Wie funktioniert die EU?#
Otmar Höll
Die Europäische Union (EU) ist weder ein Bundesstaat wie die USA, noch ist sie lediglich eine internationale Organisation, also (nur) eine Institution der besseren Zusammenarbeit von Regierungen, wie die UNO.
Sie ist in der Tat einzigartig (man sagt, sie ist eine politische Einheit „sui generis“ (eigener Art). Die Mitgliedstaaten, welche die EU bilden, geben einen Teil ihrer Hoheitsrechte an die gemeinsamen Einrichtungen der EU ab, um so gemeinsam an Stärke und internationalem Einfluss zu gewinnen, über die keiner von ihnen allein verfügen könnte. Diese gemeinsamen Gremien sind die Kommission, der Ministerrat und das Europäische Parlament.
Neben diesen gibt es noch den Wirtschaft- und Sozialausschuss, den Ausschuss der Regionen, für Rechtskonflikte den Europäischen Gerichtshof und zur finanziellen Kontrolle den Rechnungshof sowie die Europäische Zentralbank. Auch einen Ombudsmann gibt es. Trotz dieser Institutionen, die man auch in demokratisch verfassten Staaten findet, ist die EU nicht wirklich demokratisch verfasst, weil es u. a. keine Gewaltentrennung gibt, weil das Parlament nicht die alleinige gesetzgebende Funktion hat und weil EU-Bürgern keine direkten Rechte gegenüber Brüssel eingeräumt werden.
In der Kommission wird die meiste alltägliche administrative Arbeit erledigt. Sie verfügt über etwa 20.000 Beamte. Sie verwaltet das Budget und wacht über die Einhaltung der EU-Verträge. Sie besitzt Fachausschüsse zur Beratung technischer Detailfragen, erstellt Entwürfe für Richtlinien und andere Entscheidungen. Diese gehen dann zur Entscheidung in den Ministerrat. Nach dessen Zustimmung gehen sie wieder zurück in die Kommission, die nun als ausführendes Organ fungiert. Die Kommission kann entweder selbst die Initiative ergreifen und Vorschläge für den Ministerrat zur Entscheidung erarbeiten, oder der Ministerrat kann die Kommission zur Vorbereitung bestimmter Entscheidungen beauftragen.
Das Parlament hat keine alleinige legislative Funktion, in einigen (immer mehr) Angelegenheiten dürfen die Parlamentarier mitentscheiden, in anderen müssen sie angehört werden, in wieder anderen werden sie nicht einmal gefragt. Sie dürfen keine Initiativen für neue EU-Richtlinien ergreifen und manchmal können sie den Vorlagen nur zustimmen oder sie ablehnen.
Die eigentliche Entscheidungsgewalt liegt bei den Vertreterinnen und Vertretern der Mitgliedstaaten, den Fachministern im Ministerrat, oder in sehr wichtigen Angelegenheiten liegt diese bei den Staats- und Regierungschefs höchstpersönlich, dann tagt dieses Gremium als „Europäischer Rat“, der alleine Grundsatzentscheidungen von größerer Tragweite für die Union treffen kann. Die Staaten haben im Ministerrat unterschiedlich viele Stimmen, große mehr als kleine.
Noch darf die EU sich nicht selbst Geld etwa über eigene Steuern verschaffen, sie bekommt lediglich etwa 1 % des BIPs der Mitgliedsländer als Budget. In geringem Ausmaß erhält sie Einnahmen aus Zöllen. Die ursprüngliche Europäische Gemeinschaft (EG) war zu Beginn ein rein wirtschaftlicher Zusammenschluss von nur sechs Staaten (Frankreich, Deutschland, Italien und den drei Beneluxstaaten) und hatte einen gemeinsamen Binnenmarkt zum Ziel. Weil hiermit noch keine politischen Absichten verbunden waren, reichte es, wenn die Staaten mit einem Veto das Zustandekommen eines für sie nachteiligen Beschlusses verhindern konnten. Die Möglichkeit des Vetos hat auch dazu geführt, dass die Interessen der kleineren Mitglieder in Kompromissen berücksichtigt werden mussten.
Das hat lange relativ gut funktioniert. Mit 15 Teilnehmern (seit 1995) wurde es schon schwieriger. Es fand zunehmend ein „Kuhhandel“ – wechselseitige Unterstützung in Abstimmungen – statt, Sachthemen wurden weniger auf ihre eigene Sinnhaftigkeit hin, sondern aufgrund politischer Opportunität beurteilt; die Verhandlungen dauerten dadurch immer länger. So wurde beschlossen, für einige weniger wichtige Sachgebiete das Vetorecht abzuschaffen und durch eine qualifizierte Mehrheit zu ersetzen. Tatsächlich blieb v. a. in wichtigen Angelegenheiten (wie etwa der Außen- und Sicherheitspolitik, in Steuer- und Energiefragen) das Vetorecht der einzelnen Länder erhalten.
Durch die Erweiterung der Union auf 25 Mitglieder (und in Zukunft sollen noch weitere dazukommen) sind die Entscheidungsverfahren eigentlich nicht mehr effizient genug. Daher wurde versucht, in einem großen, bunt zusammengesetzten „Verfassungsvertrags- Konvent“ die Aufgaben der EU und ihre Entscheidungsstrukturen zu verbessern. Zwar wurde dieser tatsächlich relativ erfolgreich abgeschlossen und von den Regierungsvertretern auch unterzeichnet, aber in Frankreich und den Niederlanden hat die Bevölkerung diesem Verfassungsvertrag nicht zugestimmt, und daher ist sein endgültiges Schicksal ungewiss. Sicher ist allerdings, dass die EU effizientere Entscheidungsstrukturen benötigt.
Dieser Essay stammt mit freundlicher Genehmigung des Verlags aus dem Buch: