Verquaderung des Gedenkens#
Dem Trend zur abstrakten Denkmalsetzung ist am ehesten mit einer Portion Expressionismus beizukommen.#
Von der Wiener Zeitung (Sonntag, 24. September 2017) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
Von
Robert Schediwy
Die Frage "Wem und wie sollen wir heute Denkmäler errichten" ist problematischer, als es den Anschein hat. Den Durchschnittsbürger lässt dieses Thema ja in der Regel einigermaßen kalt. Wir sind weit entfernt vom Eifer des 19. Jahrhunderts. Damals sprossen allerorts die Denkmalvereine und bedachten eifrig zivile National- und Kulturhelden wie Dichter, Maler und berühmte Musiker mit Statuen und Büsten. (Gleichzeitig wetteiferten auch die Wohlhabenden mit ihren Privatdenkmälern in den Friedhöfen, aber davon kann hier nur am Rande die Rede sein.)
Die geradezu hektische Denkmalsetzung, vor allem in den etwa gleichzeitig geschaffenen Parkanlagen speiste sich aus dem unbefangenen Selbstbewusstsein des "Dritten Standes", der seine (zumeist männlichen) Kulturheroen den dynastischen Reiterstatuen der Herrscher und ihrer Generäle gegenüberstellte.
Warum ist dieses goldene Zeitalter der Denkmäler 1914 zu Ende gegangen? Was diesbezüglich in der Belle Époque geschaffen wurde, dient zwar zum Teil bis heute als dankbares Fotomotiv, man denke nur an den vergoldeten Johann Strauß im Wiener Stadtpark, aber wir haben gegenüber dem Personendenkmal doch eine gewisse Befangenheit entwickelt. Der Gedanke, etwa Falco oder Thomas Bernhard mit Standbildern aus Stein oder Bronze zu bedenken, hat heute etwas Skurriles.
Aber auch die 2016 erfolgte "Würdigung" des Komponisten Alban Berg neben der Wiener Staatsoper entbehrt nicht eines gewissen unfreiwillig humoristischen Zuges. Die zugehörige Presseaussendung des ORF vermerkt etwa, die neue Skulptur auf dem Herbert-von-Karajan-Platz solle mit ihren drei Schleifen an die drei Komponisten Schönberg, Webern und Gustav Mahler erinnern. Zudem wird vermerkt, das von Wolf D. Prix von Coop Himmelb(l)au und Sophie Grell entworfene, zwei Tonen schwere Denkmal bestehe aus einer Legierung, die auch in der Autoindus- trie verwendet werde. Deutlicher kann Ratlosigkeit wohl kaum zum Ausdruck kommen.
Im Zeitalter der Massenkriege und Massenmorde erweiterte sich die Zahl der denkmalwürdigen Personen und Leistungen auf das Vielfache. Vor allem die Tatsache, "für Volk und Vaterland" das Leben hingegeben zu haben, berechtigte nun wenigstens zu einer kleinen Namensinschrift auf dem heimatlichen Kriegerdenkmal. Die große Zahl der zu erinnernden Opfer führte allerdings notwendig zu einer gewissen Ent- individualisierung. Dafür wuchs die Gesamtgröße der einzelnen Monumente der Erinnerung, vielleicht zum Teil als Nebenprodukt des schlechten Gewissens der Überlebenden, die dem Grauen des Massensterbens um jeden Preis einen Sinn zu geben versuchten.
Die pompösen Memoriale der Siegermächte des Ersten Weltkriegs, namentlich Australiens, Neuseelands und der USA (Sydney, Melbourne, Canberra, Auckland, Kansas City u.a.m.). sind durchaus auch als Ausdruck gesellschaftlichen Unbehagens über das "Verheizen" der Blüte der heimischen Jugend an fernen Kriegsschauplätzen zu deuten.
Die Kriegerdenkmäler der Verliererstaaten erwiesen sich als noch problematischer. Die Vaterländer, für die "unsere Helden" gekämpft hatten, existierten vielfach gar nicht mehr, und das Insistieren der politischen Rechten auf der Behauptung, sie seien "für uns" gestorben, kontrastierte mit dem Bewusstsein, dass es eben nicht so war.
