Wozu brauchen die Staaten Europas Zuwanderung?#
Josef Kohlbacher
Brauchen wir Zuwanderung? Wo immer in Europa diese Frage gestellt wird, löst sie heftige und überaus kontroversielle Diskussionen zwischen Politikern, in den Medien und in der Bevölkerung aus.
In Umfragen vielfach belegt ist, dass die meisten Bürger von EU Staaten die Meinung vertreten, die Zuwanderung sollte eingebremst, wenn nicht sogar gänzlich gestoppt werden. Bereits in den 1990er Jahren ist Fremdenfeindlichkeit zu einem zunehmenden Problem geworden, haben rechtsgerichtete Parteien in Frankreich, Deutschland, Dänemark, Österreich und anderen EU-Staaten erheblich an Zulauf gewonnen. Zuwanderer werden oft pauschal für eine Reihe von Negativphänomenen in unserer Gesellschaft hauptverantwortlich gemacht: für Arbeitslosigkeit, Lohndumping, stark steigende Kriminalität und Wohnungsmangel. Es ist jedoch anzuzweifeln, ob diese Missstände ohne Zuwanderer im Land nicht auch auftreten würden.
Da das Thema der Zuwanderung extrem stark emotional besetzt ist, ist es überaus schwierig, objektiv darüber zu diskutieren. Österreich und die meisten EU-Staaten haben sich von ihrem Selbstverständnis her niemals als Einwanderungsländer definiert. Dies spiegelt sich sowohl in den Einstellungen ihrer Bürgerinnen und Bürger als auch in der Politik wider.
Wozu also braucht Europa Zuwanderung? Die Antwort ist simpel: Wir brauchen sie aus wirtschaftlichen und aus demographischen Gründen. Aus wirtschaftlichen deshalb, weil sich bereits seit dem Zeitalter der Gastarbeiterwanderung eine klare ethnische Nischenbildung auf den Arbeitsmärkten der meisten europäischen Länder herausgebildet hat.
Zahlreiche Wirtschaftsbranchen könnten ohne die Beschäftigung von Migranten nicht mehr existieren. Klassische Beispiele dafür sind das Baugewerbe, die Hotellerie und Gastronomie, das Reinigungsgewerbe, das Gesundheitswesen, teilweise aber auch der Lebensmitteleinzel- und der Gemüsehandel.
Groß ist auch das Kontingent an „schwarz“, weil nicht offiziell beschäftigten Migrantinnen in Privathaushalten als Haushaltshilfen, Altenpflegerinnen und Kindermädchen. Bosnische Bauarbeiter, serbische Hausbesorger, philippinische Krankenschwestern, türkische Bedienerinnen sowie polnische Serviererinnen erbringen wichtige Leistungen für die Wirtschaft. Sie könnten durch inländische Arbeitskräfte nicht in ausreichendem Maß ersetzt werden. Und welche Inländerin, welcher Inländer möchte heute noch gerne als Bedienerin, als Büglerin oder als Fensterputzer tätig sein?
Ein weiteres Argument, das klar für Zuwanderung spricht, liegt in der demographischen Entwicklung. Geburtenrückgang und steigende Überalterung in ganz Europa bedürfen eines Ausgleichs.
Natürlich soll daneben nicht verschwiegen werden, dass Zuwanderung auch Probleme schafft: auf dem Arbeitsmarkt, im Bildungssektor sowie durch die Wohnkonzentration von Unterschichtmigranten in bestimmten Stadtvierteln.
Kommen immer jene Menschen in die EU, die auf den europäischen Arbeitsmärkten auch wirklich gebraucht werden? Die Antwort fällt ein wenig unsozial aus, ist aber ein klares Nein. Zwar kommen – und dies war bei allen Migrationsströmen in der Menschheitsgeschichte der Fall – zumeist junge Menschen, denn diese sind mobiler und ein Ortswechsel „rechnet“ sich für sie noch. Aber viele verfügen nicht über die Qualifikationen, die in Zeiten steigender Arbeitslosigkeit auf dem EU-Arbeitsmarkt gebraucht werden.
Die Lösung liegt also in einer planvoll organisierten Zuwanderungspolitik. Hier können die Zuwanderungspolitiken klassischer Einwanderungsländer als Vorbilder herangezogen werden. Nach Kanada, in die USA oder nach Australien darf nicht einwandern, wer immer die Lust dazu verspürt, sondern es werden ausschließlich Fachleute mit bestimmten Qualifikationen und Bildungsabschlüssen gesucht. Dies möge Europa als Vorbild dienen!
Ausländeranteil in den EU-Mitgliedstaaten (Eurostat 2004):
Land | % | Land | % |
Belgien | 8,3 | Malta | 2,8 |
Dänemark | 5,0 | Niederlande | 4,3 |
Deutschland | 8,9 | Österreich | 9,4 |
Estland | 20,0 | Polen | 1,8 |
Finnland | 2,0 | Portugal | 2,3 |
Frankreich | 5,6 | Schweden | 5,3 |
Griechenland | 8,1 | Slowakei | 0,6 |
Großbritannien | 4,7 | Slowenien | 2,3 |
Irland | 7,1 | Spanien | 6,6 |
Italien | 3,4 | Tschechien | 1,9 |
Lettland | 22,2 | Ungarn | 1,3 |
Litauen | 1,0 | Zypern | 9,4 |
Luxemburg | 38,6 |
Dieser Essay stammt mit freundlicher Genehmigung des Verlags aus dem Buch: