ELEKTRISCHE BAHNEN#
1894: Durch den Beschluss des Wiener Gemeinderates, nachdem die Unterhandlungen mit den Konzessionswerbern für elektrische Bahnen bis zur Erledigung der bei der Regierung und dem Parlament noch einzureichenden Petition um das Heimfalls- und Expropriationsrecht unterbrochen werden sollen, ist der Bau solcher Bahnen in Wien und die Einführung dieses anerkannt vollkommensten Verkehrsmittels für große Städte wieder einmal für lange Zeit verschoben worden. Interessant und lehrreich ist es, bei dieser Gelegenheit zu sehen, wie anders die Gemeinde und die maßgebenden Behörden in der ungarischen Hauptstadt, in Budapest, sich zu ähnlichen Fragen verhalten und in wie zielbewusster Weise man dort den Bau neuer städtischer Verkehrswege fördert. Die elektrische Stadtbahn-Aktiengesellschaft in Budapest hat im Verein mit der Budapester Straßenbahngesellschaft ein Projekt für eine 3.5 km lange elektrisch zu betreibende Untergrundbahn ausgearbeitet. Dieses Projekt wurde anfangs dieses Jahres, und zwar am 22. Jänner behufs Konzessionierung eingereicht. Bereits am 12. April fanden die Beschlussfassungen über das Projekt in der Eisenbahnkommission der Gemeinde statt, und am 18. April war die Behandlung des neuen Unternehmens in der Finanzkommission beendet. Am 25. April fand die Behandlung des Entwurfes in der hauptstädtischen Generalversammlung statt und wurden die Grundzüge für den zwischen der Unternehmung und der Gemeinde abzuschließenden Vertrag beschlossen. Am 2. Mai fasste der Baurat seine Entschließung und legte am selben Tag dem Ministerium seinen Bericht vor. Bereits am 4. Mai erscheint die Verfügung des Ministeriums des Innern, dem fünf Tage später die Verfügung des Handelsministeriums betreffend die Trassenrevision folgt. Die administrative Begehung der Bahn fand am 15. Mai statt, und da sich alle maßgebenden Faktoren für das Projekt aussprachen, wurden die Konzessionsverhandlungen mit den Unternehmern bereits am 30. Mai vorgenommen, dabei wurde ur Bedingung gemacht, dass der Bahnbau unter Andrassystraße bis Ende 1895 beendet sein muss, und dass die ganze Bahn zum 1. Mai 1896 in Betrieb gehen soll, Die Konzessionierung der elektrischen Untergrundbahn, der ersten des europäischen im Festlandes, steht also für die allernächste Zeit bevor, und ist der Baubeginn, für den 1. Juli in Aussicht genommen.
Auf diese Weise entstand in Budapest innerhalb der letzten 6 Jahre ein Netz elektrischer Bahnen, dessen Geleise heute bereits 35.6 km beträgt und das im vergangenen Jahr 12,500.000 Personen beförderte. Das gesamte Straßenbahnnetz von Budapest hat sich in dieser kurzen Zeit von 75 km Geleise auf 124 km vergrößert, der Verkehr aber von 13,324.721 Personen im Jahr 1887 auf 32,400.000 Personen im Jahr 1893 gehoben.
QUELLE: Dillinger Reisezeitung, 20. Juni 1894, Österreichische Nationalbibliothek ANNO
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