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"Ich bin Jude, und darauf bin ich stolz"#

Vision und Illusion: Die Tragik der jüdischen Künstler und Mäzene in der Gründerzeit der Salzburger Festspiele.#


Von der Wiener Zeitung (1. September 2021) freundlicherweise zur Verfügung gestellt

Von

Fritz Rubin-Bittmann


Der österreichische Schriftsteller Hugo von Hofmannsthal bei der Arbeit. Österreich. Photographie. Um 1900.
...und Hugo von Hofmannsthal
Foto: © IMAGNO/Austrian Archives

Der österreichische Regisseur Max Reinhardt. Wien. Photographie. 1922
Sie prägten die Salzburger Festspiele: Max Reinhardt...
© IMAGNO/Archiv Setzer-Tschiedel

Die heurigen Salzburger Festspiele sind zu Ende. Noch bis November läuft im Jüdischen Museum Wien die Schau zum 100-jährigen Jubiläum, "Jedermanns Juden". Die Gründung der Festspiele wäre ohne jüdische Künstler und Mäzene nicht möglich gewesen. Überhaupt ist die Geschichte Österreichs aufs Engste mit jener seiner Juden verknüpft. Sie leisteten in Wissenschaft, Kunst, Kultur und Wirtschaft Enormes - die Industrialisierung der K.u.k.-Monarchie geht auf Juden zurück, insbesondere auf das Haus Rothschild, das bis heute für viele Österreicher ein Feindbild ist.

Es ist Hugo von Hofmannsthal und Max Reinhardt zu danken, dass die Idee, Salzburg zum kulturellen Mittelpunkt Europas zu machen, verwirklicht wurde. Bereits davor gab es zahlreiche Initiativen, die Mozartstadt kommerziell und kulturell zu vermarkten. Diese waren frustran. Dazu sei gesagt, dass es Hermann Bahr war, der im Salon von Berta Zuckerkandl auf Reinhardt und Hofmannsthal einwirkte, ihre Idee zu verwirklichen. Reinhardt hatte bereits am 25. April 1917 eine Denkschrift zur Errichtung eines Festspielhauses in Hellbrunn für 3.000 bis 4.000 Besucher und einer damit verbundenen Hochschule für Bühnenkunst verfasst. Diese übergab Leopold Freiherr von Andrian-Werburg, Intendant des k.u.k. Hoftheaters sowie ein enger Freund Hofmannsthals und Bahrs, im August 1918 Kaiser Karl und erhielt dessen Zustimmung für die Gründung der Festspiele. Auch Hofmannsthal hatte eine Programmatik verfasst, in deren Zentrum die Idee eines europäischen Friedenswerkes, das von Salzburg ausging, stand.

Am 22. August 1920 war die Geburtsstunde der Salzburger Festspiele mit einer Aufführung des "Jedermann" - bearbeitet von Hofmannsthal und unter der Regie Reinhardts. Dieser wandelte das aus dem 16. Jahrhundert stammende englische Volksstück in ein katholisches Mysterienspiel als Allegorie christlichen Erlösungsgedankens. Der "Jedermann" war eine Notlösung, da Hofmannsthal das "große Welttheater" nicht rechtzeitig fertigstellen konnte. Erzbischof Ignaz Rieder, mit dem Reinhard befreundet war, stellte den Domplatz als Spielort zur Verfügung. Trotz aller Widerstände und antisemitischer Anfeindungen wurde Salzburg zu einem kulturellen Zentrum par excellence.

Reinhardt und Hofmannsthal hatten ihre Visionen verwirklicht, unterschätzten aber Vorurteile und Feindschaft der Salzburger Bevölkerung. Ein Strom internationaler Besucher kam zu den "Jedermann"-Freilichtaufführungen ins von Not und Wirtschaftskrise gezeichnete Österreich. Die autochthone Bevölkerung lehnte diesen jüdischen Tourismus ab, auch aus Missgunst und Neid auf den Lebensstil der jüdischen Hautevolee. Juden hatten in verschiedenen Urlaubsorten gegen große antisemitische Anfeindungen zu kämpfen. So wurde Arnold Schönberg im Juni 1921 buchstäblich wegen seines Judentums aus Mattsee vertrieben. Durch die Juden stiegen die Zimmerpreise derart an, dass arische Gäste keine Unterkunft fanden. Der Historiker und frühere Salzburger Landeshauptmann Franz Schausberger hat sich mit dem Salzburger Antisemitismus der 1920er befasst: "Zur Schau gestellter Nachkriegsreichtum, überlaute Feste - nicht zuletzt bei Max Reinhardt im Schloss Leopoldskron - standen im schmerzlichen Kontrast zu den ärmlichen Verhältnissen des Salzburger Publikums, des österreichischen Mittelstandes."

