Ein Jahrhundert Schiele#
Kurzes Leben, langer Ruhm: Zum 100. Todestag des Künstlers ein Rückblick auf eine Karriere, die erstaunlich rasch zu Weltgeltung führte.#
Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus der Wiener Zeitung, 21. Oktober 2018
Von
Wolfgang Georg Fischer
Am 31. Oktober 2018 jährt sich der 100. Todestag des inzwischen weltberühmten Malers Egon Schiele. Er ist im Hause seiner Schwiegereltern Harms, in der Hietzinger Hauptstraße (Wien 13), im Haus gegenüber von seinem Atelier, verstorben.
Das Andenken an ihn und sein revolutionäres Werk wird weltweit gefeiert, allen voran durch eine Ausstellung in der Orangerie der Österreichischen Galerie im Belvedere. Diese Galerie ist neben dem Leopold Museum und der Graphischen Sammlung Albertina weltweit jenes Museum, das den reichsten Bestand an Schiele Ölgemälden vorweisen kann. Noch zu Lebzeiten des früh verstorbenen Künstlers hat der mutige und visionäre damalige Direktor, Franz Martin Haberditzl, ein Bild für die damalige Staatsgalerie erworben (die Frau des Künstlers, Edith Schiele, im blauen Kleid darstellend, 1918).
Haberditzl hat allerdings verlangt, dass Schiele das avantgardistische Muster des Rockes grau zu übermalen hätte, damit seine Majestät Kaiser Franz Joseph bei einem eventuellen Besuch nicht durch das revolutionäre Ornament beleidigt werden würde.
Diese Erwerbung ist der erste Museumsankauf eines monumentalen repräsentativen Ölbildes. Egon Schiele schreibt dazu am 21. Juni 1916 an seinen Förderer Arthur Roessler, den Kunstkritiker der "Arbeiter-Zeitung": "[. . .] ich glaube daß heute wenigstens ein Bild doch in der St.-G. [Staatsgalerie] hängen könnte." Eine große Genugtuung und Ehre für einen erst 26-Jährigen.
Das kurze Leben des Künstlers - er starb im letzten Kriegsjahr bekanntlich an der grassierenden Spanischen Grippe - beginnt in Tulln, wo er am 12. Juni 1890 zur Welt kommt. Sein Vater war der Eisenbahnbeamte Adolf Eugen Schiele (1851-1905), Stationsvorstand der k.u.k. Staatsbahnen. Seine Mutter Marie, geborene Soukup, stammte aus Krumau in Mähren. Egon ist das jüngste Kind nach drei Schwestern, Elvira, Melanie und Gerti.
Er besucht die Volksschule in Tulln und das Realgymnasium in Krems, kommt aber nach der Übersiedlung nach Klosterneuburg in das dortige Stiftsgymnasium. 1905 stirbt sein Vater, nachdem er schon 1902 wegen Geisteskrankheit pensioniert worden war. In die Wiener Akademie aufgenommen, stellt sich der Student mit einem mutigen Manifest gegen seinen Lehrer Christian Griepenkerl, der als einst viel beschäftigter Ringstraßenmaler noch die ästhetischen Ideale des späten 19. Jahrhunderts vertritt.
Das Jahr 1907 markiert die beginnende Freundschaft mit Gustav Klimt, mit dem für Schiele - ebenso wie für viele seiner anderen revolutionären Zeitgenossen (wie etwa Oskar Kokoschka) - ein lebenslanger Förderer gewonnen wird. Klimt verschafft ihm 1908 den Zugang zur denkwürdigen Kunstschau, auf der zum ersten Mal die zukunftsweisenden Werke der Wiener Moderne in einer Gesamtschau vorgestellt werden.
Schiele verlässt grollend die verzopfte Akademie und gründet die sogenannte "Neukunst-Gruppe" mit gleichgesinnten Kollegen wie Anton Peschka, seinem zukünftigen Schwager, sowie Anton Faistauer, Franz Wiegele, Hans Massmann und Karl Zakovsek, der später auch noch Albert Paris von Gütersloh und Hans Böhler beitreten. In diesem Jahr beginnt Schiele auch für die richtungsweisende Wiener Werkstätte zu arbeiten und lernt deren Leiter, den Architekten Josef Hoffmann, kennen.
Wolfgang Georg Fischer, geboren 1933 in Wien, ist internationaler Kunstexperte mit dem Spezialgebiet Wiener Klassische Moderne (Klimt, Kokoschka und Schiele), und Schriftsteller. Er war Präsident des Österreichischen PEN-Clubs von 1998 bis 2001 und ist seither dessen Ehrenpräsident.
