Zu Ungunsten des Lebens#
30 Jahre nach dem Tod von Romy Schneider hat sie nichts an Ruhm verloren#
Von der Wiener Zeitung (24. Mai 2012) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
Von
Ina Weber
Die Frau, die nie mehr Sissi sein wollte, spielte viele Rollen in ihrem Leben.#
Wien. Es gibt wohl nicht mehr viel zu schreiben oder zu sagen, was nicht schon geschrieben oder gesagt worden wäre. In den 30 Jahren nach dem Tod der in Wien geborenen Schauspielerin Romy Schneider hat es viele Versuche gegeben, dem Star "gerecht" zu werden. Der erst im Vorjahr erschienene Bildband "Romy lebt!" zeigt einmal mehr die so oft zitierten "bisher unveröffentlichten Fotos" und "Auszüge aus persönlichen Briefen" Schneiders. Ab und zu tauchen neue Fotos auf. Fotografen veröffentlichen den aussortierten Rest einer Serie. Jeder will ein Stück von ihr, wenn möglich Privates. Das Publikum ist dankbar - auch heute noch.
Um die Frage aller Fragen vorwegzunehmen, was den Mythos Romy Schneider denn eigentlich ausmache, sei die Antwort der Ausstellungsleiterin der laufenden Schau in der Bundeskunsthalle Bonn, Angelica Francke, festgehalten. Der Mythos Romy Schneider hänge von drei Punkten ab: Erstens von ihrem Gesicht, ihr zeitlos schönes Gesicht ist ein großer Teil ihres Nachruhms. Zweitens von ihrer Professionalität als Schauspielerin, die vor allem in der französischen Filmszene erkannt wurde. Und drittens - und das bewusst hinten an gereiht - von ihrem Privatleben: das pubertierende 15-jährige Naturtalent, das über Nacht ein Star wurde und mit 43 Jahren an Herzversagen starb.
Gelebte Ambivalenz#
Über all dem schweben Attribute, mit denen Schneider schon allzu oft bezeichnet wurde, diese deshalb aber nicht weniger stimmig sind: natürlich, hingebungsvoll, offen, schüchtern, temperamentvoll, emotional, professionell, hilflos, stark. Romy Schneider ist gelebte Ambivalenz. Robert Lebeck, der Fotograf, der sie viermal treffen durfte, bekam bei einem dieser Treffen eine Notiz von ihr unter der Tür seines Hotelzimmers durchgeschoben. "Du machst mir Angst. Ich mache mir Angst. Vergiss mich schnell, aber bitte sag mir noch Gute Nacht", stand darauf. Die von der Presse so hergenommene Schneider lehnte ihre Hotelzimmertür nur leicht an und empfing den "Stern"-Fotografen für ein nächtliches Shooting - es scheint, als brauche sie die Kamera, um sich selbst zu spüren, um Halt zu finden, um nicht allein zu sein. Derselbe Fotograf sollte sie kurz vor ihrem Tod gemeinsam mit ihrer vierjährigen Tochter Sarah fotografieren.
59 Filmrollen, 3 Theaterrollen, eine Frau mit tausend Gesichtern, ein gefundenes Fressen für die Presse, die von Beginn an ihre Rollen und ihr Privatleben vermischte. Die "Bunte" bildete kurz nach ihrem Tod im Juni 1982 in einer Sonderausgabe eine Szene aus ihrem letzten Film ab und schrieb, dass "Romy in dieser Haltung - tot, mit der Zigarette in der Hand - gefunden" wurde. Damit war auch das Bild der toten Schneider in den Köpfen. So wie jenes, als sich ein Fotograf als Krankenpfleger ausgab und den Leichnam ihres im Alter von 14 Jahren verunglückten Sohnes fotografierte. Es erschien am nächsten Tag auf dem Cover. Das liebe Mädel, das gar so schnell nicht mehr lieb sein wollte, wurde von der Presse nicht geschont.
Übrig geblieben ist aus Schneiders eigener kleinen Familie ihre Tochter Sarah Biasini. Die Französin, die auch Schauspielerin wurde, hat anlässlich des 30. Todestages ihrer Mutter am 29. Mai erstmals die Schirmherrschaft über eine Ausstellung in Cannes übernommen. Gemeinsam mit Ausstellungskurator Jean-Pierre Lavoignat bringt sie das Buch "Romy" heraus (Edel Verlag). Die 34-Jährige, die bei ihrem Vater in Frankreich aufwuchs, stellt persönliche Erinnerungsstücke zur Verfügung; Familienfotos, Drehbücher, die beiden Césars, die Schneider verliehen wurden, Schmuckstücke, wie den Ring, den ihr Regisseur Luchino Visconti schenkte oder das Medaillon, das Schneider von ihrer Mutter Magda bekommen hat. Biasini will das Private rund um sie und ihre Mutter so gut es geht aus der Ausstellung heraushalten. Dennoch gibt sie im Interview zu, dass es für sie schwierig sei, wenn sie etwa Briefe, die ihre Mutter geschrieben hat, zu lesen bekommt. "Wenn es eine gibt, die beim Anblick dieser Dokumente weinen darf, dann bin das schließlich ich!" sagt sie. Biasini führt in dem Buch dem Publikum klar und verständnisvoll vor Augen, was Schneider zunächst und ausschließlich für das Publikum war, nämlich Schauspielerin.
