Über die Zukunft der Informatik (Essay)#
Franz Leberl
Um einen Faktor von 12 Millionen hat sich Computerspeicher seit 1977 verbilligt. 185.000 mal grösser wurden Umsatz und Gewinn von Microsoft seit damals. Von der .Hohen Kunst. des Rechenerbetriebes in grossen Rechenzentren ist Computing in alle Lebensbereiche vorgedrungen, sogar in Kinderzimmer und Seniorenheime. Und aus einer Technologie für Ingenieurleistungen wurde ein Werkzeug zur zwischenmenschlichen Kommunikation, entstand der Motor eines neuen Lebensgefühles.
Wie soll es denn weitergehen?
LEITTECHNOLOGIE COMPUTING
Die Informationstechnologie wir oft als Leittechnologie unserer Zeit. bezeichnet. Sie wirkt als Motor der Innovationen in vielen anderen Technologiefeldern und durchwächst alles menschliche Tun. Die Informatik ist als Wissenschaft der Information wesentlicher Teil der Informationstechnologie und ihr theoretisches Fundament. Es ist wohl davon auszugehen, dass die Rolle einer Leittechnologie so lange gegeben sein wird, als es der Informationstechnologie gelingt, sich selber mit jener Dynamik fortzuentwicklen, die seit ihrem Anbeginn in den frühen 60-er Jahren ungebrochene Geltung hat.
Weil wir davon ausgehen, dass sich diese Dynamik noch viele Jahre fortschreiben wird, vertrauen wir auf eine Fortsetzung in der Rolle der Leittechnologie auch in der Zukunft.
IKT IN ÖSTERREICH EIN GRÖSSER WIRTSCHAFTSZWEIG ALS TOURISMUS?
Computing im Sinne der Informations- und Kommunikatonstechnologien IKT scheint sogar in Österreich zu einem grösseren Wirtschaftsgebiet als der so weithin zelebrierte Tourismus gewachsen zu sein. Ich habe zuletzt im Jahre 2002 die statistischen Unterlagen der Bundeswirtschaftskammer durchsucht und damals bei einem Bruttoinlandsprodukt von Euro 200 Milliarden den Beitrag des Tourismus mit Euro 15 Milliarden (Stichjahr 2000), und jenen für IKT mit Euro 20 Milliarden gefunden (Stichjahr 2002).
Die Dynamik in den Tourismus-Entwicklungen verblasst neben der Dynamik im Bereich IKT. Das verspricht der Informationstechnologie als Motor des Wirtschaftszweiges IKT eine wachsende Bedeutung auch in Österreich. Interessant mag hier ein Hinweis auf die Zahl der im Bereich des .Computing. in Österreich tätigen Firmen sein:
1975.......... 600 Firmen
2000..........20.000 Firmen
Das durchschnittliche Wachstum der Umsätze liegt nach diesen Aussagen bei jährlich 29 %. Als .Wirtschaftszweig. durchwächst die Infomationstechnologie nahezu alle anderen menschlichen Aktivitäten. Welchen Anteil hat denn Informatik beim Entwurf und der Entwicklung des neuen Airbus-380 gehabt? Obwohl mancherorts von einem sagenhaften Anteil im Bereich von 60% gesprochen wird, empfindet man die Flugzeugentwicklung nicht als InformatikT-Thema. Und im Autobau? Da spricht man von 90% aller Innovationen, welche mit Informatik verbunden sind. Was wird denn ein neues Audi-Modell A-8 im Jahr 2010 vom Vorgaenger-Modell aus dem Jahr 2004 unterscheiden, wenn nicht Informatik-Neuerungen?
WIE SIEHT DIE GESELLSCHAFT DIE INFORMATIK?
Die globale Eigendynamik der Informatik-Entwicklung wird durch die gesellschaftlichen Eigenheiten in Österreich gefiltert und damit auch oft behindert. Im folgenden seien einige Beobachtungen und Spekulationen gestattet, welche die heutige Lage charakterisieren und in die Zukunft projizieren.
Im Elfenbeinturm Die Universitäten haben in Österreich vergleichsweise zögerlich auf die internationale Informatisierung der Gesellschaft reagiert. Sogar heute noch beharren manche Vertreter der seit über 100 Jahren an Universitäten verankerten Traditionsingenieurfächer, dass Informatik keine Wissenschaft sei. Damit steckt man gegenüber der Informatisierung unserer Gesellschaft glatt den Kopf in den Sand. Und die Organisation des Universitätswesens bremst ein Hochkommen eines neuen Wissensgebietes durch Verhinderung einer Umverteilung der staatlichen Universitätsbudgets hin zu neuen Themen. Die Informatik ist aber zu einem der klassischen Ingenieurfächer geworden, wenn auch das bei weitem Jüngste. Ohne Umverteilung kann diese neue Thema daher nicht hochkommen.