Die zu erinnernden Massen wurden in den großen Diktaturen des 20. Jahrhunderts in symbolischen Denkmalkompositionen monumentalen Charakters gefeiert - wobei zunächst der Zug zu einer gewissen Abstraktion spürbar war (etwa bei Tatlins nicht realisiertem Denkmal der Dritten Internationale). Dann, mit der konservativen, man kann auch sagen: populistischen Kulturpolitik Stalins ab den 1930er Jahren und speziell mit den ungeheuren Opfern des "Großen Vaterländischen Kriegs" kam die Zeit der Riesenstatuen: etwa Muchinas "Arbeiter und Kolchosbäuerin", die in ihrer bewussten Konfrontation mit dem Pavillon NS-Deutschlands eine der Sensationen der Pariser Weltausstellung von 1938 wurde. Komplementär dazu verbreitete sich in naturalistischer Schlichtheit eine Unzahl von Abbildern der großen revolutionären Führer. "Was ist ein Len?" lautete ein DDR-Witz. Antwort: Der durchschnittliche Abstand zwischen zwei Lenin-Denkmälern.
Es war zu viel. So wie die zahllosen, von den totalitären Machthabern zu eigenen Gunsten umbenannten Straßen und Plätze in der Regel rückbenannt wurden, wurde auch die Mehrzahl der Statuen der "großen Führer" nach dem Ende der Diktaturen beseitigt, eingeschmolzen und zerschlagen. Dem Personenkult mit seiner Inflationierung der Denkmäler folgte die damnatio memoriae.
Satirischer Renner#
Für die demokratische Welt ist aber ungefähr seit dem Ende des Ersten Weltkriegs ein gewisses Unbehagen im Umgang mit dem Thema Denkmal festzustellen, das sich in den letzten Jahrzehnten noch weiter verschärft hat. Am Beispiel Wien: Das Denkmal des zweifachen Republikgründers Karl Renner im Rathauspark trägt ausgesprochen satirische Züge. Es stammt freilich auch von einem Künstler, nämlich Alfred Hrdlicka, der nicht gerade als Renner-Freund gelten konnte.
Selbst die bescheidenste Form postumer öffentlicher Denkmalsetzung, die Benennung einer Verkehrsfläche nach berühmten Verstorbenen, gerät seit einiger Zeit gerne zur Schrumpfform: Man achtet heute sehr darauf, mit einer solchen Ehrung nicht allzu viele Menschen zur lästigen Adressenänderung zu zwingen: Die Bruno Kreisky-Gasse, der Julius Raab-Platz und etliche Künstlerplätze vom Herbert vom Karajan-Platz bis hin zum Leon Askin-Platz sind Dokumente dieser Tendenz.
Ein anderer Weg, neue Dimensionen der Denkmalgestaltung zu erschließen, ist jener in die Abstraktion. Beklemmend gelungen ist hier das relativ kleine Denkmal der Deportation hinter der Kathedrale Notre Dame in Paris. Die Beengtheit des Zugangs weckt Assoziationen mit Gefängnis, Ohnmacht und Todesangst.
Missverständnisse#
Um einiges problematischer wird es aber, wenn man die "Verquaderung" des Gedenkens betrachtet, die in den letzten Jahren Mode geworden ist. In Berlin mussten beispielsweise große Anstrengungen unternommen werden, Kinder und Halbwüchsige daran zu hindern, das gigantische örtliche Holocaust-Mahnmal mit seinen hunderten von Quadern als Sportfeld und Abenteuerspielplatz zum Hüpfen und zum Versteckenspiel zu nutzen.
Die Abstraktion wurde hier so weit getrieben, dass der Ernst des Gedenkens bei unbeteiligten jüngeren Personen in Übermut umzuschlagen droht. Nicht ganz zu Unrecht nannte Martin Walser das riesengroße Mahnmal einen "fußballfeldgroßen Alptraum".
