Es geht um die Burg #
Wieder einmal steht die Wiener Hofburg im Zentrum der europäischen Aufmerksamkeit: die magische Residenz im Herzen Österreichs. #
Mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt von der Kleinen Zeitung (Sonntag, 22. Mai 2016)
Von
Bertram Karl Steiner
Nicht umsonst befinden sich die Kleinodien des 1806 erloschenen übernationalen Heiligen Römischen Reiches und des aus demselben hervorgegangenen Kaisertums Österreich in der Schatzkammer der Wiener Hofburg.
Nicht umsonst ist das „Herzgrüfterl“, die Grabstätte der in Kapseln eingeschlossenen Herzen der Mitglieder des Hauses Österreich, im Bereiche der Hofburg, nämlich unter der Augustinerkirche, zu finden. Nicht umsonst hat Richard von Coudenhove- Kalergi nach dem Desaster des Ersten Weltkrieges das erste Büro seiner Paneuropa- Bewegung, jener Keimzelle der Europäischen Einigung und der EU, in der Hofburg installiert. Nicht umsonst hat Adolf Hitler, der besessene Hasser der österreichischen Idee und Europas, 1938 die Hofburg als Tribüne seines kurzfristigen Sieges über Österreich missbraucht.
Es ging und es geht in Österreich immer, wie man so sagt, „um die Burg“. Als 1683 das osmanische Heer gegen Wien, den „goldenen Apfel“, anrannte, stand der damals neu erbaute frühbarocke Leopoldinische Trakt unter Dauerbeschuss, war er doch direkt über der Bastion, dem „Burgrevelin“, errichtet.
Nicht umsonst hat die OSZE die „Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“, welche an der Aufhebung der Teilung Europas einen beträchtlichen Anteil hatte, ihren Sitz in der Hofburg.
Nur die Katzen der Dichterin Lotte Ingrisch schauen, majestätisch gelassen und unberührt von den Dramen der Weltgeschichte, durch den Maschendraht vor den Fenstern ihres Frauerls auf den Burghof hernieder – auf Staatsbesuche und militärischem Tamtam, auf Bundespräsidenten und ihre Gäste. Dann schlummern sie beim Klang der Hymnen wieder ein. Wir Menschen dürfen das nicht:
Die Hofburg also, die „Burg“, um die es geht. Wer auf dem Michaelerplatz steht, erblickt in einem ausgehobenen Schacht vor dem neobarocken Michaelertor die Fundamente unserer Geschichte, römische Ziegelmauern und mittelalterliche Keller. Entstanden ist die Burg, und zwar als Festung, unter den bereits großräumig „europäisch“ konzipierenden Babenbergern mit ihren Beziehungen zu Byzanz und dem Orient. Urkundlich erwähnt wird sie erstmals 1279 unter Rudolf von Habsburg; ein trutziges Viereck, flankiert von Wehrtürmen steht sie da.
Im 16. Jahrhundert hatte sich das Machtzentrum des Hauses Österreich, der „Casa de Austria“, zunächst nach Burgund, den Niederlanden und von dort nach Spanien verlagert. Kaiser Karl V., in dessen Reich, das sich von den Philippinen bis Lateinamerika erstreckte, „die Sonne nicht unterging“, überließ seinem Bruder Ferdinand I. die römisch-deutsche Kaiserwürde. Ferdinand übersiedelte von Spanien nach Wien und baute die Hofburg im Stil der Renaissance als seine Residenz aus. An ihn erinnert der „Schweizertrakt“, in welchem sich bis heute der Zugang zur „Schatzkammer“ befindet, wo die Insignien einer durchaus metaphysischen Auffassung von Macht ausgestellt sind. Auch richtete Ferdinand hier seine „Kunstkammer“ ein, Keim unserer großen Museen. Und in der angrenzenden Hofburgkapelle wird durch die Wiener Sängerknaben eine jahrhundertealte Musiktradition weitergeführt.
Die Hofburg als Wohnung der Künstler: Alexander von Lernet- Holenia, Gottfried von Einem, Lotte Ingrisch (mit Katzen) hatten und haben ihr Domizil in der Burg. Aber auch die nobelsten Pferde der Welt, die Lipizzaner. Sie bewohnen die elegante Renaissance-Architektur der „Stallburg“, um dann und wann in der Hofreitschule Audienz zu gewähren. Und noch ein weltweit bekanntes Tier: Albrecht Dürers „Feldhase“ hat in der einzigartigen grafischen Sammlung Albertina im Albertinischen Trakt der Burg seinen gepanzerten Hasenstall gefunden. Die Nationalbibliothek wiederum, ein Bau von französischer Clarté am Josephsplatz, speichert in ihrem Prunksaal das zu Büchern gewordene Wissen der Generationen seit der Antike.
Im Burghof sehen sich staunende Besucher mit einem neu ralgischen Punkt der Weltgeschichte konfrontiert, mit dem hochbarocken Trakt der Reichskanzlei des Heiligen Römischen Reiches, von Karl VI. bekrönt mit dem Doppeladler, dem österreichischen Bindenschild und dem Wappen Kastiliens. Hier wohnten, persönlich spartanisch einfach, im rotbrokatenen Rokoko-Dekor, Kaiser Franz Joseph, dem politisch wie privat tatsächlich „nichts erspart“ geblieben ist, und seine in vielerlei Hinsicht ziemlich unglückselige „Sisi“. In der anschließenden Amalienburg hat Österreichs letzter Kaiser, Karl I., im Ersten Weltkrieg vergeblich versucht, durch einen Verständigungsfrieden zu retten, was noch zu retten war. Gegenüber der anno 1683 erbittert umkämpfte Leopoldinische Trakt. Wo einst Maria Theresia ihre Privatappartements bewohnte, wo sie 1780 verstarb, residieren seit 1945 die österreichischen Bundespräsidenten. Vielleicht eine leise Mahnung an dieselben, dass es ihr historischer und moralischer Auftrag ist, das Erbe der übernationalen österreichischen und daher europäischen Idee zu verwalten und in einer gewandelten Welt weiterzutragen.
„Wer weiß, für wen ich die Neue Burg baue“, soll Kaiser Franz Joseph geseufzt haben, angesichts des kolossalen Halbrunds der gerade vollendeten östlichen Hälfte des unvollendet gebliebenen „Kaiserforums“ der Ringstraße. Ja eh, wo er recht hatte, da hatte er recht.