Ein Privattheater als Todesfalle #
Der Brand des Ringtheaters am 8. Dezember 1881 war eine der größten Katastrophen der Wiener Stadtgeschichte.#
Von der Wiener Zeitung (4. Dezember 2021) freundlicherweise zur Verfügung gestellt
Von
Brigitte Biwald
Profitgier, Bau- und Planungsmängel sowie Sorglosigkeit führten am 8. Dezember 1881 zu einer Brandkatastrophe mit mehr als 400 Toten und Verletzten im Ringtheater am Schottenring 7. Ein Blick in die "Wiener Zeitung" und deren Spätausgabe "Wiener Abendpost" vom 9. und 10. Dezember zeigt die Ausmaße der Katastrophe. Erste Augenzeugenberichte erschienen und man fragte: Wie konnte das Unglück geschehen, warum wurden sämtliche Warnungen ignoriert und wer hat die falschen Handlungen gesetzt?
Die Beschäftigung mit der Baugeschichte des Ringtheaters klärt einiges auf. Im Oktober 1872 erhielten drei private Investoren die Konzession für einen Theaterbau am Schottenring. Zur Beschaffung des Bau- und Betriebskapitals wurde eine Aktiengesellschaft gegründet, deren Ziel selbstverständlich die Erwirtschaftung einer Dividende war. Sicherheitsbedenken, selbst von Architekt Emil von Förster (1838-1909), wurden verdrängt, geplante Brandschutzvorrichtungen auf die lange Bank geschoben. 1874 wurde das Haus mit 1.700 Plätzen als "Komische Oper" eröffnet.
Am 8. Dezember 1881 kam dann, was kommen musste: Durch eine unsachgemäße Vorgangsweise der Bühnenarbeiter bei der Entzündung von Gaslampen zur Bühnenbeleuchtung nahm die Katastrophe unmittelbar vor Vorstellungsbeginn ihren Anfang. Das Feuer erfasste blitzschnell Bühne, Parkett, Logen und die oberen Ränge mit den billigen Plätzen.
Gefährliche Bauten#
Dazu schrieb die "Wiener Zeitung" am 10. Dezember: "Wie nunmehr constatiert worden ist, sind am gestrigen Abend für die dritte und vierte Galerie gegen 600 Karten ausgegeben worden. Wenn man nun bedenkt, daß von diesen beiden Galerien nur ein verschwindend kleiner Bruchtheil der Zuschauer gerettet wurde, daß auch von der zweiten Galerie Viele in den Flammen den Tod fanden, daß selbst Logeninhaber und Besitzer von Parkettsitzen so wie Theaterarbeiter zu Grunde gingen, läßt sich annähernd der entsetzliche Verlust von Menschenleben übersehen."
Die endgültige Anzahl der Toten und der Verletzten konnte nie zuverlässig ermittelt werden. So schwanken die Angaben in den Zeitungen und in der Literatur zwischen 384 und 896 Opfern!
Die Gefahr war bekannt, wie die Überlegungen des Architekten August Prokop, Professor an der Technischen Hochschule in Brünn, belegen. Er hatte seine Erfahrungen nach dem verheerenden Theaterbrand in Nizza im März 1881 gesammelt. In mehreren Aufsätzen in der "Ärztlichen Österreichischen Vereinszeitung" setzte er sich mit der Sicherheit in Theatern auseinander. Man ist erschüttert und erstaunt, zu lesen, dass 1881 auch Theater in Kronstadt, Modena, Montpellier, Spalato, Athen, Belfast, Bologna, Cadiz, Prag und London abbrannten.
Die österreichische Verwaltung nahm den Theaterbrand von Nizza mit seinen zahlreichen Todesopfern zum Anlass, um vor allem in den Wiener Theatern rigorosere Brandvorschriften und bauliche Veränderungen durchzusetzen. Wie Otto Schwarz in seinem Buch "Hinter den Fassaden der Ringstraße" belegt, wurde den Theatern für die Umbauten eine Frist von einem halben Jahr bis zum Herbst 1881 gesetzt. Im Hintergrund gab es allerdings Kompetenzstreitigkeiten zwischen Gemeinde und Statthalterei.
Und so blieb alles beim Alten: Zuschauerraum, Bühne sowie alle Nebenräume des Ringtheaters wurden mit Gaslicht beleuchtet. Die Notbeleuchtung, welche gesondert mit Öl gespeist wurde, war vernachlässigt worden. Trotz verschiedener weiterer Mängel wurde das Ringtheater für den Spielbetrieb freigegeben.
