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Weltoffene Heimatliebe#

Der Osttiroler Lehrer und Schriftsteller Johannes E. Trojer (1935 - 1991) hat gezeigt, was gute Kulturarbeit im regionalen Raum ausmacht. Seine Erkenntnisse geben auch heute noch Anregungen zum Weiterdenken.#


Von der Wiener Zeitung (Sa./So., 1./2. September 2012 ) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Bernhard Kathan


Trojer während des Unterrichts
Trojer (links hinten) während des Unterrichts; unkonventionell die Sitzordnung.
© Nachlass Johannes E. Trojer

Heutige Vorstellungen des Regionalen verdanken sich der Entgrenzung, sei es durch den Verkehr, die globale Marktwirtschaft oder neue Kommunikationstechnologien. Regionen erfinden sich im Zuge der Etablierung "totaler Landschaften", die sich dadurch charakterisieren lassen, dass es zunehmend gleichgültiger wird, wo man sich gerade befindet: überall dasselbe Essen, dieselbe Architektur, dieselben Einkaufszentren, dieselben Programme. Kulturprojekte im ländlichen Raum, die das kopieren, was sich in großen Museen oder in der Freizeitindustrie behauptet, gehen an ihrem eigentlichen Potenzial vorbei.

Wenn jemand zu nennen ist, der sich bereits früh mit diesbezüglichen Fragen beschäftigt hat, dann Johannes E. Trojer, der im abgelegenen Osttiroler Villgratental über lange Jahre hinweg so etwas wie ein kulturelles Regionalprojekt betrieben hat.

Johannes E. Trojer wurde 1935 als zweites von zwölf Kindern einer Bergbauernfamilie in Außervillgraten geboren. Er besuchte dort die Volksschule. Nach seiner Matura am Bischöflichen Gymnasium Paulinum in Schwaz inskribierte er an der Universität Innsbruck Deutsch, Geschichte, Kunstgeschichte und Volkskunde. Nach vier Semestern brach er sein Studium ab und kehrte nach Osttirol zurück. Bis zu seinem frühen Tod im Jahr 1991 war er Volksschuldirektor in Innervillgraten, verfasste gesellschaftskritische Aufsätze, war Herausgeber der Kulturzeitschrift "Thurntaler".

Er schrieb, fotografierte, dokumentierte, lud ein, lobte, kritisierte, förderte, nahm teil. Er sammelte über drei Jahrzehnte alle möglichen Schriftstücke, Plakate und Fotografien, hatten sie nur irgend etwas mit der Geschichte seines Umfeldes zu tun. Daneben dokumentierte er über 200 Interviews mit Zeitzeugen mit dem Tonband. Die ersten dieser Aufnahmen entstanden bereits in den 1960er Jahren, in einer Zeit also, in der von Oral history noch kaum die Rede war.

Nicht nur die große Bandbreite seiner Fragen ist bestechend, sondern vor allem auch sein unkonventionelles methodisches Arbeiten. Trojer verstand, dass Volkskunde nicht das Vergangene zu dokumentieren, sondern sich mit der Gegenwart wie möglichen Entwicklungen zu beschäftigen hat. All das prägte zunehmend auch seinen Unterricht, was allein die Aufstellung der Pulte auf dem abgebildeten Foto belegt.

Keine Beschönigungen#

Nostalgisch war sein Blick nicht: "die zeitgemäße auffassung ist kurz gesagt die, daß ich mir vornehme, alles möglichst realistisch und nicht beschönigt zu sehen. dann kommt es nicht zur schädlichen schönfärberei und lobhudelei." Alles müsse festgehalten werden, ganz gleichgültig, ob es im Augenblick als wichtig betrachtet werde oder nicht. "Notizen für eine Dorferhebung" lautet der Titel zweier Texte, die Trojer in den Jahren 1983 und 1984 veröffentlichte. Genau genommen ließe sich dieser Titel über das gesamte Trojer’sche Lebenswerk setzen. Der Titel ist doppeldeutig. Er lässt gleichermaßen an ein sozialwissenschaftliches Verfahren wie an selbstbestimmtes politisches Handeln von Dorfbewohnern denken, dessen Fehlen Trojer zutiefst beklagte.

