DER STIFTSWEIN#
1877: Wer kennt nicht das in seiner altehrwürdigen Schönheit des Stiftes der österreichischen Augustiner Chorherren, 1133 eingesetzt, zu Klosterneuburg? Seit Jahrhunderten hat es von seiner erhabenen Höhe all die bewegten Ereignisse erschaut und überwunden. Der Komplex geht auf eine Stiftung zu Beginn des 12. Jahrhunderts des österreichischen Markgrafen Leopold III. dem Heiligen, der den Grundstein am 12. Juni 1114 legte.
Die berühmtesten Architekten ihrer Zeit, von Carlone, über Strudl, Rothmayer bis Friedrich von Schmidt verewigten sich in diesem beeindruckenden Stiftsbau.
Das Stift als Großgrundbesitzer und Wirtschaftsbetrieb ist außerdem sicherer Arbeitgeber.
In den besten Lagen aller österreichischen Weingebieten besitzt es ausgedehnte Weingärten. Klosterneuburg, Kahlenberg und Weidlingau ist jedem Fachmann als Produktionsstätten edelsten Traubensaftes bekannt und hier dehnen sich die über 100 österreichischen Joch Weinpflanzungen aus, die in einer Weise gehegt und gepflegt werden, die ihres gleichen sucht, die einer aufmerksamen und verständigen Wartung sich erfreuen. Die Reben auf deren Zucht eine besondere Sorgfalt verwendet wird, sind edelster Sorte und es ist eine wahre Freude zu sehen wie rationelle Bewirtschaftung es dahin brachte, dass sich die Fremdlinge sich dort heimisch fühlen, dass sie wachsen und gedeihen und Weine liefern, die den Namen der Klosterneuburger Stiftsweine weit und breit berühmt machen.
Aber auch die Kellerwirtschaft ist eine äußerst sorgsame und von den besten und reellsten Prinzipien geleitet, fördert sie Rebensaft zu Tage, deren Echtheit, Geschmack und Bouquet sie in die Reihen der besten Marken stellt. Und welche Vorräte bergen diese großartig angelegten Kellereien?
Da ruhen Weine, deren Alter Ehrfurcht einflößen, die die Stürme der großen französischen Revolution in ihrem dunklen Verließ mitgemacht haben, die im Laufe der Jahre keine andere Veränderung erfuhren, als dass sie älter und besser geworden. Hier ruhen fast hundert Jahre alte Weine von 1797, dann kommt der Wein aus dem großen Windjahr 1811 und neben ihnen lagern die gesetzteren Sorten von 1834, 1841, 1848, 1852, 1857, 1858 und 1859, die jüngeren aus den 60er Jahren und sie sehen mit einer gewissen Geringschätzung auf die 70er Jahre.
Am 15. November, anlässlich der Heiligsprechung Leopolds, wird das Leopoldifest gefeiert und Teil der Attraktion ist das Rutschen über das bekannte Tausend Eimer Fass, das genau 56.950 Liter birgt.
Das Klosterneuburger Stift macht sich aber auch um die Weinkultur im Großen verdient, es hat eine Weinbauschule Niederösterreich freundlich in seinen Räumen aufgenommen, unterstützt und fördert deren Studien und Versuche, und nutzt die gemachten Erfindungen und Entdeckungen zu seinem und aller Weinproduzenten vorteilhaft aus. Die zu dieser Anstalt gehörigen Baum- und Rebenschule hat sich in der kurzen Zeit ihres Bestehens um die Veredelung der österreichischen Weine im großen Maßstab verdient gemacht; jährlich wandern an die 50.000 Hochstämme nach allen Gegenden des Vaterlandes.
Zum Schluss noch der zahlreichen Auszeichnungen gedenken die diese Weinprodukte auf den verschiedenen Ausstellungen erfuhren, so müssten wir gar viele nennen. Am Tag des heiligen Leopold feiern die Pilger in bester Stimmung durch den köstlichen Tropfen der Stiftskellerei.
QUELLE: Österreichisch-ungarische Cafe- und Gasthaus Zeitung, 1877 H 17, Österreichische Nationalbibliothek ANNO
https://austria-forum.0rg/af/Wissenssammlungen/Essays/Historisches_von_Graupp