Wir vertrauen darauf, dass die globalen Entwicklungen in der Informationstechnologie auch das grösste Beharrungsvermögen der Verteter der Traditionsthemen überwinden wird. Auch in den Universitäten wird die Informatik als voll entwickelte Ingenieur- als auch Naturwissenschaft von der information anerkannt werden. Es ist dies nur eine Frage der Zeit und des Generationswechsels.
In den Familien Welche Eltern sind nicht beunruhigt, wenn ihre Kinder endlose Stunden mit ihren Computern beschäftigt sind? Diese Tätigkeiten werden dem passiven Fernsehgenuss gleichgestellt. Ds ist falsch. Die spielerische Auseinandersetzung mit dem Computing bereitet Kinder auf die neue informatisierte Welt vor.
In der Zukunft wird das Verständnis für die guten Folgen der kindlichen Interessen für alle Aspekte des Computing, sei es Spielen, Kommunikation, Internationalisierung, Sprachenvertiefung usw. wachsen. Auch hier sind die fundamentalen Verhaltensweisen Generationen-bedingt beharrend.
In den Schulen Stolz wird ein renoviertes Gymnasium von der Schuldirektorin vorgestellt. .Und in jedem Klassenzimmer gibt es einen Computeranschluss für die Digitalprojektion. Darauf die Frage des Schülervaters: .Und die Schüler-Laptops? Und der Informatik-Unterricht? Und das e-Learning.?
Die Schulen sind gefordert, sich über die globalen Tatsachen der Informatik-Entwicklungen eine Meinung zu bilden und sich selber die Frage zu beantworten, wie sie ihre Absolventinnen und Absolventen auf das Leben in der informatisierten Gesellschaft entlassen sollten. Da besteht sehr grosser Bedarf für intelligentes Handeln. Aber auch hier gilt: die globalen Entwicklungen machen in Österreich nicht halt, und das e-Learning wird die Inhalte und Methoden in den Schulen von Grund auf verändern. Je schneller, desto besser für Österreich.
Technikfeindlichkeit? Die ist in den allgemeinbildenden Schulen geradezu im System verankert. Auf dem Berg ohne moderne Technik, das wird romantisch verklärt. Globale Kommunikation mit Menschen überall und jederzeit, ohne Ansehen von Rasse oder nationalen Grenzen, das hat offensichtlich keinen Stellenwert bei Lehrern, die selber die Informatisierung als Bedrohung empfinden. Das wird sich ändern, wenn eine neue Generation von Menschen im Lehrberuf die Führung übernimmt.
In der Politik Wann hat je ein Politiker gesagt, dass wir mehr technische Doktorate brauchen? Wann hat ein Politiker je darüber nachgedacht, wie sich die Forschungsrate unseres Landes in den festen Universitätsbudgets gegenüber den Budgets für Antragsforschung abbilden sollte? Wann hat ein Politiker je gesagt, wir brauchen mehr Informatik?
Da ist grosser Handlungsbedarf bei der Bewusstmachung der Zusammenhänge zwischen Informatik und Wirtschaft. Aber diese Zusammenhänge werden deutlicher, die politische Bedeutung der Informatik bildt sich in den langen Perioden des Wirtschaftswachstums in den letzten Jahrzehnten ab, es werden diese Perioden mit der Informatisierung begründet und dmait erhält die Argumentationen eine breitere Basis. National wächst die Mündigkeit der und organisieren sich die Bürger, international verbreitet sich die Demokratie.
In der Wirtschaft Es geht uns gut in Österreich. Aber die letzten Jahrzehnte haben gezeigt, dass die Kleinheit des österreichischen Heimmarktes den Welterfolg österreichischen Innovationsgeistes gerade in der Höchsttechnologie behindert. Was wäre denn mit den aufregenden Innovationen des 1955-.Mailüfterl. oder des 1982-MUPID-Bildschirmtextes möglich gewesen, wären diese in Boston oder Palo Alto entstanden?
Der Weltmarkt und die Innovation sind im Blickfeld der Wirtschaft. Dies kann noch besser werden, wenn es uns gelingt, die zunehmend offeneren Grenzen zu nutzen, Nischenmärkte mit Kleinunternehmen via das Internet weltweit zu betreuen und uns als deutliche .Gewinner. der Globalisierung zu positionieren.
Verbesserung muss in der Standesvertretung der mit Informationsverarbeitung befassten Wirtschaft in den Kammern gelingen. Da hinkt die Organisationsdichte sehr der Realität nach, die Bundeswirtsachaftskammer als auch die regionalen Kammern müssen sich neu organisieren, um die Bedeutung der Informatik abzubilden.
