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Die hässliche Macht der Masse#

Es war eine wortstarke Abrechnung mit einer aus den Fugen geratenen Gesellschaft, die Festredner Ferdinand von Schirach (53) bei den Salzburger Festspielen präsentierte.#


Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus der Kleinen Zeitung (Freitag, 28. Juli 2017)

Von

Werner Krause


Warnte eindringlich vor den Abgründen des manipulierten „Volkswillens': Festredner Ferdinand von Schirach bei den Salzburger Festspielen apa
Warnte eindringlich vor den Abgründen des manipulierten „Volkswillens": Festredner Ferdinand von Schirach bei den Salzburger Festspielen apa

Große Geister, Denker und Dichter, von Voltaire über Stefan Zweig bis Albert Camus, waren es, die Ferdinand von Schirach (53) bei seiner Salzburger Festrede zum Auftakt der Festspiele herbeizitierte. Wobei es eine Ermessensfrage ist, ob er sich, als hellwacher, scharfsichtiger Zeitdiagnostiker nicht bereits mit einigen von ihnen schon halbwegs auf Augenhöhe befindet. „Das Recht gegen die Macht stellen", so betitelte er seine Rede im Salzburger Festspielhaus, die zu einem vehementen Appell wurde, endlich wieder die Augen zu öffnen angesichts einer vielfach maroden Realität und Gegenwart. Und es war eine eindringliche Warnung vor dem sogenannten Volkswillen, der sich, im Kollektiv, oft „für das Falsche, Dunkle, Furchtbare" entschieden habe. Ein Prozess, der sich, vielfach belegbar, durch die Möglichkeiten des Internets enorm beschleunigte und dies, schier unaufhaltsam, auch weiterhin tut. Ferdinand von Schirach dazu: „Das Internet hat das Gefüge der Demokratie schon grundlegend verändert." Das Entscheidende aber sei: „Die Bürger sind nicht mehr nur Empfänger von Nachrichten, sie wurden zu sehr mächtigen Sendern." Mit häufig seltsamem und bösartigem Sendungsbewusstsein, das ausreicht, um Politikerkarrieren binnen weniger Stunden zu beenden. Er blickte dabei auch zurück auf den Philosophen Jean-Jacques Rousseau, der in der Tat schlicht postulierte, der Volkswille treffe stets die richtige Entscheidung.

Und hier ließ der deutsche Erfolgsautor, dem neben realen Gerichtsthrillern auch exzellente Essaybände wie „Die Würde ist antastbar" zu verdanken sind, den Rechtsexperten und Strafverteidiger Ferdinand von Schirach zu Wort kommen. „Was tun, wenn die Demokraten einen Tyrannen wählen? Wann soll eine Sachentscheidung über eine Mehrheitsentscheidung gestellt werden?" Und, noch drastischer: „Wann muss sie es?"

In diesem Zusammenhang brachte Ferdinand von Schirach drei Begriffe ins Spiel, an denen auch Thomas Bernhard seine helle Freude gehabt hätte. Er sprach, mit einem Verweis auf Voltaire, davon, dass es, speziell im Internet und in den sozialen Medien, nicht nur eine „Schwarmintelligenz", sondern auch eine „Schwarmbösartigkeit" und eine „Schwarmgemeinheit" gebe. Diese unselige Wortdreifaltigkeit, die sich vor allem in den sozialen Medien immer stärker ausbreitet, könne, schier unaufhaltsam, „am Ende nur ein weiterer Modebegriff für die ganze hässliche Macht des Stärkeren sein".

Die Säulen der Bürger- und Menschenrechte seien bedrohlich ins Wanken geraten und mit ihnen auch „genau das, was uns im höchsten Sinn menschlich macht: die Achtung vor unserem Mitmenschen".

Eindringlich warnte Ferdinand von Schirach vor den da und dort ohnehin schon auf schauderhafte Weise in die Tat umgesetzten Konsequenzen. „Wenn wir heute wieder bereit sind, das aufzugeben - weil manchen eine absolute direkte Demokratie einfacher oder gerechter erscheinen mag - sind wir verloren." Dies zeige sich jeden Tag, denn der Volkszorn sei unberechenbar, „er ist wild und brutal und kann jederzeit aufgestachelt werden". Eine kleine Kränkung reiche dafür aus.