Während Feldforscher in der Regel von außen kommen, war er Teil des Feldes. Im Tal wuchs er auf, hier arbeitete er nicht nur als Lehrer und Schuldirektor, er bekleidete auch andere öffentliche Funktionen. Dennoch schrieb er gegen die Mächtigen des Tales wie des Bezirkes an. Er kritisierte die Dominanz der ÖVP ebenso wie gigantomane Kraftwerks- oder Tourismusprojekte. Als Obmann des Tourismusverbandes in Außervillgraten engagierte er sich für die Erschließung des Tales im Interesse einer Verbesserung der Lebensbedingungen seiner Bewohner.

Trojers Arbeit wurde oft genug als gegnerisch empfunden - verständlicherweise, bezog er sich doch konkret auf das unmittelbare gesellschaftliche Umfeld. Wiederholt war er Verleumdungen ausgesetzt. Die Palette reichte vom Vorwurf, Autoritätsmissbrauch als Lehrer zu betreiben bis hin zum Vorwurf, ein "Sittenverderber" zu sein.

Er selbst bezeichnete sich als "einschlägig interessierten Dilettanten" oder als "passionierten Amateur", der um ein "die Nachbarschaft nicht ausschließendes, weltoffenes, problembewusstes, aber ungezwungenes Liebesverhältnis zur Heimat" bemüht sei.

Als Ortschronist, der sich als Volkskundler verstand, sah er sich als "Heimatpfleger ohne behördlichen Auftrag", "von keiner institution getragen oder behindert." Manchmal dachte er daran wegzuziehen: "Das Heimatbewusstsein haben die Traditionsvereine gepachtet, die Nächstenliebe die Schutzstaffeln der Feuerwehr, das Rote Kreuz, die Bergrettung, die Wasserrettung, mir bleibt nichts übrig." Aber er blieb. Das Villgratental ließ ihn bis zu seinem frühen Tod nicht los.

Das NS-Trauma#

Trojer zählt zu den Ersten, die sich systematisch mit der Geschichte der NS-Zeit im unmittelbaren dörflichen Umfeld beschäftigt haben. Die erst nach seinem Tod veröffentlichte Studie "Hitlerzeit im Villgratental" ist nicht nur als Pionierleistung zu sehen, sie besticht auch durch ihre atmosphärische Dichte. Neben systematischer Datenerhebung etwa zu Opfern der NS-Diktatur finden sich darin kluge Mikrostudien zum NS-Alltag.

Zutiefst davon überzeugt, dass nur jene Vergangenheit gefährlich werden kann, "die verdrängt und unterschlagen wird", betrachtete Trojer die NS-Zeit keineswegs als historisch abgeschlossenes Ereignis. Er beschäftigte sich gleichermaßen mit der Vorgeschichte wie mit den Nachwirkungen, mit dem Verdrängen all dessen, was damals geschah: "Wir sind eine geschichtslose Generation von Söhnen und Enkeln, die mit den Leitbildern der Väter und Großväter nicht mehr viel anfangen kann, weil jene mit jenen in Katastrophen gelandet sind. Aber wir haben noch nicht die Kraft, neue Werthaltungen durchzusetzen gegen die Patriarchen."

Trojer legte Linearitäten offen, machte deutlich, dass sich mancher vermeintlich alte Brauch (wie das Maibaumaufstellen) der NS-Zeit verdankte. Er thematisierte den Antisemitismus, erinnerte an die Opfer der NS-Euthanasie, an Zwangsarbeit im ländlichen Raum. Nicht zuletzt setzte er sich für eine Rehabilitierung von Deserteuren ein. Dabei scheute er sich nicht, einzelne Personen beim Namen zu nennen: "Das Ungelegene ist zu sagen. Zu sagen, was nicht opportun ist, vergällt bisherige Freunde, macht künftige Feinde."

Trojers Arbeit hat tiefe Spuren hinterlassen. Das Villgratental zählt in Österreich zu jenen wenigen Regionen, die noch über eine bestechende Architektur verfügen. Zweifellos verdankt sich dies nicht zuletzt Trojer, der maßgeblich zu einer Sensibilisierung im Umgang mit der traditionellen Architektur beigetragen hat.