In den wissenschaftlichen Vereinen
Die Naturwissenschaften und die Ingenieurthemen sind in Österreich historisch bedingt sehr gut organisiert. Es bestehen selbständige Wissenschaftsforen und Zeitschriften in einem Ausmass, das angesichts der Internationalität der Wissenschaften manchmal überraschen mag.
Demgegenüber hat die Informatik durch die Globalisierung auf eine besondere österreichische Ausprägung der Wissenschaftsforen verzichtet. Die österreichische Computergesellschaft OCG und die Arbeitsgemeinschaft Datenverarbeitung ADV dienen eher einer gewissen Interessensvertretung der mit dem Computing befassten Menschen und Organisationen denn als Wissenschaftsforen.
Wenn die Europäisierung unserer Wissenschaftsszene die regionalen österreichischen wissenschaftlichen Vereine überflüssig macht, dann hat die Informatik hier keinen Handlungsbedarf, denn sie geht mit gutem Beispiel voraus.
In den Verwaltungen e-Government ist in Österreich ein wichtiges Thema, in dem viele Erfolge verbucht werden. Dazu gehören auch die Entwicklungen im Bereiche der e-Health. .Erfolge. sind hier mit Produktivitätssteigerungen und Vorteilen für die Bürger zu messen. Aber in Österreich besteht auch die Sorge über den .Big Brother., den Verlust der Anonymität, die Rasterfahndung, die allgegenwärtige polizeiliche Präsenz, die Videokameras und Datenbanken.
Der allwissende Staat erhält Konkurrenz . die Internet-Suchmaschinen und die dahinter stehenden Weltfirmen wie Google, Yahoo oder Microsoft. Um mit diesen neuen allwissenden Privatunternehmen zurande zu kommen, sind tiefes Nachdenken und intelligentes Handeln gefordert.
DIE DYNAMIK DER ARBEITSPLÄTZE
Es ist heute recht schwierig, die Arbeitsplatzentwicklung in der Informatik und Informationsverarbeitung darzustellen. Im Gegensatz zu anderen Themen ist dieser .Fachbereich. in der Bundeswirtschaftskammer nur am Rande entwickelt. Das ist auch der Grund, dass sich die Softwareindustrie in Österreich im Rahmen des Vereins österreichischer Softwareindustrie VÖSI ausserhalb des Kammerwesens organisiert hat. Dort wurde auch im Jahre 2001 eine Darstellung der Arbeitsplatzdynamik erarbeitet, die allerdings auf eine regelmässige Aktualisierung warten muss.
Die Idee, die Informationsverarbeitung in der Bundeswirtschaftskammer nur im Verbund mit der .Unternehmensberatung. einzurichten, muss verworfen werden. Wenn heute ein Unternehmen gegründet wird, welches sich mit Informationsverarbeitung befasst, so wird im allgemeinen angeregt, dass es sich dem Industriezweig .Elektronik. anschliesst. Dies behindert die Ausprägung einer eigenen Identitiät des neuen Wirtschaftszweiges und ist mit ein Grund, dass die Zahl der Informatik-Arbeitsplätze nur sehr unscharf erfasst werden kann.
Eine Besonderheit für ein so dynamisches Thema ist die Tatsache, dass die Menschen in diesem Wirtschaftszweig jung sind und die Nachwuchsproblematik aus dem Ersatz der durch Pension nachzubesetzenden Arbeitsplätze erst beginnen muss. Diese Erneuerung wird in den nächsten Jahren beginnen und den Bedarf an Akademikern mit Informatikabschlüssen wesentlich erhöhen.
INFORMATION, INFORMATIONSSYSTEME, INFORMATIK, SOFTWARE
Die Verwirrung über die Bedeutung diverser Begriffe zur Informatik wird sich lösen, wenn das Thema älter wird. Informatik ist die Welt der Informationen und des symbolisierten Wissens. Das ist wesentlich breiter als die Begriffe Software oder gar Programmierung, auf welche naiverweise die Informatik in manchen Augen reduziert wird. Sensoren, Software, Netzwerke, Daten und Anwendungsregeln bilden zusammen Informationssysteme.
Wesentliche Fragestellungen in der Informatik greifen in die Philosphie und Logik ein: was ist Kommunikation? Wie entstehen Erkenntnisse? Was ist Lernen? Was ist Vertrauen und wie entsteht es? Wie schaffen wir Grenzen für die Automatisierung der Informationsverarbeitung in Suchmaschinen?
Hier muss sich die Informatik ganz besonderen Herausforderungen für die Zukunft stellen.
