wegwende von diesen grandiosen Steinwänden und sucht doch gerne wieder im freundlichen Tal die stillen Veduten auf.
Kristallhelle Gebirgsbäche eilen von allen Seiten her ins Tal, und da und dort liegt ruhig ein einsamer kleiner Bergsee, der wie ein Riesenauge emporblickt. Unsere ganze Talwanderung ist überaus reich an Abwechslung der Szenerie, und es wäre schwer zu sagen welcher Teil der fesselndere, romantischere, malerische ist. Der Schlussort des Tales, Tragöss Oberort, ist in den letzten Sommern zu einem Standquartier für Alpinisten, die das Hochschwabgebiet kutivieren wollen, geworden. Die Ortschaften von Bruck weg – Arndorf, Schörgendorf, das kleine Stög, St. Kathrein, Oberdorf, dann Unterort und endlich Tragöss – werden den Sommerfrischlern bei mäßigen Ansprüchen als einfachere Unterkunftsstätten im Gebirgslande wohl genügen. Freilich sind fast alle diese Sommerasyle während der ganzen Saison vollauf besetzt, und würde die Spekulation in diesen Orten immerhin noch ein lohnendes Gebiet der Tätigkeit finden. Eine sehr gesuchte Gastwirtschaft, die aber auch ihre stabilen Sommergäste besitzt, ist das Einkehrhaus „zum Bodenbauer“, von wo man über Etmissl nach Thörl-Aflenz gelangt.
Eine herrliche Alpenpartie ist diejenige in die wilden Schroffen der Messnerin, welche sich an die Felsenkare des Hochschwabzuges anschließt. Hier prägt sich der hochalpine Charakter dieser Kalksteingruppen in überwältigendster Weise aus.
Auch in kunstgeschichtlicher und historischer Hinsicht darf das Tragösstal zu den interessantesten Tälern der oberen Steiermark gerechnet werden. Leser der Rosegger Werke werden sich mit großem Vergnügen an die Lektüre des packenden Roman „Der Gottsucher“ erinnern. Der Dichter hat darin mit poetischer Freiheit ein Ereignis behandelt, welches sich im Jahr 1493 zu Oberort abgespielt hat. Die Waldbauern jener Gegend ermordeten ihren Pfarrer, der überaus streng mit ihnen gewesen ist, am Altar, als er die Messe las. Rosegger entrollt ein Kulturgemälde jener Tage, in dem wir ein farbenreiches Spiegelbild damaliger verwildeter Zustände erblicken. Es ist eine Tragödie im Waldtal, die kaum wo ihresgleichen finden wird.
Wenn wir uns in Tragöss, wo die Unterkunftsverhältnisse ganz gut sind, festsetzen, so werden sich uns der Touren genug bieten, die uns diese grandiose Alpenwelt aufschließen. Eine der lohnendsten bleibt aber gewiss die von Tragöss über den Grünen See zur Pfarreralm und in die Jassing, über Anger zur Neuwaldegg Alpe und von dieser entweder durch die Frauenmauer und über das Neuwaldegg in die Gsoll oder durch den Gsollgraben nach Eisenerz, sechs Stunden.
Wer aber zu einer solch ausgedehnten Wanderung weder Zeit noch Lust hat, der darf unbedingt einen Spaziergang zum Grünen See nicht unterlassen. Auf wohlgepflegten Promenadewegen, durch herrliche Nadelwälder, stets bei guter Markierung schreitet man dahin, anfangs zwischen eingezäunten Wiesenmatten, bald aber sanft emporsteigend, um eben in das vorhin erwähnten Waldreich einzutreten. Schon nach kurzer Zeit erblickt man den zaubervoll schönen Seespiegel unten liegen. Die Wasser dieses Sees, der teils von dunklen Wäldern, teils aber von hoch aufragenden kahlen schroffen Kalkwänden umgeben ist, sind klar und hell, so dass man bis zum Grunde hinabsieht. Malerische Buchten schneiden sich da und dort ins Ufer ein, und die wildromantischen schaurig-schönen Abstürze der Wände der Priebitz geben ein grandioses kaum zu beschreibendes Bild.