Der verhasste Financier#

Von 1921 bis 1924 wurden die Festspiele vorwiegend durch jüdische Mäzene wie Paul und Irene Hellmann, Camillo Castiglione oder Jenny und Isidor Mautner finanziert. Jüdische Künstler verzichteten bei ihren Auftritten häufig auf Honorare. Reinhardt bewirtete in seinem Schloss ein internationales Publikum, das die Salzburger Wirtschaft durch große Ausgaben in Hotels und Geschäften ankurbelte. Die Salzburger Tracht wurde zur Mode, und für Aufführungen der Festspiele zahlte man oft das Zehnfache des verlangten Kartenpreises.

Der heuer publizierte Katalog des Jüdischen Museums Wien erinnerte an die vergessenen jüdischen Mäzene. Castiglione etwa finanzierte etliche Kulturinitiativen. Er ermöglichte durch eine große Spende den Erhalt des Mozarteums. Für kurze Zeit war ein Saal nach ihm benannt, der Name Castiglione verschwand aber bald wieder. Der brillante Geschäftsmann, der binnen weniger Jahre zu einem der reichsten Männer Europas wurde, galt der antisemitischen Presse als "Finanzjude", "Inflationsgewinner" und "verantwortungsloser Börsenspekulant". Immer wieder kam der Zusatz, er sei der Sohn des Triester Oberrabbiners.

Als Direktor des Semperit-Vorläufers Österreichisch-Amerikanische Gummiwerke AG beeinflusste Castiglione Auto- und Flugzeugindustrie. Er schuf in der Zwischenkriegszeit ein gigantisches Firmenimperium, gründete die Bayerischen Motorenwerke (BMW) und beschäftigte als Konstrukteur Ferdinand Porsche, mit dem er eine spektakuläre Ballonfahrt um den Wiener Stephansdom absolvierte. Doch wie gewonnen, so zerronnen. Durch die Wirtschaftskrise Mitte der 1920er geriet er in finanzielle Schwierigkeiten, zahlte aber all seine Schulden durch den Verkauf seiner großen Kunstsammlung und seiner Firmenanteile an Banken und Industriebeteiligungen zurück.

Ungeachtet seiner prekären finanziellen Situation blieb er ein wichtiger Financier, ebenso sein Freund Mautner, einer der größten Textilfabrikanten der Monarchie mit 23.000 Angestellten und Präsident der Wiener Schauspielhaus AG. Die zwei kauften auch das Josefstädter Theater in Wien und übergaben Reinhardt die Leitung. Während sich Mautner im Hintergrund hielt, liebte Castiglione große Auftritte. Empfänge in seiner Villa am Grundlsee waren spektakulär. Was Rang und Namen in Kunst und Kultur hatte, gab sich dort ein Stelldichein. Karl Kraus verspottete ihn als neureichen Börsenspekulanten. Nach heutigen Maßstäben war Castiglione ein erfolgreicher Investor nach Art Warren Buffetts, Bill Gates’ oder Elon Musks. Sein Pech war die Wirtschaftskrise.

Auch Mautner verlor große Teile seines Vermögens durch den Kollaps der Monarchie. Reinhardt hatte ebenfalls finanzielle Schwierigkeiten, sodass 1924 die Festspiele ausfielen. Auch enervierten ihn die antisemitischen Anfeindungen, und er verlegte seine Aktivitäten vermehrt in die USA. Landeshauptmann Franz Rehrl überzeugte ihn aber, in Salzburg weiterzumachen. Opernaufführungen unter Richard Strauss ergänzten die "Jedermann"-Aufführungen. Antisemitische katholische Kreise sahen darin eine jüdische Profanierung. Landeshauptmann Rehrl wurde politischer und Erzbischof Rieder religiöser Protektor der Festspiele.

Salzburg, das Anti-Bayreuth#

1926 initiierte Rehrl einen Fonds zur Förderung des Fremdenverkehrs in Salzburg, der die Festspiele unterstützte. Reinhardt und Hofmannsthal waren Devisenbringer. Allerdings schrieb Hofmannsthal an Zuckerkandl, statt Reinhard solle Strauss Festspielpräsident werden, denn Reinhardt werde vierfach gehasst: als Jude, als Schlossbesitzer, als erfolgreicher Theatermagier und als sensibler, nachdenklicher Mensch, der eine innere Mission verspüre, Großes zu leisten.

Reinhardt konvertierte im Gegensatz zu vielen anderen assimilierten Juden aus einem Ehrgefühl heraus nicht. Als ihn Propagandaminister Joseph Goebbels zum Ehren-Arier machen wollte, betonte er: "Ich bin Jude, und darauf bin ich stolz." Hofmannsthal hingegen hielt sich für einen Katholiken und war stolz auf seinen aristokratischen Titel, den er freilich der Tüchtigkeit jüdischer Vorfahren verdankte, die Kaiser Franz Joseph nobilitiert hatte. Seine Umgebung nahm ihn aber auch als jüdischen Snob wahr.

