Dorf 4.0: Volkskultur#
(Zu einem Projektabschluß)#
von Martin KruscheAuch ein Dorf hat Kultur, meistens Volkskultur, aber kein Kulturreferat, schon gar kein Kulturbudget, doch eventuell einen Kulturbeauftragten. Es wird gerne gebetet und manchmal macht die Feuerwehr ein Fest. So könnte man eine der Stereotypen-Varianten zusammenfassen, welche gelegentlich mit Provinz assoziert werden, wo man die Provinz als „provinziell“ deutet.
Auf die Darstellung weiterer Klischees kann hier verzichtet werden, sie gehören zum Folklorismus des Landes und sind geläufig. Weniger geläufig ist das genaue Gegenteil davon, obwohl es wenigstens seit den 1980er Jahren in ganz Österreich Beispiele gibt, daß auch abseits der Landeszentren und jenseits größerer Städte relevante Wissens- und Kulturarbeit geleistet wird.
Vor allem in den späten 1980er Jahren und in den frühen 1990ern waren die Gegenwartskunst, aktuelle Literatur, Jazz, Kabarett etc. an vielen Stellen in der Provinz angekommen. Dazu kam, daß etwa Mitte der 1980er „Personal Computers“ (PC) einigermaßen leistbar wurden.
Manche werden sich noch erinnern, auf dem Lande kamen vielfach erst nach dem Zweiten Weltkrieg Strom zum Haus und Wasser ins Haus. Der Kühlschrank hatte Vorrang, danach wurde die Waschmaschine angeschafft, schließlich das Fernsehgerät. Das Radio war schon da. Danach stand ein eigenes Auto auf dem Wunschzettel. (In der zweiten Hälfte der 1950er Jahre kostete ein hochwertiger Waschvollautomat etwa gleich viel wie ein Puch-Auto.)
Österreich war ab den 1990ern an Internetprotokoll angebunden. (Im August 1990 ist die erste 64kb TCP/IP Standleitung zwischen der Universität Wien und dem CERN initiiert worden.) Das „Netz der Netze“ begann, die Haushalte zu verknüpfen, wo es vorher ähnliche Anbindungen nur an Universitäten, in großen Betrieben etc. gegeben hatte. (Siehe dazu auch die „Sehr persönliche Ergänzung" von Hermann Maurer, Oktober 2016!)
In der ersten Hälfte der 1990er verfügten schon viele Menschen zuhause über ihren eigenen PC und bald wurde ein Zugang zum WWW (World Wide Web) erschwinglich. Zu der Zeit, waren, wie erwähnt, zeitgenössische Kunstformen längst auf dem Lande angekommen. Durch die Ausbreitung einer internetgestützten Netzkultur erfuhren anschließend kulturelle Bestrebungen in realer sozialer Begegnung vielfache Verstärkung.
Das ist ein Stück Hintergrundfolie zu der kleinen Konferenz Ende Juni 2017 in der Kanzley von Schloß Freiberg, wo Unternehmer Ewald Ulrich für die Kulturinitiative Fokus Freiberg durch sein Engagement den Lauf der Dinge sichert. Dieses Treffen war einerseits auf die nahe Zukunft gerichtet und auf ein kommendes Kunstsymposion, das in kollektiver Kulturarbeit realisiert wird: „Artist Is Obsolete: Kunst & Technik“.
Dieses Treffen war andrerseits der formelle Schlußpunkt eines eher ungewöhnlichen LEADER Kulturprojektes. Jenes von der EU mitfinanzierte Vorhaben in Ludersdorf-Wilfersdorf trug den Titel „Volkskultur 4.0: Eine Positionsbestimmung“ (Projektkurzbeschreibung).
Literaturrecherche, zahlreiche Arbeitsgespräche, eine große Veranstaltung (das „Aprilfestival“) Reflexion und weiterführende Konzeptarbeit wurden von einer permanenten Dokumentation im Web begleitet. Siehe dazu: „Warum Volkskultur?“ Spezielle Notizen zu einem Teilprojekt in der Region.
Daraus ergab sich eine Reihe von Arbeitsschwerpunkten, die nun von mehreren Kulturinitiativen gemeinsam weiter verfolgt werden. Der Blick in die unmittelbare kulturelle und sozialgeschichtliche Vergangenheit soll bei der Orientierung helfen. Was vor uns liegt, hat ein paar sehr markante Stellen, eigentlich Problemfelder.
Da ist längst eine neue Landflucht in Gang, die das Leben auf den Dörfern weiter verändern wird. Da hat andrerseits die Technologie uns eine neue Info-Sphäre geschaffen, die das alte „Verhältnis Zentrum-Provinz“ umstößt. Da vollzieht sich eine nächste Automatisierungswelle, die derzeit als Vierte Industrielle Revolution thematisiert wird und unser Leben angeblich völlig verändern wird.
Nicht zuletzt gehen wir gerade auf das Jahr 2018 zu, in dem an 1918 zu denken ist, da Österreich als Imperium endete und der Ausweg aus den damaligen Wirrungen in den Faschismus führte, was bis heute eine Reihe von Konsequenzen zeigt, die im Ringen einer Europäischen Union um ihren Zustand mehr als nur beiläufige Relevanz haben.
So hat zum Ende des gelaufenen Ludersdorfer Projektes zur Volkskultur eine offene Arbeitsgemeinschaft zusammengefunden, die Ergebnisse dieses Projektes aufgreifen will und weiterführt, was sich bisher erreichen ließ:
- Blogmobil, Heimo Müller (link) (facebook)
- Fokus Freiberg, Ewald Ulrich (link) (facebook)
- GISAlab, Mirjana Peitler-Selakov (link)
- KulturBüro Stainz, Ursula Glaeser (link) (facebook)
- Kultur.at/Kunst Ost, Martin Krusche (link) (facebook)
- TU Graz/Austria-Forum, Hermann Maurer (link) (facebook)
Diese kulturellen Aktivitäten beziehen noch andere Kommunen ein und sind unter dem Begriff „Dorf 4.0“ zusammengefaßt. Das wird folglich weiterhin ein Zusammenwirken von Kunst, Wirtschaft und Wissenschaft sein. Das handelt vom Bemühen, jene Kontinuitäten zu begreifen und darzustellen, die sich innerhalb von Volkskultur, Popkultur und Gegenwartskunst auftun. Das soll sich auch weiter in einem Wechselspiel zwischen Zentrum und Provinz entfalten, wobei wir davon ausgehen, daß dieses Verhältnis in unserer Wissens- und Kulturarbeit von Augenhöhe bestimmt ist.