"Ich staune über meinen Mut"#
Michael Schottenberg zieht Bilanz über zehn Jahre Direktion am Volkstheater.#
Von der Wiener Zeitung (Donnerstag, 23. April 2015) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
Von
Petra Paterno
"Wiener Zeitung":"Die Liebe sieht nicht, sondern träumt und sinnt", heißt es in Shakespeares "Sommernachtstraum". Was lernt man über die Liebe, wenn man dieses Lustspiel inszeniert?
Michael Schottenberg: Ich will gar nichts über die Liebe lernen, sie soll ein unerklärliches Mysterium bleiben. Sobald man glaubt, zu wissen, irrt man.
Bei Shakespeare lösen Zaubermittel Liebesdramen aus.
Das entspricht der Fantasie des 16. Jahrhunderts. Das Stück wurde lange vor Freud geschrieben. Da gab es noch kein Vokabular für das Unbewusste, also hat man diese Gefühle ins Reich der Feen verlagert. Ich werde das Zauberspiel ernst nehmen, verorte es in einer fernen, orientalisch-asiatischen Märchenwelt.
Warum haben Sie in Ihrer langen Bühnenlaufbahn so selten Shakespeare inszeniert?
Er ist ein unglaublich komplexer Autor, vor allem seine Komödien sind schwer zu inszenieren. Sie sind schwerelos und entzückend wie eine nie zerplatzende Seifenblase, verfügen über einen heiter-melancholischen Unterton und eine gewisse Naivität, die uns heute, in unserer von Ökonomie so bedrängten Zeit fern ist. Ich wollte "Sommernachtstraum" schon am Anfang meiner Direktion ansetzen, entschied mich dann aber für das politisch relevantere Stück "Spiegelgrund" über die NS-Euthanasie. Jetzt kann ich mir den Spaß erlauben, meine Direktion mit einem Fest ausklingen zu lassen.
Ihre Bilanz nach zehn Jahren Direktion am Volkstheater?
Es ging alles auf, was wir uns vorgenommen hatten. Wir wollten ein Theater der Vielfalt, der sozialen Aufmerksamkeit, das sich einmischt. Sozialkritische Themen waren die Basis, dazwischen durfte es aber auch "Das weiße Rössl", "Sonny Boys" oder "Cabaret" sein, nur Bekenntnistheater wäre mir zu langweilig gewesen. Auf die Mischung kommt es an: Der Spielplan war ein breiter Fächer mit Stücken von der Antike bis zur Gegenwart, mit Konzerten und Kaspertheater, es war vom Bobo bis zur Hausfrau für jeden etwas dabei - das alles ist für mich Volkstheater.
Aber vom "Spiegelgrund" zur "Fledermaus" kam es da nicht zu einer Verflachung des Spielplans?
Ich glaube nicht, dass wir harmloser geworden sind. Publikum, Ensemble, Direktor brauchen eine gewisse Zeit, um sich aneinander zu gewöhnen. Mir wurde klar, das große Haus kann nicht zu sehr belastet werden.
Hat das mit dem Erfolgsdruck zu tun? Das Volkstheater muss wegen des geringen Abo-Anteils das meiste an der Abendkasse umsetzen.
Natürlich ist das eine Riesenherausforderung. Das Positive daran: Wenn ein Stück gut geht, verdienen wir mehr, weil wir die Karten zum Vollpreis verkaufen können. Auch haben wir dadurch ein eher jüngeres Publikum angezogen. Wir hatten in zehn Jahren über zwei Millionen Zuschauer, das ist mehr, als Wien Einwohner hat, das ist doch nicht nichts.
Sie hatten zuvor als freier Regisseur das sogenannte Theater im Kopf initiiert, nun hatten Sie - salopp formuliert - ein Theater am Buckel. Welche Art der Theaterarbeit sagt Ihnen eher zu?
Beides hat etwas für sich. Ein freies Theater ist schneller, schlanker, unbelasteter, man arbeitet, vor allem weil es einem Spaß macht. Bei einem großen Haus mit fixem Mitarbeiterstock geht es zunächst einmal darum, den Betrieb aufrechtzuerhalten. Das ist eine sportliche Herausforderung. Heute staune ich über meinen Mut, mit dem ich vor zehn Jahren dieses eklatant unterfinanzierte Haus übernahm. Man muss hier aus einem Euro viereinhalb machen. Das führt zwangsläufig dazu, dass bei der Kunst gnadenlos gespart wird. Innerhalb von zehn Jahren war ich gezwungen, das Ensemble von 31 auf 19 zu reduzieren. Ich muss kochen, aber mir werden die Zutaten genommen.
Ihre Zukunftspläne?
Ich möchte Dinge machen, die ich noch nie gemacht habe.