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GOLDFÜLLFEDERKÖNIG#

Mai 1927: Der Goldfüllfederkönig Ernst Winker steht heute wieder einmal vor dem Strafgericht. Die Staatsanwaltschaft erhob vor mehr als zwei Jahren gegen den Angeklagten die Anklage wegen Verbrechens der Diebstahlsteilnahme.

Er wurde auch vom Landesgericht zu acht Monaten schweren Kerker verurteilt, doch wurde dieses Urteil vom Obersten Gerichtshof aufgehoben. Die im Herbst vorigen Jahres stattgefundene neuerliche Verhandlung im Straflandesgericht wurde nach kurzer Dauer vertagt, weil der Gerichtshof gleich nach Anhörung der Verantwortung des Angeklagten zur Ansicht kam, dass eine Untersuchung des Angeklagten auf seinen Geisteszustand notwendig sei.

Winkler hat nämlich in seiner Verantwortung derart possierliche Dinge über einen in Deutschland begangenen Betrugsversuch bei dem er sich als Graf Henckel-Donnersmarck ausgegeben hatte, erzählt, dass eine ernste Verhandlung über die schwere Anklage überhaupt nicht möglich war, Die nachher erfolgte Psychiatrieung des Angeklagten führte zu der Feststellung, dass Winkler zwar phantastisch veranlagt, jedoch strafrechtlich zurechnungsfähig sei.

Infolgedessen hat er sich nunmehr wieder vor dem Strafgericht zu verantworten.

Der Anklage wegen Diebstahlsteilnahme liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Dem Generalvertreter der Simplo-Füllfedergesellschaft in Hamburg fiel auf, dass die Erzeugnisse dieser Gesellschaft, die Montblanc-Füllfeder vom Goldfüllfederkönig Ernst Winkler in Verkehr gesetzt werden, obwohl er aus geschäftlichen Gründen Winkler niemals beliefert hatte. Es stellte sich heraus, dass diese Füllfedern vom Mechaniker Karl Wurst, der von Anfang 1924 bis Anfang 1925 bei Stern angestellt war, gestohlen wurden.

Wurst gestand, Füllfedern und dazugehörige Bestandteile im Wert von 2000 Schilling nach und nach gestohlen und dem Ernst Winkler um ungefähr 350 Schilling verkauft zu haben,

In die Diebstähle war auch ein anderer Angestellter Johann Hofinger, eingeweiht. Wurst und Hofinger sind nun wegen Diebstahls, Winkler wegen Diebstahlteilnahme angeklagt. Außerdem ist Winkler wegen wiederholter Irreführung der Behörden angeklagt.

Im Vorjahr erregten anonyme Anzeigen, die an verschiedene reichsdeutsche Staatsanwaltschaften und die Wiener Staatsanwaltschaft gerichtet wären, großes Aufsehen, in denen der anonyme Verfasser sich als den Täter des vor vielen Jahren in Karlsruhe begangenen Mordes bezeichnete, deswegen der Rechtsanwalt Dr. Hau seinerzeit zum Tode verurteilt, jedoch begnadigt und nach 17 Jahren Haft aus dem Zuchthaus entlassen wurde. Als nun die anonymen Anzeigen bei der Staatsanwaltschaft einliefen wurden unter anderem auch im Semmeringgebiet eifrige Erhebungen nach dem anonymen Briefschreiber, die aber ergebnislos geblieben sind.

Später meldete sich der Goldfüllfederkönig Ernst Winkler als der Absender dieser Schreiben.

Eine ähnliche Mystifikation der Behörden kam auch während des Marek Prozesses vor.

Der Vorsitzende erhielt eines Tages einen anonymen Brief, in dem sich der Absender als Zeuge des Mödlinger Vorfalles bezeichnet und sich für den Fall der Nichtverfolgung zu einer Aussage vor Gericht erbötig machte. Auch in diesem Fall kam der Verdacht auf, dass es sich um einen neuen Streich des Goldfüllfederkönigs gehandelt habe. In der Verhandlung, die heute erst gegen Mittag beginnt, führt Oberlandesgerichtsrat Dr. Kilhof den Vorsitz, die Anklage vertritt Staatsanwalt S. K. Wagner.