TRAGBARES COMPUTING
Ein wesentlicher Innovationsfaktor für die unmittelbare Zukunft ist die Miniaturisierung in Verbindung mit der drahtlosen Breitbandkommunikation und die daraus resultierende Mobilität des Computing. Die heute noch etwas spielerisch und abenteuerlich anmutenden Demonstrationen der Mixed Reality, darunter insbesondere die Augmented Reality aus der Verbindung von Computergrafik, Sensorik, Computervision und natürlichem Sehen braucht vielleicht nur einen Teil des zu erwartenden Verbesserungsfaktors 1000 aus den kommenden 15 Jahren, um in eine breite Anwendung zu wachsen.
Mobil sei in diesem Zusammenhang mit allen Formen der Bewegung der Anwendung gegeben, sei dies der Mensch zu Fuss oder in verschiedenen Fahrzeugen, oder auch in autonom bewegten Fahrzeugen. Welche Innovationen erwarten wir im Autobau? Wie kann Individualität der Person mit der Einhaltung von allgemein gültigen Regeln im Verkehr in Einklang gebracht werden? Was macht der Mensch, was macht die Maschine?
INFORMATIK VERÄNDERT MENSCHLICHES TUN UND ERWEITERT DAS BEWUSSTSEIN
Vor 30 Jahren bezog sich bei den jungen Innovatoren der damals embryonalen Firmen wie Microsoft und Apple der Sense of Possibility auf die Idee, dass Computing den Hohepriestern der Informationstechnologie in den Rechenzentren entrissen und allen naiven Nutzern auf deren Schreibtische gestellt wird. Der Gipfel dieser Entwicklung ist heute in den Internet-Suchmaschinen zu sehen . alle Informationen, überall, jederzeit. Und die Sozialnetzwerke von MySpace, Second Life, Youtube oder Facebook stehen am Anfang.
Wie soll das weitergehen? Wenn in der Tat in den kommenden 30 Jahren die Leistungen des Computing nach den Regeln von Gordon Moore weiter gesteigert werden können, dann wäre dies bis zum Jahre 2037 ein Faktor von 1 Million. Genausowenig wie im Jahre 1977 vorauszusehen war, wie dieser Verbesserungsfaktor die menschlichen Möglichkeiten verändern würde, genausowenig können wir uns heute vorstellen, was eine weitere Vergünstigung um 1 Million zur Folge haben kann.
Eine einfache Aussage ist allerdings schon zu treffen. Die Omnipräsenz des miniaturisierten Computing wird das Sozialverhalten der Menschen verändern, es wird das menschliche Bewusstsein verändern, es wird die Produktivität des Einzelnen potenzieren, es wird den .Digital Divide. zu einem noch grösseren Thema anwachsen lassen, als es heute der Fall ist. Der heutige US$ 100 Laptop, der mit Sonnenenergie betrieben wird, sollte in 30 Jahren die Rolle haben, welche heute die IBM 360-Grossrechner haben interessante Museumsstücke, unglaubliche Erinnerungen an eine seltsame Technologie-Urzeit.
Die Erfassung der genetischen Eigenheiten jedes Menschen steht bevor, sodass von jedem Menschen ein sehr grosser Datensatz entstehen wird. Vielleicht wird es damit notwendig, dass wir uns von den nun schon vertrauten Petabytes an die jenseits der Exabytes angesiedelten Zetta- und Yottabytes gewöhnen müssen? Und wie wird dies auf unsere Beziehungen auswirken, die Partnersuche, die Familienplanung?
INFORMATIK IM JAHRE 2037?
Die letzten 30 Jahre haben gezeigt, welch faszinierendes Potenzial die Informatik-Entwicklungen umsetzen können. Wir müssen annehmen, dass die ungebrochene Dynamik der Informatik in den kommenden 30 Jahren ungeahnte Auswirkungen darauf haben wird, wie wir denken, fühlen, entscheiden, also einfach leben.
Für eine Universität wie die Technische Universität Graz und deren Alumni stellt dies besondere Herausforderungen dar. Denn es gilt, in einer enorm rasch verändernden Welt mit grossen konkurrierenden Initiativen zurande zu kommen. Die Berufsbilder und Ausbildungswege werden sich weiterhin diversifizieren, die Zahlen und Anwendungen werden sich weiterhin vervielfachen, die Neuerungen werden die gesellschaftlichen Möglichkeiten wie nie zuvor unter Druck setzen, die Fähigkeiten zum lebenslangen Lernen werden alle bisher bekannten Grenzen sprengen müssen, das Bekannte wird rascher denn je alt und in Frage gestellt werden.
Visionen sind gefragt, Mut zur Veränderung ist notwendig, Wille zum Experiment erwünscht. Eine Universität, die sich an diesen Notwendigkeiten besser orientiert, wird aus der Masse der Konkurrenzangebote hervorwachsen. Ich wünsche mir, dass es der Technischen Universität Graz gelingt, aus der diffusen Angebotsmasse von Zugängen zum Thema Computing zu neuen Höhen zu gelangen und zu einem Turm hervorzuwachsen.