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Ein letzter Weg#

(Regina ist gegangen)#

von Martin Krusche

Das Leben ist uns selbstverständlich. Wir sind durch Sicherheit verwöhnt und in vorzüglichen Lebensbedingungen geborgen. So zeigt sich aber nur ein kleiner Teil der Geschichte. In eben diesen Zusammenhängen bleiben wir Menschen sehr verletzlich. Das müssen die meisten unter uns über etliche Jahrzehnte nicht genauer ergründen. Manche erhalten aber diese Bürde auferlegt, daß eine Krankheit sie aus dem Leben zerrt. Nicht wie ein Schlag, der plötzlich allem ein Ende setzt, sondern als eine kriechende Anfechtung des eigenen Lebens, der man über längere Zeit ausgesetzt ist.

Regina Kedl, vormals Tlapak, im Jahr 2007. (Foto: Martin Krusche)
Regina Kedl, vormals Tlapak, im Jahr 2007. (Foto: Martin Krusche)

Es ist ein Schrecken in dieser Unerbittlichkeit, dem sich Menschen in der Umgebung Betroffener gerne entziehen. Dieser Schrecken wird von einem Mysterium genährt. Damit meine ich den Schmerz, der alle Grenzen sprengen kann und darin dann keine Mitteilung mehr für uns hat, außer diese: Ich verschlinge dich!

Weil wir all das ganz zu Recht fürchten, haben wir als Gesellschaft offenbar aufgehört, einen angemessenen Umgang damit zu pflegen, eine Art Kultur des Verlöschens zu sichern, in der Betroffene mit derlei radikalen Erfahrungen nicht allein bleiben müssen.

Und dann erreicht einen unerwartete Nachricht. So eine Botschaft geht oft seltsame Wege. Ich kann nie genau sagen, welches Gewicht sie hat. Nun wurde mir erzählt, Regina Kedl (vormals Tlapak) sei gestorben. Ich hatte die erfahrene Goldschmiedin vor Jahren aus den Augen verloren. Das ist vielleicht ein wenig irritierend, wenn man einrechnet, daß ich ihr Trauzeuge war, als sie Peter geheiratet hat.

Es war ein heißer Sommer und manchmal spricht heute noch jemand davon, daß ich ein Trauzeuge in kurzen Hosen gewesen sei, was bei uns eigentlich nicht üblich ist. Darin liegt auf jeden Fall ein Hinweis darauf, daß wir, Regina und ich, uns damals gut gekannt haben.

Es waren Jahre, in denen zu klären gewesen ist, wie ein Leben in der Kunst gelingen kann. Das bedeutet freilich, nicht in Sicherheit zu leben, denn solche Berufe erfordern rigorose Konsequenzen darin, sich selbst zu erkunden und mit den daraus gewonnenen Klarheiten den anderen Menschen zu begegnen.

Das gilt in unserer Gesellschaft als anfechtbare Position. Wir sind alle die Urenkel von Untertanen. Da war klar geregelt, wer wem etwas ausrichten darf und wer zu lauschen hat, wenn Höhergestellte sprechen. Solche Prägungen sind nicht in zwei, drei Generationen abgeschüttelt.

Ein Leben in der Kunst, dem Peter und Regina den Vorzug gaben, macht einen also zusätzlich verletzbar, weil es eine Reihe von Sicherungen ausschließt, die gerne als obligat angenommen werden. Wer solche Wege geht, wird darin vielleicht radikaler, als andere es hinnehmen wollen. Aber in der Kunst ist es so: Ohne Folgerichtigkeit hat man nichts, ist die ganze Arbeit bloß Dekoration. Wer sich für die Kunst entscheidet, ist zu konsequenten Schritten gezwungen, ansonsten zerrinnt einem in den Händen, was man gesucht hat.

Wer sich für so eine Existenz entscheidet, ist also vielfach verletzlicher, denn die Kunstpraxis hat keine Klarheiten, wie sie etwa ein Mechaniker findet, wenn er sein Werk prüft: Läuft der Motor nun klaglos oder nicht? Solche Arten der Deutlichkeit gibt es in der Kunst kaum. Es ist ein Leben und Arbeiten in der Schwebe.

Genau das macht es noch um einiges härter, wenn man eine Anfechtung der eigenen Gesundheit hinnehmen muß und dabei durch eine Variante an Krebs von innen heraus attackiert wird. Wie sollte man gegen etwas kämpfen, was in einem ist, wo auch jede Gegenmaßnahme die eigene Gefährdung erhöht?

Wir haben, wie angedeutet, keine Kultur, die uns erlaubt, unter solchen Attacken in der Gesellschaft gut aufgehoben zu sein. Das bedeutet, wer immer eine Todgeweihte begleitet, ihr beisteht, muß mehr tragen und ertragen, als einem Menschen zukommen sollte.

Ich kann darüber bloß spekulieren, denn wir sind uns viele Jahre nicht mehr begegnet, also habe ich diesen letzten Abschnitt eines gemeinsamen Weges der beiden nicht gesehen. Es gibt von Kulturwissenschafter Norbert Elias ein bewegendes Buch „Über die Einsamkeit der Sterbenden“. Darin sagt er ganz unaufgeregt, der Tod sei ein Problem der Lebenden, denn tote Menschen haben keine Probleme.

Es ist ganz einerlei, ob wir es uns vornehmen oder nicht, das Leben handelt von einem Ringen um Vollendung. Der Tod bleibt ein Rätsel, das uns gewiß ist. Der Schmerz ist ein verstörendes Mysterium. Wer immer damit näher in Berührung kommt, wird davon verändert. Es gibt keine Möglichkeit, sich diesen Dingen umfassend zu entziehen. Vielleicht liegt darin etwas Einladendes, jene nicht allein zu lassen, die so einen letzten Weg gehen oder begleiten. Und sei es bloß, daß wir uns ein verschämtes Schweigen darüber verbieten, daß es als berührendes Thema präsent sein darf und sich von den Gedanken daran niemand abwendet.


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