1910 ist eines der produktivsten Jahre des jungen Schiele. Er befreundet sich mit den Sammlern Carl Reininghaus und Oskar Reichel und dem Verleger Eduard Kosmack. Von allen dreien hat er uns großformatige Porträts hinterlassen. In diesem annus mirabilis lernte er auch den Eisenbahnbeamten Heinrich Benesch kennen, der zu einem seiner treuesten Sammler, Freunde und Förderer werden sollte. Ihn und seinen Sohn Otto Benesch hat Schiele oft porträtiert; und als Otto Benesch 1948 Direktor der Graphischen Sammlung der Albertina wurde, machte er einen Teil der Sammlung seines Vaters dieser Institution zum Geschenk.
1912 wird Schiele Opfer einer Intrige, indem er der Entführung einer Minderjährigen bezichtigt wird. Es kommt zu einer Gerichtsverhandlung und er muss eine Haftstrafe in St. Pölten absitzen, wegen "Verbreitung unsittlicher Zeichnungen".
Diesem Gefängnisaufenthalt verdanken wir freilich einige der schönsten aquarellierten Zeichnungen. Das wunderbare Blatt mit der Inschrift "Die eine Orange wird das einzige Licht" wird wohl immer eines meiner Lieblingsblätter bleiben. Die Orange liegt auf der grauen Kotze des Gefängnisbettes und leuchtet daher umso stärker. Die Früchte hat übrigens Schieles damalige Gefährtin und Modell Wally Neuzil für den Gefangenen abgegeben.
In diesem Jahr gelingt ihm aber auch der Sprung über die Grenze nach Deutschland, und zwar mit der "Internationalen Sonderbund-Ausstellung" in Köln. Ein Jahr später, 1913, finden bereits weitere Ausstellungen in Deutschland statt, und zwar in der Galerie Hans Goltz in München ebenso wie in der Münchner Secession, im Folkwang Museum in Hagen, in Hamburg, Breslau, Stuttgart, Dresden und Berlin.
Einrücken ohne Waffe#
Die Weihnachtszeit 1912 und den Jahreswechsel 1912/1913 verbringt Schiele bei der Familie des Industriellen August Lederer inGyör (Raab) in Ungarn. Dieser Aufenthalt war von Gustav Klimt vermittelt worden, damit Schiele dem Sohn des Hauses, Erich Lederer, Zeichenunterricht erteilen und ihn porträtieren konnte. Auch der Ausbruch des Ersten Weltkriegs im Juli 1914 unterbricht die Ausstellungstätigkeit Schieles nicht. Die Wiener Galerie Arnot zeigt Ende 1915 eine Kollektivausstellung, im selben Jahren sind auch Zeichnungen und Aquarelle im Züricher Kunsthaus zu sehen.
In das Jahr 1915 fallen zwei einschneidende Ereignisse: Schiele heiratet am 17. Juni Edith Harms, deren Familie - wie gesagt - seinem Atelier gegenüber im Haus in der Hietzinger Hauptstraße 104 wohnt. Vier Tage nach seiner Trauung muss er allerdings in Prag seinen Militärdienst antreten, wird aber nach der Ausbildung nach Wien überstellt, wo er zwar einrückt, aber nicht mit der Waffe in der Hand, sondern in die Heereskonsumanstalt, wo er auch arbeiten kann.
Sein damaliger Vorgesetzter, der Rechtsanwalt und Oberleutnant Hans Rosé, musste 1938 emigrieren, meldete sich aber bei mir nach Eröffnung der ersten Schiele-Ausstellung in London (1964), denn er hatte auch als Emigrant das Andenken an seinen ehemaligen Untergebenen hochgehalten - und überließ mir sogar eine Sammlung von Schiele-Zeichnungen, die er selbst in Auftrag gegeben hatte, um Schiele den militärischen Drill zu ersparen. Diese Zeichnungen zeigen Warenlager, Stellagen und Einblicke in die Vorratskammern der Konsumanstalt des Heeres und sind ganz offensichtlich ohne innere Anteilnahme gezeichnet, sodass man den Eindruck gewinnt, Schiele hätte diese Aufgabe nur widerwillig und im Allerweltsstil eines Zeichenlehrers hinter sich bringen wollen . . .
Durchbruch in Secession#
1916 kann Schiele im Rahmen einer "Wiener Kunstschau" in der Berliner und Münchner Secession ausstellen. Im Heer ist er nun ausdrücklich dem "Dienst ohne Waffe" zugeteilt und zur Beaufsichtigung russischer Offiziersgefangener in Mühling bei Wieselburg in Niederösterreich abkommandiert. Diesem "Heeresdienst" verdanken wir mehrere Zeichnungen und Aquarelle mit eindrucksvollen Schilderungen von Porträts russischer Kriegsgefangener. Der Künstler konnte also trotz offiziellem Militärdienst seine "zivile" Existenz weiterführen. Dieses Privileg verlängerte sich im Oktober 1917, als Schiele in das Heeresmuseum im Wiener Arsenal "einrückte", wo er mit ebenso schonenden Beschäftigungen wie Beschriftungen und graphischen Arbeiten eingedeckt wurde. Er bekam sogar die Sondervergünstigung, zu Hause übernachten zu dürfen.
Auch im vorletzten Kriegsjahr 1917 ist es dem Künstler möglich gewesen, einige seiner Werke vorzustellen, und zwar in Wien, in der sogenannten "Kriegsausstellung", in München wieder in der Secession und in den Hauptstädten neutral gebliebener Länder, in Amsterdam, Stockholm und Kopenhagen. Die 49. Sonderausstellung der Secession in Wien im letzten Kriegsjahr, das eben auch das letzte Lebensjahr des Künstlers gewesen ist, brachte dann den Durchbruch.
Die Wiener Sammlerwelt und die Wiener Kritik kamen anlässlich dieser Ausstellung zur absolut richtigen Überzeugung, dass dieser Künstler trotz seiner Jugend schon zu den Großen der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts zu zählen ist. Dass sein Werk innerhalb der kommenden 100 Jahre bis in die oberste Etage der Weltgeltung aufsteigen wird, vergleichbar mit Cézanne, Modigliani, Picasso und den Impressionisten, konnten sie im Frühjahr 1918 freilich noch nicht erahnen.
Nicht vertretbar ist übrigens die Meinung, Schiele hätte ein hartes Künstlerschicksal wie der junge van Gogh oder der junge Modigliani erdulden müssen, denn er konnte schon zu Lebzeiten nicht nur in seiner Heimatstadt, sondern auch im Ausland Bekanntheit erlangen. Und er hat einflussreiche Mäzene und Sammler gefunden, wie Reininghaus, Lederer und Böhler, und ebenso enthusiastische Kunstkritiker, allen voran besagter Arthur Roessler.
Nicht zu vergessen sind die Hilfestellungen seines ersten Kunsthändlers in Wien, Otto Kallir (geb. Nirenstein), der seinem Werk in der Galerie St. Stephan eine frühe Heimstätte gegeben hat, und bereits zehn Jahre nach Schieles Tod den ersten Oeuvre-Katalog herausbrachte. Kallir ist 1938 wegen seiner jüdischen Herkunft von den Nazis vertrieben worden, setzte seine Tätigkeit für Schiele aber unverdrossen fort, in seiner nun umbenannten Galerie St. Etienne in Paris, später in New York. Dort gelang es ihm 1954, das erste monumentale Schiele-Gemälde, "Porträt Paris Gütersloh", an ein amerikanisches Museum zu vermitteln (Minneapolis Institute of Arts, Minnesota).
Absurde Preissteigerung#
Die Weltgeltung Egon Schieles im Kanon der bedeutendsten Maler und Zeichner des 20. Jahrhunderts gilt heute, zur Wiederkehr seines 100. Todestages, als gesichert. Dazu ist es nicht notwendig, aber interessant, auch einen Blick hinter die Kulissen der Preisentwicklung zu werfen:
Im Lagerkatalog der Firma Kornfeld und Klipstein, Bern, aus dem Jahr 1956 ist ein kleines Ölbild, "Tote Stadt I", (1911, 37 x 30 cm) noch mit 4250 Schweizer Franken taxiert, und das wunderbare Aquarell "Knabenbildnis/ Matrosenknabe" (1914) mit 650 Franken (sic!).
Etwas mehr als sechzig Jahre später kommt Schieles Ölbild "Dämmernde Stadt (1913) am 12. November 2018 bei Sotheby’s in New York mit einem Schätzpreis von 18 Millionen Dollar (sic!) zur Versteigerung. Man sollte sich aber hüten, "Kunstpreis-Exzesse" als Wertmesser zu betrachten. Lassen wir lieber den Künstler selbst sprechen, und zwar mit einem Gedicht:
Ein Selbstbild (1910)#
Ein ewiges Träumen voll süßesten / Lebenüberschuss -- rastlos, -- / mit bangen Schmerzen innen, in der / Seele. -- Lodert, brennt, wachst / nach Kampf, -- Herzkrampf. /
Wegen und wahnwitzig rege mit / aufgeregte Lust. -- Machtlos ist / die Qual des Denkens, sinnlos, um / Gedanken zu reichen. -- Spräche / die Sprache des Schöpfers und /gäbe. -- Dämone! -- Brecht die / Gewalt!
Eure Sprache, -- Eure Zeichen, - Eure Macht.
Information#
Schiele-Ausstellungen#
Neben der Ausstellung im Belvedere ("Wege einer Sammlung", bis 17. 2. 2019) wird Schiele auch durch eine zweite Wiener Ausstellung geehrt ("Die Jubiläumsschau, RELOADED, Leopold Museum, bis 10. 3. 2019).
Internationale Beachtung findet und fand Schiele heuer in:
London: "Klimt / Schiele" (Royal Academy, bis 3. 2. 2019).
Liverpool: Schiele gegenübergestellt der amerikanischen Fotografin Francesca Woodman (Tate Liverpool, bis 23. 9. 2018).
Paris: Gegenüberstellung Schiele und Jean-Michel
Basquiat (Fondation Louis Vuitton, bis 14. 1. 2019).