Die Kraft der Reduktion#
Der österreichische Bildhauer Otto Eder ist heute kaum noch bekannt. Dabei zählen seine Skulpturen zu den exemplarischen Kunstwerken der Moderne.#
Von der Wiener Zeitung (Samstag, 14. Mai 2011) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
Von
Wolfgang Hingst
Er lebte ungestüm und hinterließ, als er 1982 mit 58 Jahren starb, ein plastisches Werk, das durchaus neben anderen Bildhauergrößen des 20. Jahrhunderts bestehen kann. Der Kärntner Otto Eder war einer der großen österreichischen Bildhauer. Nun hat die moderne Bildhauerei hierzulande seit dem Skulpturrevolutionär Franz Xaver Messerschmidt (1736–1783) traditionell keinen hohen Stellenwert. Allenfalls kennt man Fritz Wotruba oder Alfred Hrdlicka. Aber wen sonst?
Wo kommt die Verdrängung her? Der Kunstmarkt wird zum Teil durch irrationale Prozesse bestimmt, die Kunstszene ist fixiert auf Ausstellungen, die möglichst viel Publikum anziehen sollen. Wer keine Lobby hat, geht leicht unter. Nicht, dass Otto Eders Arbeiten keine guten Preise erzielen. Sogar eher entlegene Arbeiten, wie Grafiken oder Ölmalereien, können durchaus mit bekannteren Kunstwerken mithalten. Nach Auskunft von Ferdinand Altnöder von der gleichnamigen Galerie in Salzburg, wurde die 212 cm hohe "Große Klagende" aus dem Jahr 1956, Eders größte Holzfigur, um 74.000 Euro angeboten.
Zum Vergleich: Fritz Wotrubas "Weiblicher Torso" aus dem Jahr 1946 wurde bei der Auktionswoche moderner Kunst Ende November 2010 im Wiener Dorotheum mit einem Schätzwert von 70.000 bis 110.000 Euro ausgeschrieben, der "Cardinale in Piedi" von Giacomo Manzú um 80.000 bis 120.000 Euro.
"Verbleib unbekannt"#
Aber das Werk Otto Eders ist nicht leicht zugänglich. Bei vielen von seinen rund 170 bildhauerischen Objekten steht im Werkkatalog "Verbleib unbekannt". Das offenbart die ausgezeichnete Arbeit "Otto Eder. Figur und Formel", verfasst von der Salzburger Kunsthistorikerin Elisabeth Rath. Das Werk wurde von der Galerie Altnöder in Salzburg veröffentlicht, die auch den Nachlass und Eders Werk betreut.
Nach Eders Tod im Jahr 1982 wurde sein Werk in größerem Umfang nur in der Kärntner Landesgalerie sowie im Museum Moderner Kunst in Passau gezeigt – beide Ausstellungen kamen durch die Initiative der Galerie Altnöder zustande. Eine große Wiener Retrospektive des Gesamtwerkes auf internationalem Niveau – etwa in der Galerie Belvedere, die einige Eder-Plastiken besitzt, oder in der Albertina – steht noch aus und wäre eine erstrangige kulturpolitische Aufgabe für Österreich. Bisher reichte es (außer den verdienstvollen Bemühungen von Altnöder) nur für Gruppenausstellungen und lokale Präsentationen in Kärnten, Salzburg und Wien. In der Bundeshauptstadt haben sich die Galerien Magnet (2003) und Chobot (2009) für Eder eingesetzt. Im Internet-Auftritt der Galerie Chobot schreibt Heliane Wiesauer-Reiterer: "Otto Eder war ein schwieriger Mensch, ein Außenseiter, ein Rebell, ein kompromissloser Weggefährte der Kunst, ein großer Künstler, ein Mensch voller Ideale, ein Schwärmer, ein Einsamer, ein Resignierter, er war gehasst und geliebt zugleich. Er war ein Mystiker, ein Romantiker und ein Melancholiker." Das Archaische, so Wiesauer-Reiterer, habe seine skulpturale Auffassung ebenso geprägt wie das gute Handwerk. Er habe Aristide Maillol, Amedeo Modigliani, Wilhelm Lehmbruck, Constantin Brâncusi und Henry Moore hoch geschätzt.
Wiesauer-Reiterer weist auch auf eine interessante Parallele zu Joseph Beuys hin: Das Soziale und der Wunsch nach dem Zentralen habe beide Künstler vereint. Beide waren als junge Männer zum Kriegsdienst im Zweiten Weltkrieg nach Russland (Krim) einberufen worden und kamen mit schweren Schädelverletzungen in die Heimat zurück. Beide entschieden sich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs für ein Studium der Bildhauerei, beide machten die eigenen Kriegserfahrungen zu ihrem Thema.