"Wenn es nach mir ginge, würde ich sofort Schauspielerin werden. So wie Mammi", schreibt die 15-jährige Rosemarie Albach in ihr Tagebuch. Die Internatsschülerin sah ihre sehr bald geschiedenen Eltern mehr auf der Leinwand als im wirklichen Leben. Ein paar Monate später spielte sie mit ihrer Mutter Magda Schneider in "Wenn der weiße Flieder wieder blüht". Zwei Jahre und etliche Liebesfilme später machte sie die Darstellung der kindlichen Kaiserin Elisabeth unter der Regie von Ernst Marischka berühmt. Die Kaiserin, die im Film eigentlich gar keine Kaiserin sein wollte, verband sich unweigerlich mit der Lebensgeschichte der Schauspielerin, die sich erst nach dem dritten Teil von "Sissi" gegenüber ihrer Familie durchsetzen konnte und trotz massiven Drucks von außen einen vierten Teil ablehnte. Sie wollte alles sein - nur nie wieder Sissi. Es folgte "Mädchen in Uniform" und die Verfilmung von Arthur Schnitzlers "Liebelei" namens "Christine". Als solche verliebte sie sich in ihren Filmpartner Alain Delon. Die Beziehung sollte fünf Jahre lang dauern.
Frau mit Vergangenheit#
Mit Delon kam sie nach Frankreich, wo sie sehr schnell eine erfolgreiche Schauspielerin jenseits von Prinzessinnen-Rollen wurde. Sie drehte mit Luchino Visconti ("Boccaccio 70"), Orson Welles ("Der Prozess"), Henri-Georges Clouzot ("Die Hölle"), Claude Sautet ("Die Dinge des Lebens") oder Claude Chabrol ("Die Unschuldigen mit den schmutzigen Händen"). Ihre Rollen waren exzessiv, ihre Kollegen beeindruckt, ihre Film-Partner keine geringeren als Michel Piccoli, Marcello Mastroianni oder Yves Montand. Statt Prinzessin spielte sie eine erotische Frau, statt liebes deutsches Mädel die verfolgte Jüdin.
Schneider war nicht nur in ihren Filmen eine Frau mit Vergangenheit. Ihren Eltern, Magda Schneider und Wolf Albach-Retty, wurde immer wieder eine Nähe zum Nationalsozialismus nachgesagt. Schneider selbst soll gesagt haben, dass sie glaube, dass ihre Mutter ein Verhältnis mit Adolf Hitler gehabt hat.
Schneiders Rollen und auch ihr Leben hängen an den Umständen der Zeit. Und die Zeit war turbulent. Das Nachkriegs-Deutschland versuchte noch schönzufärben, bevor die Jugend revoltierte. Das unschuldige Mädel, der Backfisch wie Schneider oft bezeichnet wurde, kam gelegen. Einen deutschen Star brauchte es, nachdem Marlene Dietrich und Hildegard Knef Deutschland den Rücken gekehrt hatten. Auf deutsches Spießertum prallte französischer Existenzialismus, auch die Frauenbewegung ließ nicht mehr lange auf sich warten. "Ja, ich habe abgetrieben", bekannte sich Schneider am 6. Juni 1971 im "Stern". Sie war eine von 374 Frauen, die dem Aufruf Alice Schwarzers folgten.
Doch zuvor versuchte sie sich noch privat in der Rolle der liebenden Ehefrau. Sie heiratete Regisseur Harry Meyen und brachte 1966 ihren Sohn David zur Welt. Zwei Jahre lang steckte sie ihre eigene Karriere zugunsten ihres Mannes zurück. Bis 1968 das Angebot kam, gemeinsam mit ihrer Jugendliebe Delon "Swimmingpool" in Nizza zu drehen. Der Presse zeigte sie, dass sie Beruf und Familie unter einen Hut bringen konnte, dass sie ausbrach aus einem spießbürgerlichen Dasein. Trotz Kind war sie attraktiv, ging ihrem Beruf nach, ja, sie konnte sich sogar scheiden lassen, sie konnte auch noch als Alleinerzieherin Schauspielerin sein. Sie konnte wieder heiraten und mit 38 Jahren auch noch ein Kind bekommen, von ihrem neuen Mann, bei dem sie schließlich auch nicht blieb. All das konnte sie, während sie zwölf Jahre lang fast ununterbrochen Filme drehte; "Inzest", "Das Mädchen und der Kommissar", "César und Rosalie", "Trio infernal", "Nachtblende", "Gruppenbild mit Dame" oder "Die Liebe einer Frau". Deutsche Filme gab es mit Schneider nicht mehr. "Ich brauche das passende Drehbuch", sagte sie dazu nur. Auch mit Rainer Werner Fassbinder hatte sie für seinen Film "Die Ehe der Maria Braun" Kontakt. Der Briefwechsel zwischen Fassbinder und Schneider wurde erst vor kurzem in einem Archiv entdeckt und wird nun erstmals in der Bonner Ausstellung gezeigt.
Dramatisches normalisieren#
Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt, das passte zu ihr, wie sie selbst sagte, voll und ganz, ganz oder gar nicht. Sie trank, rauchte, nahm Medikamente. Selbst nach dem Unfalltod ihres Sohnes 1981 brach sie die Dreharbeiten zu ihrem letzten Film "Die Spaziergängerin von Sans-Souci" nicht ab. Ein Jahr später, in der Nacht zum 29. Mai 1982, starb sie an Herzversagen. Für Tochter Sarah ist es wichtig, Dramatisches zu normalisieren: "Millionen von Frauen werden mit dem Tod eines ihrer Kinder konfrontiert".
Was bleibt, ist eine unverkennbare Schauspielerin, die einst sagte: "Mein Leben ist eine Synthese von Film und Leben - zu Ungunsten des Lebens."