September 1927: Die Affären des Goldfüllfederhändlers Ernst Winkler am Kohlmarkt im ersten Wiener Gemeindebezirk beschäftigen seit 1 ½ Jahren ununterbrochen die Öffentlichkeit. Dem Mann, der es verstanden hat, bei fast jeder großen strafgerichtlichen Affäre die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, kann eine gewisse Geschäftstüchtigkeit und Erfindungsgabe nicht abgesprochen werden. In einem amerikanischen Rahmen wäre aus Ernst Winkler bei seinem ausgesprochenen Talent für Reklame vielleicht ein Dollarmillionär geworden; in Österreich steht er in einem ewigen Kampf mit den Behörden und ist vor einigen Monaten auf Grund einer Anzeige seiner Konkurrenz zu acht Monaten schweren Kerker verurteilt worden.

Dieses Urteil des Landesgerichtes in Strafsachen wurde vom Obersten Gerichtshof auf Grund eines Gutachtens des Gerichtspsychiaters Prof. Dr. Ernst Sträußler, aufgehoben, und Ernst Winkler wurde mit der Begründung freigesprochen, dass er gelegentlich des Begehens der strafbaren Handlung nicht im vollen Gebrauch seiner Vernunft stand.

Das Gutachten des Prof. Sträußler bezeichnete nämlich Ernst Winkler als einen Phantasten, der unter der Wucht der ihn vorwärts treibenden Komplexe das Erlaubte von den Unerlaubten nicht unterscheiden könne.

Mit dem ärztlichen Parere in der Tasche meldet sich nun der Goldfüllfederkönig bereits als Kläger und Angreifer. Er hat mit dem Oberinspektor der Bundesbahnen i, R, Viktor Jeanot am 15. Oktober 1926 einen Darlehensvertrag und einen gerichtlichen Vergleich über Zahlung von 10.650 Schilling abgeschlossen. Nach diesem Vergleich sollte er monatlich 100 Schilling an Prozesskosten, und täglich 20 Schilling als Ratenzahlung auf die Forderung des Herrn Jeanot leisten. Allerdings unter einer sehr schweren Bedingungen. Falls er mit drei Tagesraten im Rückstand verbleiben sollte, wäre ein Terminverlust eingetreten und der Gläubiger konnte zwischen zwei ihm zustehenden Rechten wählen: er sollte entweder als Hauptmieter des Geschäftes des Goldfüllfederkönigs am Kohlmarkt für die Dauer von drei Jahren das Mietrecht übernehmen, oder aber die Exekution gegen Winkler führen

Ernst Winkler klagt nun auf Ungültigkeitserklärung dieses Vergleiches, und zwar erstens weil dieser nach seiner Ansicht gegen die guten Sitten verstoße. Er habe bei Abschluss des Vergleiches in Notlage gehandelt und sei vom Gegner zur Unterschrift gezwungen worden.

In zweiter Linie ficht der Goldfüllfederkönig den Vergleich auf Grund des psychiatrischen Gutachtens des Prof. Dr. Ernst Sträußler an, das dieser über Winkler im Strafprozess abgegeben hatte.

Winkler behauptet, es sei erwiesen, dass ihm zur Zeit des Abschlusses der Gebrauch der vollen Vernunft gefehlt habe, so dass er unfähig gewesen sei, einen gültigen Vertrag abzuschließen. Wohl fungierte bei der Gerichtsverhandlung in seiner Vertretung ein Anwalt. Dieser aber sei ihm von der Gegenseite aufoktroyiert worden, so dass bei Abschluss des gerichtlichen Vergleiches ihm, dem damaligen armen Narren, zwei Anwälte der Gegenseite gegenüber gestanden seien.

QUELLE: Die Stunde, 12. Mai 1927, 30. September 1927, Österreichische Nationalbibliothek ANNO

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