Kritisches ist leider auch über Rachel Whitereads Wiener Holocaust-Mahnmal am Judenplatz zu sagen. Der Gedanke, mit den stilisierten Bücherrücken einer unzugänglichen steinernen Bibliothek die Geistfeindlichkeit des Nationalsozialismus zu kennzeichnen, erscheint zwar originell, der karge Klassizismus des tempelartigen, fensterlosen kleinen Gebäudes erinnert aber in fataler Weise an den Stil eines Albert Speer; es fehlt gleichsam nur der Reichs- adler - und die Identifikation der Opfer mit Ästhetik der Unterdrücker wäre vollzogen.
Das 2014 eröffnete "Denkmal für die Opfer der nationalsozialistischen Militärjustiz" am Rande des Wiener Volksgartens und des Ballhausplatzes weckt ähnliche Bedenken wie das Berliner Memorial. In einem Erklärungstext heißt es, die Skulptur Olaf Nicolais "an diesem zentralen Ort der Republik Österreich" greife die klassischen Elemente eines Mahnmals, nämlich Sockel und Inschrift auf, arrangiere diese aber völlig anders als traditionelle Kriegerdenkmäler. Das überdimensionale, liegende "X" bildet einen dreistufigen Sockel, in dessen dritte Ebene die nur von oben lesbare Inschrift eingelassen ist.
Der Text ("ALL ALONE") zitiert ein Gedicht des schottischen Künstlers Ian Hamilton Finlay (1925-2006). Das Zusammenspiel von Sockel und Inschrift inszeniere "die Situation des Einzelnen in und gegenüber gesellschaftlichen Ordnungs- und Machtverhältnissen, bedroht von Anonymisierung und Auslöschung". Ob der unbefangene Betrachter des anthrazitgrauen Steinstufenbaus tatsächlich zu solchen tiefgründigen Überlegungen geführt wird, dürfte aber fraglich sein.
Blickt man zurück auf die Entwicklung des Denkmalgeschmacks während der letzten Jahrhunderte, so begegnet man, wie gesagt, einer Tendenz weg von der figurativen Darstellung und hin zur Abstraktion, die freilich von der Kunst- und Kulturszene stärker getragen wurde als vom allgemeinen Publikum.
Letzteres reagiert in der Regel empört bis verwundert. Im günstigsten Fall ignoriert es die Zurschaustellungen "avancierten" Kunstwollens und widmet ihm nur ein leises Kopfschütteln.
Während der sogenannten "Postmoderne" kam es allerdings zu einem partiellen Wiederaufleben des Geistes des 19. Jahrhunderts, also einer Reaktivierung der figurativen Darstellung. Und teilweise hat sich diese, als "Verkitschung" gegeißelte Tendenz offenbar gehalten. So profilierte sich zwar Barcelona als Hochburg abstrakter Monumente, während Madrid bis heute eine geradezu historistische Denkmalkultur pflegt.
Würdiges Gedenken#
Das Unbehagen an der Abstraktionstendenz der Denkmalgestaltung erscheint jedenfalls in keiner Weise überwunden. Gibt es Auswege? Hier sei eine abschließende These gewagt: Sowohl der Kitschvorwurf wie jener der Belanglosigkeit versagen angesichts der expressionistischen Variante der Denkmalkunst.
Der "brennende Mensch" Anton Hanaks aus dem Jahr 1922 vermag bis heute würdiges Gedenken zu stimulieren - und Gleiches gilt für die mittlerweile in etwa einem Dutzend Nachgüssen vorhandenen "Bürger von Calais" Auguste Rodins. Auch Alfred Hrdlickas zeitweilig heftig umstrittenes Wiener Mahnmal gegen den Faschismus ist hier einzuordnen. Wer in diese Richtung weiter zu gehen versucht, wird wohl richtig unterwegs sein.
Robert Schediwy, geboren 1947, lebt als Sozialwissenschafter und Kulturpublizist in Wien. Verfasser zahlreicher Sachbücher. Unlängst erschienen: "Menschen Mächte Monumente – Architektur Urbanistik Geschichte" (LIT Verlag, Wien 2017).