Schon die Planung stand unter keinem guten Stern: Weil der Bauplatz relativ klein war, musste Architekt Förster das Theater turmartig in die Höhe bauen, um eine große und damit rentable Anzahl von Plätzen unterzubringen. Fast die Hälfte der Sitze befand sich im dritten und vierten Rang. Das Haus war ein Labyrinth mit verwinkelten Gängen und vielen engen Treppen. Auch gingen alle Türen nach innen auf.
Die Unglücksnacht#
Die Trennung des Zuschauerraums vom Bühnenhaus erfolgte durch eine Drahtkurtine, als Vorläuferin des "Eisernen Vorhangs". Der Haupteingang des Theaters befand sich am Schottenring und war für das Parterre- und Logenpublikum vorgesehen. Von der Heßgasse erreichte man die Galerie. Für Mitglieder des Kaiserhauses gab es einen eigenen Zugang in der Maria-Theresien-Straße. Nach außen hin wirkte das Gebäude mit seiner Neo-Renaissancefassade imposant, innen gab es elegante Foyers, viel Marmor sowie einen prachtvollen Kronleuchter mit 330 Gasflammen.
Die zweite Aufführung von "Hoffmanns Erzählungen" am Abend des 8. Dezember 1881 war ausverkauft. Wenige Stunden in der Geschichte der Stadt sind so umfangreich recherchiert und dokumentiert worden wie dieser Abend. Die technischen Ursachen der Brandkatastrophe wurden unterschiedlich dargestellt. In der "Wiener Zeitung" vom 10. Dezember wird dieser Bericht von Theodor Giesrau, dem Sekretär des Ringtheaters, wiedergegeben:
"Eine ober der vierten Soffitte hängende Coulisse - ein ausgeschnittener Saalprospekt - hatte augenscheinlich vom Gaslichte der Soffitte Feuer gefangen und dasselbe sich im Nu auf den Schnürboden verbreitet. Es entstand sofort ein dichter Qualm, die Personen auf der Bühne verloren die Geistesgegenwart, und alle Vorkehrungen wurden außer Acht gelassen. Die Beleuchtung der Soffitten geschieht durch eine elektrische Vorrichtung, bei welcher sich in dem tief eingehöhlten Kasten, welcher ober den Soffitten hängt, eine große Gasmenge entwickelt; dadurch entsteht jedesmal beim Anzünden eine große Flamme in der ganzen Länge dieses Kastens. Gestern war der Gasdruck wohl ein größerer wie sonst, und fing die oberwähnte über der Soffitte hängende Gardine von der kolossalen Flamme das verderbenbringende Feuer.
Daß aber das Brandunglück so entsetzliche Dimensionen annahm, dürfte erhobenermaßen darin seinen Grund haben, daß mit der Absperrung des Gasometers völlige Dunkelheit entstand, in den Corridoren und auf den Gängen der Vorschrift entgegen die Öllampen nicht angezündet waren und daß die Notausgänge versperrt waren. So haben sich zwei junge Freunde (...), beide Mechaniker, nur dadurch gerettet, daß sie die Garderobière bestürmten, eine vom vierten Range zu einer in die Heßgasse ausmündenden Stiege führende Noththür zu öffnen. Die Garderobière hatte den Schlüssel zu dieser Thür in Verwahrung."
Nach unkoordinierten Löschversuchen flüchteten die Bühnenarbeiter durch das geöffnete große Bühnenrolltor an der Hausrückseite. Infolge der Luftzufuhr kam es zu einem regelrechten Feuersturm, Panik entstand.
Aber auch vor dem Theater herrschte große Aufregung: "An den Fenstern machten Einzelne Miene, ohne weiters auf das Trottoir hinabzuspringen. Unter den auf der Straße Versammelten erhob sich dagegen ein wilder Lärm und die tausendfältigen Zurufe: ,Noch warten - warten - die Feuerwehr kommt schon - warten!‘" Diese rettete etwa 130 Personen mittels eines Sprungtuches und 70 Personen mit einer Leiter.
