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Ein wirklich großer Österreicher#

Anlässlich des zehnten Todestags von Simon Wiesenthal widmet ihm das Jüdische Museum Wien eine Ausstellung. Auch Wiesenthals wichtige Erzählung „Die Sonnenblume“ wurde neu aufgelegt. #


Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: DIE FURCHE (Donnerstag, 28. Jänner 2016).

Von

Otto Friedrich


Im Museum Judenplatz, der Dependance des Jüdischen Museums Wien, wird die Ausstellung „Wiesenthal in Wien“ gezeigt
Erlebte Geschichte. Im Museum Judenplatz, der Dependance des Jüdischen Museums Wien, wird die Ausstellung „Wiesenthal in Wien“ gezeigt.
Foto: © PID. W. Schaub-Walzer
Aktenkästen in Simon Wiesenthals Dokumentationsarchiv
Aktenkästen in Simon Wiesenthals Dokumentationsarchiv.
Foto: © PID. W. Schaub-Walzer
Dokumente
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© www.wulz.cc


In gewisser Weise ist der Judenplatz in Wien „sein“ Platz geworden. Denn am 27. Oktober 2000 konnte dort endlich das von Simon Wiesenthal seit Jahren forcierte Denkmal für die Opfer der Schoa eröffnet werden. Es war einer seiner damals schon seltenen Auftritte in der Öffentlichkeit, aus der er sich danach immer mehr zurückzog, bis er am 20. Oktober 2005 verstarb.

Das Jüdische Museum Wien hat Simon Wiesenthal aus Anlass des zehnten Todestages die Ausstellung „Wiesenthal in Wien“, die noch bis 8. Mai zu sehen ist, gewidmet – folgerichtig in seiner Dependance „Museum Judenplatz“. In zehn thematischen „Aspekten“ wird Wiesenthals Leben und Wirken nachgezeichnet – von der Zeit, als er im Ersten Weltkrieg, der Vater war gefallen, mit seiner Mutter nach Wien kam. Nach dem Krieg kehrte er in seine – nunmehr polnische (heute ukrainische) – Heimatstadt Buczacz zurück, wo er seine Kindheit verbrachte. Der studierte Architekt geriet 1941, als die Deutsche Wehrmacht ins sowjetisch besetzte Lemberg einmarschierte, in die Maschinerie der NS-Judenvernichtung. In mehreren KZs inhaftiert, kam Wiesenthal 1945 in Mauthausen frei – und begann zuerst in Linz, dann ab 1960 in Wien sein bis ins hohe Alter währendes Engagement zur Auffindung flüchtiger NS-Verbrecher.

Simon und Cyla Wiesenthal mit Überlebenden und US-Soldaten, Linz, 1945.
Lebensbilder. Simon (2. v. l.) und Cyla Wiesenthal (3. v. r.) mit Überlebenden und US-Soldaten, Linz, 1945.
Foto: © privat / Simon Wiesenthal Archiv Wien

Die Ausstellung dokumentiert Wiesenthals Arbeitsweise etwa am Fall der Hermine Braunsteiner, einer KZ-Aufseherin, die er in den USA aufspürte, und die in Deutschland verurteilt wurde. Aber auch Wiesenthals Versuch, in Israel ein Mausoleum für in österreichischen KZs umgekommene Juden zu errichten, wird dargestellt.

Daneben zeigt die Ausstellung Wiesenthal als streitbaren Oppositionellen in der Wiener Kultusgemeinde und geht auch auf seinen Konflikt mit Bruno Kreisky ein sowie auf seine Rolle rund um die Vorwürfe gegen Kurt Waldheim, den Wiesenthal gegen den Vorwurf verteidigte, ein Kriegsverbrecher zu sein – was insbesondere in den USA und in Israel nur von wenigen verstanden wurde.

Die Ausstellung widmet auch der Anerkennung Raum, die Wiesenthal in seinen letzten Lebensjahrzehnten weltweit zuteil wurde, Filme wie „Die Akte Odessa“ (1974) oder „Recht, nicht Rache (Murderes Amongst Us)“, wo Ben Kingsley 1989 Wiesenthal darstellte, werden gleichfalls angeführt. Eindrücklich auch der filmische Beitrag, in dem Schülerinnen und Schüler des Zwi Perez Chajes Gymnasium in Wien Passanten nach ihrem Wissen über Wiesenthal befragen.

Ordensverleihung durch Wiens Bürgermeister Helmut Zilk, 1985
Ordensverleihung durch Wiens Bürgermeister Helmut Zilk, 1985.
Foto: © MA13 / Landesbildstelle

Keine Hagiografie #

Dennoch ist die Schau keine Hagiografie, nicht zuletzt finden Erkenntnisse von Tom Segevs kritischer Wiesenthal-Biografi e aus 2012 erkennbar Eingang in die Darstellungen. Sehr informativ – und eigentlich unverzichtbar zum umfassenden Verständnis des in der Ausstellung Gezeigten – ist der gut gestaltete, im Metroverlag erschienene Katalog, der die Fotografien der gezeigten Exponate mit informativen Essays ergänzt. Zum 10. Todestag Wiesenthals ist auch sein bekanntestes Buch „Die Sonnenblume“ neu aufgelegt worden. In dieser eindrücklichen Erzählung aus 1969 berichtet Wiesenthal von einem jüdischen Zwangsarbeiter, der von einem sterbenden 21-jährigen SS-Mann mitten im Krieg zu einer Lebensbeichte ans Lazarettbett geholt wird, die in die Bitte mündet, ihm dessen eingestandene Mitwirkung an der Ermordung von Juden zu verzeihen.

Wiesenthals in der Erzählung ausgefaltete Reaktion, man könne nicht für etwas verzeihen, was anderen angetan wurde, hat den Autor selber intensiv beschäftigt und die Diskussion um den Umgang mit der Schuld der NS-Täter nachhaltig beeinflusst. Schon für die Erstausgabe hat Wiesenthal die Meinung relevanter Stimmen eingeholt, etwa von Jean Améry oder Carl Zuckmayer; diese sind auch in der Neuausgabe nachzulesen. Zusätzlich hat Nicola Jungsberger, die Herausgeberin der Neuausgabe, 44 Zeitgenoss(inn)en um eine heutige Deutung der „Sonnenblume“ gebeten und auch noch einige andere „Antworten“ früherer Jahre – etwa des Dalai Lama – dazugestellt. Die Kulturtheoretikerin Aleida Assmann findet sich ebenso darunter wie die islamische Theologin Hamideh Mohagheghi und deren christliche Kollegin Uta Ranke-Heinemann, der Schauspieler Josef Bierbichler oder der Schriftsteller Martin Walser.


Bild 'Katalog-Cover'

Die Lektüre der „Sonnenblume“ und die Relecture durch die anderen Autorinnen und Autoren zeigen, wie zeitlos die von Simon Wiesenthal aufgeworfenen Fragen nach Schuld und Vergebung bis zum heutigen Tag geblieben sind.

Wiesenthal in Wien. Jüdisches Museum Wien - Museum am Judenplatz. Katalog erschienen im Metroverlag www.jmw.at

Die Sonnenblume. Von Simon Wiesenthal. Erzählung und Antworten. Hg. Nicola Jungsberger. Europaverlag 2015 400 Seiten, geb., €23,60


DIE FURCHE, Donnerstag, 28. Jänner 2016

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