METTERNICH IM EXIL#
1909: Die Zensur und das Spitzelwesen gehörten zu Metternichs Alltag, daher war er der bestinformierteste und zugleich gefürchteste Mann Europas. Der Staatskanzler, am 15. Mai 1773 in Koblenz geboren, war dreimal verheiratet mit Gräfin Maria Eleonore von Kaunitz-Rielberg, mit der Kaunitz Enkelin hatte er sieben Kinder. Freiin Maria Antonia von Leykam, starb bei der Geburt des einzigen Sohnes. Melanie Zichy, die dritte Gemahlin, wurden mit 5 Kinder beglückt. Ihr Name ist auch in Brasilien vertreten durch die Pflanze Zichya.
Fürst Metternichs Macht war gebrochen, sein Einfluss ohne Wirkung und dahin. Am 14. März 1848 informierte die „Wiener Zeitung“, dass Metternich alle seine Ämter niedergelegt habe. Ihm blieb nur der einzige Ausweg, die Flucht. Um sich noch Geld zur Reise zu verschaffen, schickte er seinen Diener zur Staatskasse, doch diesem wurde unter trotzigen und höhnischen Worten die Türe gewiesen und der bisher allmächtige Staatsmann, der Kaiser und Könige in seinem Palast empfangen hatte, musste sogar zufrieden sein, dass sich jemand fand, der ihn und seiner Frau in einem Güterwagen als „Frachtgut“ nach Norden verlud. Ohne genug Essen und Getränke wurde Metternich so in einem Güterzug langsam nach Nordosten befördert, bis er von Frankfurt aus ohne Gefahr durch Holland nach England reisen konnte, das ihm ein freundliches Asyl für die nächste Jahre gewährte, bis die Zustände in seiner Heimat ihm die Rückkehr ermöglichten.
In England traf er den französischen Exilkönig Louis Philipp, dort begegnete er dem Prinzen Louis Napoleon, der damals noch nicht die Erlaubnis hatte, nach Frankreich zurückzukehren. Der Fürst verfolgte mit großer Spannung den Gang der politischen Ereignisse auf dem Festland, und obwohl diese das von ihm errichtete Staatsgebäude vernichteten, war er doch nicht gesonnen, seine Tage in England zu beschließen.
Bereits 1851 hatte man Fürst Metternich infolge der Ereignisse der vorhergegangenen Revolutionsjahre aus dem Gedächtnis ziemlich verloren und der gegen ihn gerichtete Hass war nirgends mehr anzutreffen. So kehrte er denn im Sommer dieses Jahres auf seine Besitzung Johannesberg am Rhein zurück. Zwar ertönten auf der Durchreise durch Köln einige Pfiffe hinter dem greisen Ex-Staatskanzler und seiner Gemahlin, doch blieb er sonst unbehelligt.
Bald besuchte ihn der Herzog von Nassau, ja selbst der König von Preußen und eine Menge von Fürsten, Ministern und Diplomaten. Doch lag diesen Besuchen keine politische Bedeutung zugrunde. Metternich war nur noch Privatperson, von seiner ehemals riesigen Macht war nichts mehr übrig geblieben.
Im Herbst 1851 kehrte der Fürst nach Wien zurück, wo er bis zu seinem Lebensende blieb. Einige seiner Freunde versuchten ihm seinen alten Einfluss wieder zu verschaffen. So wurde gleich nach seiner Rückkehr unter dem Volk das Gerücht verbreitet, der Fürst wolle alle in den Leihhäusern befindlichen Pfänder unter zwei Gulden Wert einlösen. Das Volk stürmte vor die Wohnung des Fürsten; aus den entferntesten Vorstädten kamen die armen Leute mit Pfandzetteln in der Hand. Doch stellte sich alles als unwahr heraus und die enttäuschten Armen mussten mit Gewalt aus der Umgebung des fürstlichen Palastes entfernt werden.
In den folgenden Tagen der Muse widmete sich der greise Fürst wieder dem Studium der Medizin, das er früher eifrigst betrieben hatte. Dabei zeigte er eine Einfalt und Gutmütigkeit, die ihn eine besondere Erholung an Kleinigkeiten finden ließen, die, anfangs unterhaltend, ihm bald wieder zum Ekel wurden. Er vergnügte sich damit, eine Sammlung aller Arten von lächerlichen Dingen, deren er habhaft werden konnte, anzulegen, und er brachte oft ganze Stunden damit zu, diese Sammlung seinen Besuchern zu zeigen, und ihnen die Einzelheiten zu beschreiben. Die Zahl seiner Besucher war nicht gering. Denn abgesehen von den alten Freunden und Dienstgenossen sprachen bei ihm zahlreiche fremde Diplomaten und sonstige hochgestellte Personen vor, unter denen sich Staatsmänner wie Bismarck und Thiers befanden. Leider verhinderte die Schwerhörigkeit des Fürsten ein eigentliches Gespräch, und die Besucher mussten sich mit den Erzählungen des Fürsten begnügen, ohne selbst tätig an der Unterhaltung teilnehmen zu können.
Auch hatte das Gedächtnis des Fürsten bereits merklich nachgelassen; doch seine hagere Gestalt erschien noch ungebeugt von der Last des Alters, und noch immer rechtfertigte seine schöne Erscheinung das Urteil, das ihn früher als den „perfektesten Kavalier“ bezeichnet hatte. Seit dem Tod seiner Gemahlin 1854 war der Fürst hinfälliger geworden. Da warf die Nachricht aus der Schlacht bei Magenta, dem Sieg der Franzosen und Rückzug der Österreicher, ihn vollends darnieder, denn seiner früheren Politik schob man diese Niederlage Österreichs ihm in die Schuhe. Am 11. Juni, eben an dem Tag an dem die Franzosen in Mailand eingezogen, nachmittags, starb der Fürst in einem Alter von 78 Jahren.
QUELLE: Innsbrucker Nachrichten, 11. Juni 1909, Österreichische Nationalbibliothek ANNO
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