Eine folgenschwere Falschmeldung des Polizeirats Anton Landsteiner lautete: "Alles gerettet!" Daraufhin sperrten Wachmänner zunächst den Eingang für Helfer. Als die Feuerwehrmänner dann doch mit Fackeln vordrangen, war es zu spät. Die Toten wurden noch in der Nacht vom Polizeihaus in den Leichenhof des Allgemeinen Krankenhauses gebracht.
Der 44-jährige Eduard von Hofmann (1837-1897), Begründer der modernen Schule der Österreichischen Gerichtlichen Medizin, übernahm mit einigen Kollegen die Identifizierung der Todesopfer auch anhand der Zahnstellung. Untersuchungen ergaben, dass fast alle der vermutlich 400 Brandopfer an Rauchgasvergiftungen gestorben waren, auch diejenigen, die verbrannten. Wer waren diese Menschen?
Dazu die "Wiener Zeitung" am 10. Dezember: "Heute Vormittags wurden 76 Leichen aus dem Innern der noch immer nicht vollständig abgedämpften Brandstätte ans Tageslicht gebracht. Heute Abends betrug die Zahl der zutage geförderten Leichen bereits 287, von denen 116 agnoscirt worden waren. Und noch immer birgt das ausgebrannte Gebäude eine noch unvermittelte Anzahl von Leichen in allen Stockwerken und im Schutte des Parterres. Zu den letzten 11 Agnoscirten gehören: Josephine Holobek, 10 Jahre alt (...)." Es folgten weitere Namen: "Unter den Vermißten befinden sich auch Professoren und mehrere Zöglinge der Frieß’schen Militär-Vorbereitungsschule", darunter Graf Sigmund Festetics.
Wie die angegebenen Adressen zeigen, stammten viele der Verstorbenen aus dem 2. Bezirk, einige aus der Provinz und den noblen Bezirken. Darunter war auch Ladislaus Vetsera, der Bruder von Mary, der späteren Geliebten von Kronprinz Rudolf. Vermisst wurden in der Folge jedoch deutlich mehr Menschen, als man für tot erklärte. Dies hing mit der unkoordinierten Rettungsaktion zusammen: Verletzte wurden in "in die nahegelegenen Häuser gebracht, wo ihnen ärztlicher Beistand zu Theil wurde".
Die Nachwirkungen#
Unmittelbar nach dem Brand wurden einige feuerpolizeiliche Bestimmungen erlassen, die zum Großteil noch heute - 140 Jahre danach - gelten. Vor allem wurde der Eiserne Vorhang zum Brandschutz eingeführt. Schon einen Tag nach dem Feuer erfolgte die Gründung der "Wiener Freiwilligen Rettungsgesellschaft" durch den angesehenen Militärmediziner Jaromir von Mundy (1822-1894) und Graf Johann Wilczek (1837-1922). Heute befindet sich die Zentrale der Berufsrettung im dritten Wiener Gemeindebezirk.
Ein Jahr nach dem Unglück wurde den Verantwortlichen der Prozess gemacht. Im Zuge der Gerichtsverhandlung im Frühjahr 1882 wurden sowohl die Sicherheitsvorkehrungen und Brandschutzeinrichtungen als auch die Fehler des Theaterpersonals thematisiert. Das Urteil - ausführlich nachzulesen samt Begründung in der "Wiener Zeitung" vom 17. Mai 1882 - fiel für Theaterdirektor, Bürgermeister und fünf Personen des Personals eher milde aus. Die Prozessakten liegen im Stadt- und Landesarchiv. "Insgesamt ist das Material auf mindestens acht Archive in Wien verteilt", schreibt die Filmemacherin Maya McKechneay, deren Film "Sühnhaus" 2016 gezeigt wurde.
Anstelle des abgebrannten Theaters ließ Kaiser Franz Josef ein kaiserliches Stiftungshaus, das sogenannte "Sühnhaus" erbauen. Das Zinshaus, in dem Sigmund Freud einige Jahre mit seiner Familie lebte, wurde 1951 abgerissen. Seit 1974 befindet sich dort die Landespolizeidirektion.
Der Brand des Ringtheaters erregte international Aufsehen und führte weltweit zu strengeren Brandschutzmaßnahmen. Dennoch forderte ein Brand am 30. Dezember 1903 in Chicago 602 Menschenleben. Auch dort gingen die Türen nach innen auf ...
Brigitte Biwald, geboren 1951, ist Historikerin. Veröffentlichungen zu den Themen Biographien, Medizin- und Militärgeschichte. Lebt in Perchtoldsdorf.
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