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Wiens prominenteste Kanalratte#

Seit fast zwei Jahrzehnten läuft im Burg Kino am Opernring der Kultfilm "Der Dritte Mann"#


Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus der Wiener Zeitung (Sa./So., 28./29. Dezember 2013)

Von

Moritz Gottsauner-Wolf


Das Programmkino hat Videokassetten und Mulitplex-Zentren überlebt.#

In Wiens Kanalisation treibt sich Orson Welles alias Harry Lime herum
In Wiens Kanalisation treibt sich Orson Welles alias Harry Lime herum. Auf seinen Spuren wandern nun viele Fans und Touristen.
Apa/Hochmuth

Wien. "Eigentlich mögen ja hauptsächlich die Deutschen süßes Popcorn", sagt die Verkäuferin an der Snack-Theke. "Offenbar die Russen auch." Drei russische Schulklassen werden heute Mittag im großen Saal des Burg Kinos am Opernring ein paar russische Stummfilme durchsitzen. Das süße Popcorn ist der Renner. Aus dem kleineren der beiden Säle des Kinos nebenan dröhnt alle paar Minuten ein ohrenbetäubendes Rauschen, weil Techniker gerade einen neuen Lautsprecher der Soundanlage ausprobieren. Inmitten der Kakophonie aus Schülergemurmel, Lautsprechertest und der Popcornmaschine sitzt Kurt Schramek. Seit 23 Jahren ist er der Besitzer des Burgkinos.

Der 64-Jährige ist Herr über eines der letzten unabhängigen Kleinkinos der Stadt. Die Tradition des Burgkinos geht bis in das Jahr 1910 zurück. Schramek führte es durch mehrere Krisen, die unzählige andere Kinos aus dem Stadtbild verschwinden ließen, von der Entwicklung der VHS-Kassette bis zum beispiellosen Wildwuchs der großen Mulitplex-Zentren. Über die Jahre hat er sein Kino als Fixpunkt auf dem cineastischen Stadtplan etabliert. Und für viele Touristen gehört der Filmklassiker "Der Dritte Mann" mit Orson Welles, den Schramek seit Jahrzehnten mehrmals wöchentlich zeigt, zum Wien-Besuch dazu.

Ganz ohne Mainstream geht es nicht#

Seine Nische: Filme in Originalsprache und eine Mischung aus mittelgroßen Produktionen und Hollywood-Blockbustern. Derzeit stehen die neuen Filme von Woody Allen und den Coen Brüdern auf dem Programm, ebenso wie der zweite Teil der megalomanischen "The Hobbit"-Trilogie. "Das Kino hat zwei Ansprüche, Filme in Originalversion zu zeigen, weil in der Synchronisation viel verloren geht, und Filme mit einem gewissen Mindestniveau", sagt Schramek, der die Programmierung selbst übernimmt. "Bei uns zählt auch der kommerzielle Aspekt, ganz ohne Mainstream geht es nicht. Aber ein Film, in dem Spezialeffekte überwiegen, ist für uns weniger interessant, als eine Geschichte, die sowohl inhaltlich als auch formal überzeugt." So zeigte Schramek in seinem Kino etwa den Batman-Streifen "The Dark Knight" oder die Pixar-Animation "Wall-E", ließ aber den ersten Teil des Kassenhits "Hunger Games"-Serie links liegen.

Die Programmierung hebt das Burgkino unter den fremdsprachigen Kinos hervor. Wirtschaftlich kommt es einigermaßen gut zurecht: "Es gibt ein auf und ab, aber die Besucherzahlen haben sich nach der Ankunft der Mulitplex-Kinos weitestgehend stabilisiert", sagt Schramek. Den Umbruch in der Kinobranche, den die Megakinos vor zehn Jahren eingeleitet haben, hatte Schramek noch nicht voraussehen können, als er das Burgkino übernahm. 1980 war Kino noch ein Geschäft.

Der studierte Mathematiker hatte damals ein erfolgreiches, kleines Programmkino aufgebaut, das Star Kino in der Burggasse, wo er Restrospektiven und Programm abseits des Mainstreams zeigte. Die Besitzer des Burgkinos fragten Schramek, ob er Interesse an ihrem Kino habe. "Ich hatte zwar das Geld nicht, aber Interesse." Mit einem "Riesenkredit" übernahm er die sanierungsbedürftigen Räume, 1986 ließ er den zweiten, kleineren Saal dazubauen.