Natürlich stimme es, dass wir nicht immer „von Weisen regiert" werden. „Aber so, wie das Ziel der Rechtsprechung nicht Gerechtigkeit, sondern Rechtssicherheit ist", sei das Prinzip des Parlamentarismus nicht die Herrschaft der Besten, sondern die Möglichkeit, Regierungen wieder friedlich abzuwählen.

Der einzig einigermaßen sichere Halt in dieser brüchigen Welt seien die Verfassungen der freien Länder. „Auch wenn es langweilig klingt. Nur ihre komplizierten Regeln, nur ihre Ausgewogenheit und Langsamkeit ordnen unsere schwankenden Gefühle, sie lehnen Wut und Rache als Ratgeber ab, sie achten den Schwächeren." Letztlich seien sie es, die uns vor uns selber schützen. Und vor den Abgründen des manipulierten Volkswillens und -zorns.

Da sich die diesjährigen Salzburger Festspiele bekanntlich dem Thema „Macht" in allen Nuancen und Auswirkungen verschrieben haben, widmete sich der Festredner natürlich auch der Rolle der Kunst. Töricht sei es, zu glauben, Kultur oder Bildung würden uns retten. „Noch nie konnten Literatur, Musik oder Kunst den Volkswillen aufhalten."

Dabei folgte ein markanter Verweis auf die Evolution. „Als sich unser Bewusstsein entwickelte, sprach ja nichts dafür, dass wir einmal etwas anderes tun würden als unsere Vorfahren, die Affenmenschen." Wäre es also nach den Regeln der Natur gegangen, so Ferdinand von Schirach, „hätten wir unsere Fähigkeiten nur dazu benutzt, die Schwächeren zu töten". Die Mehrheit hätte deshalb immer wieder die Minderheit ausgerottet. „Aber wir taten etwas anderes. Wir gaben uns selbst Gesetze, wir schufen eine Ethik, die nicht den Stärkeren bevorzugt, sondern den Schwächeren schützt."

In einem Rückblick verwies er auf den Perserkönig Kyros, der vor rund 3000 Jahren die Sklaven befreite, und erklärte, dass alle Menschen ihre Religion frei wählen dürften. Trotz unterschiedlicher Herkunft seien sie gleichzubehandeln. Diese Gesetze von Kyros wurden bekanntlich auf einen Tonzylinder geschrieben und sind auch heute noch in den ersten vier Artikeln der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte zu finden.

Mitunter ist uns die Geschichte und die Vergangenheit ja doch ein wichtiger Lehrmeister. Und Ferdinand von Schirachs vorwiegend düstere Zeitbefunde dürften auch der anwesenden Politprominenz, angeführt von Bundespräsident Alexander Van der Bellen, einigen Stoff zum Nachdenken geliefert haben. Und wem die brillante Rede allzu unbequem erschien, der konnte sich an das zuweilen doch recht weltfremde „Plädoyer für die Schönheit", gehalten vom Salzburger Landeshauptmann Wilfried Haslauer, halten. Oder an die Erkenntnisse von Kulturminister Thomas Drozda, für den Ereignisse wie die Festspiele auch „Orte der Herzensbildung sind". Auch das mag zutreffen, es klingt allerdings ein wenig niedlich.

Kehren wir also zu Ferdinand von Schirach zurück, der seinerseits forderte: „Das Theater, die Oper, die Bücher gehören uns, wir müssen sie verteidigen gegen die Populisten und ihre Worthülsen."

Und sein Schlusswort sollte man sich groß einrahmen: „Gerade in diesen aufgeregten Zeiten" sei es die vorrangige Aufgabe, das Recht gegen Macht zu stellen. „Sonst werden wir eines Tages aufsehen, weil die Musik mitten im Takt abbricht, die heiteren Spaziergänger werden verschwinden, die leichten Sommerkleider und die hellblauen Tage.

Und dann, ganz am Ende, verschwinden wir selbst."

Kleine Zeitung, Freitag, 28. Juli 2017

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