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"Shenzhen. Die Weltwirtschaft von morgen": Stadt der Zukunft #

Warum ist die chinesische Metropole Shenzhen die modernste Stadt des Planeten? Autor Wolfgang Hirn findet Antworten.#


Von der Wiener Zeitung (25. August 2021) freundlicherweise zur Verfügung gestellt

Von

Christian Ortner


Die Skyline von Shenzhen mit einer Replika des Eiffelturms: Alles scheint hier möglich
Die Skyline von Shenzhen mit einer Replika des Eiffelturms: Alles scheint hier möglich.
Foto: © apa / afp / Francois Bougon

Wenn Politiker die Zukunft besichtigen wollen, reisen sie traditionell ins kalifornische Silicon Valley, den Sitz der größten Konzerne der Digitalbranche, von Apple bis Google. Doch möglicherweise gibt es mittlerweile eine viel bessere Destination in Sachen Zukunft: die chinesische Metropole Shenzhen, bewohnt von rund 20 Millionen Menschen, gegenüber von Hong Kong gelegen. "Wer wissen will, wie - im Guten wie im Bösen - die Welt von morgen aussehen könnte, der muss nach Shenzhen fahren," schreibt der deutsche Journalist Wolfgang Hirn in seinem Buch "Shenzhen", einem Porträt der chinesischen Megacity. "Er wird dann sehen, wie man den Nahverkehr einer Millionenstadt auf Elektro umrüstet, wie Roboter zunehmend den Alltag beherrschen, wo man per Gesichtserkennung schon überall Zutritt hat, wie Drohnen Verkehrssünder verfolgen, wie zwei ortsansässige Konzerne das Gesundheitswesen revolutionieren oder Mülleimer sich via Sensoren melden, wenn sie voll sind."

Liberales Klima#

Autor Hirn, der für verschiedene deutsche Medien seit 1986 aus China berichtet, weiß, wovon er schreibt. Er kennt Land und Leute, hält Distanz, ohne China und sein System in Bausch und Bogen zu verurteilen. Vor allem fasziniert ihn die Zukunftsorientiertheit vieler Chinesen, die nicht bei jeder Innovation die damit verbundenen Gefahren sehen, sondern zuerst einmal die Möglichkeiten. Was Shenzhen von allen anderen Metropolen Chinas unterscheidet, ist das vergleichsweise liberale Klima, das von den kommunistischen Kadern dort bewusst zugelassen wird und in dem viele, auch soziale und teilweise sogar politische Experimente auf lokaler Ebene möglich sind - solange sie das Machtmonopol der KP nicht in Frage stellen. Die Folge: "Nach Shenzhen kommen viele junge Menschen mit unternehmerischen Träumen. Das Faszinosum Shenzhens erinnert mich ein bisschen an das frühere Amerika, das einst das gelobte Land für Leute mit Ideen war."

Es ist eine Welt, die gleichzeitig faszinierend und erschreckend erscheint. So beschreibt Hirn, wie im hypermodernen U-Bahnnetz der Stadt die Gesichter der Passagiere als Ticket fungieren, weil an den Zutrittsbarrieren Gesichtserkennungssysteme überprüfen, ob der Kunde etwa eine Monatskarte hat oder nicht. Oder er beschreibt, wie ein Kollege im Taxi seine Aktentasche mit allen lebenswichtigen Unterlagen liegen ließ, sich an die nächste Polizeistelle wandte, wo sofort mit Hilfe der allgegenwärtigen Überwachungskameras das Kennzeichen des Taxis und damit verknüpft die Handynummer des Fahrers ermittelt wurde, der das verlorene Stück nach ein paar Minuten ablieferte.

Entgegen dem westlichen Vorurteil über chinesische Mega-Metropolen scheint Shenzhen eine durchaus attraktive Stadt zu sein: "Es ist kein monotones Häusermeer wie viele vermuten würden. Shenzhen ist eine sehr grüne Stadt. Es ist eine supermoderne Stadt, wo sich Architekten aus aller Welt austoben dürfen. Und Shenzhen ist zunehmend eine lebenswerte Stadt mit Bars, Galerien, Malls und Restaurants." Detailliert beschreibt Hirn in zehn Kapiteln unterschiedliche Milieus und Menschen der Stadt.

Wer wissen will, wie die Start-up-Szene tickt, wird das zum Beispiel im dritten Kapitel erfahren, im fünften Kapitel beschreibt der Autor, wie sich all die neuen Technologien in Shenzhen zu einer Smart City fügen. Das nächste Kapitel ist dem Verkehr gewidmet und zeigt, wie es Shenzhen als erste Metropole der Welt geschafft hat, alle Busse und Taxis auf Elektrobetrieb umzurüsten. Das achte Kapitel zeigt ein ganz andere Gesicht Shenzhens, nämlich das von Architektur, Mode, Kunstbetrieb, Design und Kultur. Das neunte Kapitel schließlich beschreibt das delikate Verhältnis zum Nachbarn Hongkong. Und im letzten Abschnitt wird das Mammutprojekt "Greater Bay Area" vorgestellt, das nichts weniger als den größten Wirtschaftsraum der Welt kreieren soll - und wohl auch wird.

"Beijing ist die Stadt der Vergangenheit, Shanghai die Stadt der Gegenwart, aber Shenzhen ist die Stadt der Zukunft. Weltwirtschaft von morgen - heute schon zu besichtigen", bringt Hirn seine Diagnose auf den Punkt. Sein Buch ist bemerkenswert hilfreich bei einer ersten Besichtigung aus der Ferne - und macht enorme Lust, selber hinzufliegen.

Sachbuch. Shenzhen. Die Weltwirtschaft von morgen. Campus-Verlag, Frankfurt, 286 Seiten, 25 Euro.

Wiener Zeitung, 25. August 2021


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