Größere Leinwände und bequemere Sitze#

Doch für die zahlreichen Kleinkinos der Stadt sollten bald danach schwere Zeiten anbrechen. Ab den Neunziger Jahren kamen Mehrsaalkinos wie etwa das Flotten oder das umgebaute Kolosseum in Mode. Auch die Stadt Wien mit ihrer Kinobetriebsgesellschaft (Kiba) mischte mit zahlreichen Kinos im Markt mit und setzte mit ihrer Marktmacht bei Verleihern die privaten Kinos unter Druck. Mit dem Schottenring Kino, heute das De France, etablierte die Stadt einen fremdsprachigen Konkurrenten zum Burgkino. Schramek überbrückte die schwierige Zeit mit Kontrastprogrammen.

Kurt Schramek
Besitzer Kurt Schramek etablierte "The Third Man" im Burg Kino als Tradition.Gottsauner-WolfBesitzer Kurt Schramek etablierte "The Third Man" im Burg Kino als Tradition.Gottsauner-Wolf

Ab der Jahrtausendwende sollte sich das Blatt abermals wenden. In einem Schwall überfluteten die großen Multiplex-Kinos den Markt. Sie boten größere Leinwände, bequemere Sitze, bessere Soundanlagen und überhaupt alles, was einem an kleinen Kinos stören könnte. Die Kinosäle in Österreich verdoppelten sich innerhalb weniger Jahre - aber nicht das Publikum. "Die Umsätze gingen damals überall um 30 bis 40 Prozent zurück", sagt Schramek. In der Folge brach die Zahl der kleineren Kinos drastisch ein. Gängige Namen wie Flottenkino, Kolosseum und Maria Theresien verschwanden von der Bildfläche.

Schramek schaffte es in seiner Nische zu überleben. Behilflich war ihm dabei auch ein Film, der seit 25 Jahren fast ununterbrochen auf dem Programm des Burgkinos steht: Der Dritte Mann. Die Jagd auf den verschwundenen Amerikaner Harry Lime, verkörpert von Orson Welles, durch das zerbombte Wien und sein Kanalsystem, genießt heute Kultstatus, ebenso wie die urwienerische Zithermusik von Anton Karas und der Auftritt von Paul Hörbiger als schrulliger Portier. Seither haben nur wenige internationale Produktionen Wien als Schauplatz gewählt. Nach wie vor gehört Der Dritte Mann, gemeinsam mit Richard Linklaters Romanze "Before Sunrise", zu den ikonischen Wien-Filmen.

Trotz Nachfrage kein Rechenfaktor mehr#

Schon als Betreiber des Star Kinos hatte Schramek Ende der Siebziger die Aufführungsrechte für den Graham Greene-Klassiker erhascht. Damals war der Film über zehn Jahre nicht mehr in Österreich aufgeführt worden. Bei seiner Wiedereinführung sorgte er sechs Wochen lang für ein ausverkauftes Haus, bei zwei Vorstellungen täglich. Ab 1986 lief er auch im Burgkino mehrmals wöchentlich. "Wir haben gemerkt, dass das vor allem bei Wien-Touristen gut funktioniert und auch nach zwei Jahrzehnten gibt es eine Nachfrage", sagt Schramek.

Im Gegensatz zu früher sei der Dritte Mann hingegen heute "kein Rechenfaktor mehr". Wenn zehn Leute pro Vorstellung im Saal sitzen, ist Schramek schon zufrieden. Manchmal kommen auch Schulklassen. "Das hat mit kommerziellen Überlegungen wenig zu tun. Das macht man gern, das ist schon Tradition und etwas, das man mit dem Kino assoziiert."

Es ist Mittwochnacht, kurz nach Mitternacht. Soeben hat Anton Karas die sechs Besucher der Spätvorstellung mit der Abschiedsmelodie des Dritten Mannes nach Hause geschickt. Zwei davon sind Matt und Jess, er aus London, sie aus Australien. Die beiden Mittzwanziger haben sich für ein paar Tage in Wien verabredet. Auf das Burg Kino sind sie über Reiseführer und das Dritte Mann-Museum gestoßen. "Mir kommt vor, ich habe schon ein paar Drehorte in der Stadt gesehen", sagt Matt. Aber das sei neben der Musik auch schon das einzig Österreichische an der Produktion, denn: "Der Sinn für Humor ist eindeutig Englisch."

Wiener Zeitung, Sa./So., 28./29. Dezember 2013