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ZUSTÄNDE#

1928: Die Wiener Geschäftswelt ächzt seit Jahr und Tag unter dem roten Steuerdruck. Alle Vorstellungen der Fachleute, dass dieses System schließlich den Ruin der gesamten Wirtschaft herbeiführen müsse, bleiben unberücksichtigt. Die größenwahnsinnigen Allesbesserwisser im Wiener Rathaus zerstreuen alle vorgebrachten Einwände gegen ihr Besteuerungssystem mit der stereotypen Phrase, die Geschäftswelt könne die von ihr verlangten Steuersätze ohne Bedrohung ihrer Existenz aufbringen.

Vor einigen Tagen erregten die unappetitlichen Kontrollmethoden des Rathauses in den Stundenhotels peinliches Aufsehen.

Vor einem Jahr befand sich das Café Capua in Zahlungsschwierigkeiten. Das Geschäft, das viele Jahre hindurch einen glänzenden Reingewinn abgeworfen hatte, ist aber infolge der enorm hohen Gemeindesteuern passiv geworden. Der Gesamtsteuerrückstand betrug 6 Milliarden.

Durch verschiedene Manipulationen versuchte nun der Besitzer, wenigstens einen Teil seiner Einnahmen vor den Fangarmen der Exekutionsorgane zu retten.

Er wurde aber dabei erwischt. Man schrieb ihm dafür eine Steuerstrafe von mehreren Milliarden vor. Binnen kurzer Zeit hatten die Steuerrückstände die phantastische Summe von 12 Milliarden erreicht. Was tat die Gemeindeverwaltung, um diesen Steuerrückstand hereinzubekommen? Breitner verlangte vom Inhaber die tägliche Abfuhr von 40 Prozent der gesamten Losung. Diese irrsinnige Forderung brachte den einst blühenden Betrieb, der bisher mit einem Reingewinn von durchschnittlich 25 bis 30 Prozent gearbeitet hatte, schließlich an den Rand des Abgrundes. Der Besitzer war außerstande, den täglichen Aderlass von 40 Prozent der gesamten Bruttoeinnahmen bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung seines Unternehmens zu überleben.

Er musste das Etablissement sperren, das Personal entlassen.

Um die Milliardenrückstände an Gemeindesteuern einzutreiben, wurde das Café Capua von der Gemeinde Wien übernommen. Man setzte als Zwangsverwalter einen Fachmann im Kaffeesiedergewerbe, den Chef des Café Palmhof, in den Betrieb. Gleichzeitig ließ er die gesamte Kassengebarung von städtischen Beamten überwachen. So kam es, dass die rote Gemeinde Inhaberin eines Nachtbetriebes, also einer Art Bordell, wurde. Das Geschäft ging aber trotz aller Wiederbelebungsversuche von Tag zu Tag schlechter. Anstatt einen Reingewinn abzuwerfen, musste die Gemeinde noch Milliarden draufzahlen. Ende Juni gab Breitner die Schlacht um die Einbringung der zwölf Steuermilliarden endgültig verloren. Das Experiment, das ihm vielleicht einen Wahlschlager hätte liefern sollen, war kläglich mißlungen. Am 30. Juni wurde das Café Capua sang- und klanglos gesperrt.

Was wird jetzt geschehen? Ein Verkauf überschuldeter Betriebe ist unmöglich, weil die Gemeinde Wien vom Betriebsnachfolger die Übernahme sämtlicher Steuerrückstände und Abgaben verlangt, die sein Vorgänger zurückgelassen hat.

Was hat aber der Steuersadist aus den Erfahrungen die er mit dem Café Capua gemacht hatte, gelernt? Die Gemeinde Wien hat er unsterblich blamiert.

Sie verdankt diese Blamage ihrem Finanzreferenten, der durch ein hirnrissiges Steuersystem zum Totengräber vieler Wiener Geschäftsleute geworden ist. Ein Heer von Arbeitern und Angestellten, die infolge Betriebseinstellung abgebaut wurden, verdankt diesem „Proletarierführer“ ihr jahrelanges Elend.

Im Rathaus türmen sich ganze Berge von Stundungsgesuchen. Viele Geschäftsleute, die die Nahrungs- und Genussmittelabgabe die Fürsorgeabgabe sowie die Mehrzahl der anderen Gemeindesteuern nicht termingemäß zahlen können, sind gezwungen, um Zahlungsaufschub anzusuchen. Ihre Steuerrückstände werden von Monat zu Monat größer. Breitner spielt trotzdem den Blinden. Er schickt seine Beamten weiter in die Betriebe und lässt, ohne sich um die Löhne der Arbeiter und Angestellten zu kümmern, den Besitzern die ganze Losung einfach so lange pfänden, bis alle Steuerrückstände bezahlt sind.

Wie nennt man das?

Das ist Enteignung des Besitzes, Raubbau an der Wirtschaft, zielbewusste Verelendung der breiten Arbeitermassen. Dieser Betrug an der Bevölkerung wird von den roten Drahtziehern im Wiener Rathaus als „Sozialismus“, als „stolze Errungenschaft der Demokratie“ gefeiert. Das Opfer sind aber die Arbeiter.

QUELLE: Die Freiheit, 13. August 1928,Österreichische Nationalbibliothek ANNO

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