Fritz Rubin-Bittmann wurde 1944 in Wien als Sohn jüdischer Eltern geboren und überlebte als 'U-Boot'. Er ist Arzt für Allgemeinmedizin (2016 mit dem Berufstitel Professor ausgezeichnet) und hat zu Zeitgeschichte und Religionsphilosophie publiziert
Fritz Rubin-Bittmann wurde 1944 in Wien als Sohn jüdischer Eltern geboren und überlebte als "U-Boot". Er ist Arzt für Allgemeinmedizin (2016 mit dem Berufstitel Professor ausgezeichnet) und hat zu Zeitgeschichte und Religionsphilosophie publiziert.
Foto: © Parlamentsdirektion / Johannes Zinner

Als 1933 Adolf Hitler an die Macht kam, schrieb der katholische Autor François Moriac: "Hitlers Atem ist in Salzburg spürbar, und Mozarts Musik ist den Nationalsozialisten ein Dorn im Auge, denn die verjudeten Salzburger Festspiele haben durch Mozart einen genius loci." Salzburg galt als Anti-Bayreuth, und die Idee der kulturellen Großmacht Österreich, sublimiert von Dichtern wie Hofmannsthal, Josef Roth und Anton Wildgans, entsprach der politischen Ideologie des Ständestaates. Österreich unter Kanzler Engelbert Dollfuß, der als erster Staatsmann offen gegen Hitler opponierte, war ein Zufluchtsort für in Nazi-Deutschland Verfolgte.

Am 25. Juli 1934 wurde Dollfuß von Nationalsozialisten ermordet. Die Salzburger Festspiele wurden vom Trauermarsch bestimmt. In Bayreuth jubilierte Hitler, als er die Nachricht von Dollfuß’ Ermordung erhielt. Mit einer 1.000-Mark-Sperre versuchte er 1933, die Salzburger Festspiele zu vernichten. Erich Kästner schrieb "Der kleine Grenzverkehr", und statt 15.000 deutscher Besucher aus kamen nur 850. Dafür verstärkte die 1.000-Mark-Sperre die Solidarität der vor allem jüdischen Touristen aus Übersee. Strauss, Wilhelm Furtwängler und Hans Pfitzner sagten ihre Dirigate in Salzburg ab. Arturo Toscanini hingegen trat auf. In Bayreuth wollte er nur unter der Bedingung dirigieren, dass Hitler die Judenverfolgungen einstellte - was freilich nicht erfüllt wurde.

Bereits 1929 waren Hofmannsthal und Reinhardts Bruder Eduard, der finanzielle Kopf der Festspiele, gestorben. Bombenterror in Salzburg, ein Anschlag auf das Hotel Bristol, der einen Toten forderte, ein Bombenanschlag auf das Foyer der Festspiele und Böllerterror gegen Reinhardt auf Schloss Leopoldskron verschlechterten dessen Situation und jene der jüdischen Künstler. Reinhardt war Salzburg-müde geworden und meinte in einem Gespräch mit Zuckerkandl: "Das Schöne an den Festspielen ist, dass sie den Geschmack der Vergänglichkeit haben und jedes Jahr das letzte sein kann."

1937 fanden dann die letzten Salzburger Festspiele unter seiner Leitung statt. 1938 wurde Hitler triumphal in Österreich begrüßt, auch die Salzburger gerieten in eine wahre NS-Euphorie, jüdische Künstler wurden vertrieben oder ermordet. Reinhardt flüchtete in die USA, sein Besitz wurde arisiert. Nun logierte der Dirigent Clemens Krauss im Schloss Leopoldskron und leitete die "entjudeten" Salzburger Festspiele. Die Vision Reinhardts und Hofmannstahls war für jüdische Künstler und Mäzene zur Illusion geworden. Reinhardt wollte nie wieder deutschen oder österreichischen Boden betreten. Am Stiegenaufgang im Jüdischen Museum Wien steht ein Zitat Hofmannsthals von einem Treffen mit Zuckerkandl 1919: "Doch glauben Sie mir, es kommt der Tag, an dem die ganze Welt zu unseren Salzburger Festspielen pilgern wird."

Salzburg und Österreich haben Juden viel zu verdanken. Die jüdische Liebe zu Österreich, aus der die Idee zu den Salzburger Festspielen entstanden war, blieb nicht nur unerwidert und unbedankt, sondern wurde mit Hass, Verachtung, Neid und Missgunst beantwortet. Die Menschen, die diese Idee hatten und ihr dienten, wurden vertrieben, ermordet und vergessen. Die Idee aber blieb, wirkt bis heute weiter und macht Salzburg zu einem Ort von Kultur und Kunst par excellence.

Wiener Zeitung, 1. September 2021


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