Heute wird Trojers Lebensleistung auch von jenen gewürdigt, die ihm früher kritisch begegneten. Anlässlich der Präsentation der Werkausgabe in Innervillgraten meinte ein lokaler Tourismusverantwortlicher, Trojer habe dem Villgratental einen großen Dienst erwiesen. Trojer war nicht zuletzt Mentor, was einige Karrieren belegen, die auf seine Arbeit zurückweisen.

Seine literarischen Arbeiten sind der Zeit verpflichtet. Aber nach wie vor ist sein Lebenswerk, mit dem sich inzwischen eine Reihe von Forschungsprojekten beschäftigten, von großer Bedeutung. Es sei nur am Rande erwähnt: Ein Großteil der Trojer’schen Arbeit (der Nachlass liegt im Brenner-Archiv der Uni Innsbruck) wurde in der Zwischenzeit bestenfalls gesichtet, keinesfalls aber aufgearbeitet. Spannend an Trojers Arbeit ist seine stete Einladung zum Tun, zum aktiven Gestalten der Welt, ganz gleich, ob er Schüler anhielt, bestimmte Fragen in ihrer konkreten Lebenswelt zu untersuchen, ältere Menschen ermunterte, ihre Lebenserinnerungen niederzuschreiben. Die damaligen Themen sind nicht mehr unsere. Das Leben selbst in abgelegenen Tälern hat sich infolge der zunehmenden Mobilität, durch Bildungsmöglichkeiten wie den Zugang zu neuen Medien grundlegend geändert. Ein Internetanschluss ist die Regel. Selbst abgelegenste Bergbauernhöfe sind heute durch Wege erschlossen. Die Bewirtschaftung der Kulturlandschaft hat sich auch im Villgratental gewandelt.

Heute würde sich Trojer vielleicht mit Kinderwunschpatientinnen oder Genforschung, mit Alzheimerkranken, mit tatsächlichen oder möglichen Auswirkungen einer globalen Ökonomie auf die Regionen befassen. Er hat beispielhaft gezeigt, was gute Kulturarbeit im regionalen Raum ausmacht. Events waren ihm fremd. Trojer setzte auf Neugier, akribische inhaltliche Auseinandersetzung. Er organisierte zwar Ausstellungen, dachte aber nicht an Ausstellungsräume. Er nutzte vorhandene Räume. Die entscheidenden Räume sah er im Gedächtnis der Menschen.

Die Nachwirkungen#

Zwischen 1992 und 1995 fand im Osttiroler Villgratental ein Kulturfestival statt, das mehrere tausend Besucher in das abgelegene Villgratental zog. Das Festivalprogramm umfasste traditionelle und zeitgenössische Literatur, Alte und Neue Musik, Ausstellungen heimischer und auswärtiger Künstler, Aktionen und Installationen im öffentlichen Raum. Im ersten Programmheft beriefen sich die Veranstalter ausdrücklich auf den ein Jahr zuvor verstorbenen Johannes E. Trojer.

1996 fand das Projekt ein jähes Ende, als ein altes Soldhäusl in Außervillgraten, das der Villgrater Heimatpflegeverein als "Herzstück" eines langfristig angelegten regionalen Entwicklungskonzeptes erworben hatte, in Brand gesteckt wurde. Neben einer Ideen-Agentur, einer Bibliothek, einem Arbeitsraum für Forscher und einem Veranstaltungssaal war auch an ein Johannes E. Trojer-Archiv gedacht.


Bernhard Kathan, geboren 1953, lebt als Sozialwissenschaftler, Publizist und Künstler in Innsbruck. Er ist auch Betreiber des "Hidden Museum". www.hiddenmuseum.net

Literaturhinweis: #

2011 erschien im Haymon Verlag, Innsbruck, eine vierbändige Trojer-Werkausgabe, die nicht zuletzt durch ihre sorgfältige Graphik besticht. 49,90, Euro.

Ebenfallsbei Haymon: Johannes E. Trojer, Texte aus dem Nachlass, mit einem Nachwort von Ingrid Fürhapter und Andreas Schett. 19,90 Euro.

Wiener Zeitung, Sa./So., 1./2. September 2012