Ferdinand Krauss hat in seinem trefflichen Werk: „Die eherne Mark“ die Szenerie am Grünen See nachstehend geschildert: „Man begnüge sich nicht mit dem Anblick des Seespiegels vom Rande der Straße aus, sondern suche, rechts am Beginn des Sees einbiegend, diesen so weit wie möglich zu umgehen. Mit jedem Schrittvorwärts wechselt das zaubervolle Farbenspiel des Seespiegels, welcher bald hellblau, meegrün oder gelbgrün erscheint und mit seinen entzückend schönen Farbentönen lebhaft an die blaue Grotte von Capri erinnert. Im Winter verschwindet der 3.450 ha grosse See, dessen Umgebung schon eine alpine Flora zeigt, nahezu vollends und erscheint erst wieder im Frühjahr, wo er im Juni meist seine schönste Farbenpracht erreicht. Beim Rückweg schlage man bei der Wegteilung den rechts abwärts führenden Fahrweg ein, der gegen Kreuzteich führt. Man erreicht bald, am Talrand hinwandernd ein gemauertes Wegkreuz von 1630 mit Reliefdarstellungen in den vier Nischen, unter welchen sich auch das Hochbild eines Bauern in altsteirischer Tracht befindet. Beim Kreuzteich einer seeartigen Erweiterung der Bäche übersetzt man auf einem Steg das Gewässer und erreicht auf einem Fußweg bald wieder die Straße und auf dieser Tragöss. Der ganze Rundgang erfordert kaum anderthalb Stunden.
Der Besucher, und hätte er auch wenig malerischen Sinn, wird von den Bildern, die der Grüne See, dieser Perle des Tragöss Gebietes bietet, nicht scheiden, ohne von dem Geschauten hoch entzückt, ja überwältigt zu sein.
Da immer mehr Touristen und Sommerurlauber die imposante Gegend aufsuchten wurde am 20.Jänner 1890 eine tägliche Fahrpost Verbindung von Bruck/Mur installiert. Von Bruck erreicht man zu Wagen leicht in drei Stunden, vorbei an all den kleinen Dörfchen, Tragöss. Es eröffnet sich einem eine herrliche Bergwelt, rechts die Messnerin 5787 Fuß, links der Trenchtling, 5466 Fuß als Ausläufer des Hochturn, und in der Mitte die Priebitz 5688 Fuß hoch. Dieser imposante Hintergrund ist es vor allem welcher die Landschaft so reizend macht; doch verleiht ihr auch der auf einer mäßigen Anhöhe liegende uralte, mit Ringmauern umgebene Pfarrhof samt Kirche, ehemals als Jagdschloss im Besitze der Grafen Stubenberg eine hohe Zierde. Sämtliche Gebäude waren dem Verfall preisgegeben, doch sie wurden endlich restauriert und aus den Ruinen fast wie neu erstanden, was vor allem der Generosität des Herrn Otto Mayr von Melnhof als Patron, und der energischen Unterstützung des Baron Vernier und Ing. Steinko zu verdanken ist.
Auch das Kaplanzimmer wurde neu hergerichtet Eine Perle der Naturschönheiten ist der Grüne See
Das Wort Tragöss -Trans Göss, das ist das jenseits der Berge gelegene Göss, dürfte ohne Zweifel vom Nonnenstift Göss bei Leoben abzuleiten sein mit dem es schon im Jahr 1020 in Verbindung trat, in welchem Jahr laut Chronik von Göss das Tragösstal durch Vermittlung des Erzbischofs von Mainz Aribo und Peregrinus, Erzbischof von Köln, durch Fürbitte der Kaiserin Kunigunde zum Nonnenstift Göss gekommen ist.; zu Füßen der Priebitzwände bespülen, seine herrlichen, klaren, wunderschön gefärbten Wellen, in denen sich teils der umgebende Wald, teils die steil ansteigenden Wände des Berges spiegeln. Nicht minder anziehende Punkt sind die Pfarralm, die Jagdgebäude in der Jassing, beide in einer Stunde von Tragöss erreichbar. Für Gichtleidende ist das Klima von Tragöss gerade richtig.
QUELLE: Österr. Alpine Volkszeitung 15. Mai 1924, S 6, ANNO Österreichische Nationalbibliothek, Bilder I.Ch.Graupp
https://austria-forum.org/af/User/Graupp Ingrid-Charlotte/DER_GRÜNE_SEE