Während seiner Lehrzeit bei Fritz Wotruba an der Wiener Kunstakademie entstanden Eders Dübelplastiken: Er verband die einzelnen Figurteile durch Dübel miteinander, und machte sie damit zerlegbar und wieder zusammensetzbar. Um diese Erfindung rankt sich eine düstere Geschichte: Eder hatte solche Dübelplastiken im Hof der Akademie aufgestellt. Henry Moore sah sie, fand sie großartig, meinte aber, sie seien von Wotruba. Der musste bekennen, dass sie von Eder stammten. Daraufhin ließ Wotruba in Abwesenheit von Otto Eder die Figuren von seinem Atelierdiener zerlegen und auf einem Haufen zusammenwerfen. Eine Doppelfigur wurde sogar zerschlagen. Das führte natürlich zum Zerwürfnis der beiden Titanen, an dem Eder zu zerbrechen drohte. Erst nach Jahren, in denen er sich durch Gelegenheitsarbeiten über Wasser hielt, fand er zu seiner Kunst und seiner Aufgabe zurück.
Otto Eder, der auch Maler und Grafiker war, arbeitet in der Bildhauerei vor allem mit Stein, Beton, Bronze und Holz. Schon seine frühen Arbeiten – etwa der "weibliche Torso" von 1949/50 – zeigen, worauf es ihm ankommt: die Reduktion des menschlichen Körpers auf haptische Plastizität und eine archaische Form unter Beibehaltung harmonischer Proportionen. Der Kunsthistoriker Kristian Sotriffer schreibt über Eders Skulpturen: "Seine in sich ruhenden, voluminösen und kompakten Gebilde, deren einfache Erscheinung komplizierte Inhalte birgt, sind keiner Systematik um ihrer selbst willen unterworfen, so sehr eine Ordnung in den einzelnen Figuren gesucht wird; sie sind deshalb immer wieder, in jeder sich neu herausbildenden Phase, etwas anderes."
Der ungestüme Bildhauer reduziert seine Figuren zunehmend auf strenge geometrische Grundformen: auf Kegel, auf Zylinder, auf Kreise, auf Dreiecke, auf Eiformen und Ellipsoide.
Ursprung im Handwerk#
Otto Eder, am 4. Februar 1924 in Kärntner Seeboden geboren, wuchs in einer Familie mit fünf Kindern auf. Der Vater war ein technisch und künstlerisch begabter Tischlermeister. Daher wird Otto Eder immer eine intime Beziehung zum Holz als Material für seine plastischen Arbeiten haben. Die Mutter stammte von einem großen Bauernhof am Ossiacher See. Bevor Otto Eder mit 17 Jahren die Kunstgewerbeschule in Villach besuchte, arbeitete er mit seinem Vater zusammen in der Tischlerwerkstatt.
1945 begann Eder in der Kirchenbildhauerei Neuböck in Graz eine handwerkliche Ausbildung. 1948 studierte er zunächst bei Walter Ritter, an der Kunstgewerbeschule in Graz, dann bei Fritz Wotruba in Wien. 1962 erhält er den Österreichischen Staatspreis für Bildhauerei. 1964 wird er Mitglied der Wiener Secession.
Schon 1959 war das "Symposion Europäischer Bildhauer" in St. Margarethen im Umkreis des bekannten Sandsteinbruchs im Burgenland durch den 2010 verstorbenen Bildhauer Karl Prantl und andere Künstlerkollegen gegründet worden. Es war ein Aufbruch, denn bis dahin wurde nicht in freier Natur, im Steinbruch, sondern vor allem in Ateliers und Akademieräumen gearbeitet. Die Strahlkraft dieser Bewegung reichte bis Japan und in die USA.
Eder lernte Karl Prantl 1960 im Künstlerkreis der Wiener "Galerie im Griechenbeisl" kennen, wo er ein Jahr später auch seine erste Einzelausstellung hatte. Es kommt zu einem regen Gedankenaustausch zwischen Eder und Prantl. Doch hat Eder nie in St. Margarethen gearbeitet, was vor allem am dortigen Material, dem Sandstein, lag. Er bevorzuge "kompaktere Sachen" wie Marmor oder Holz, sagte Eder.
Im Kreis der Künstlergruppe um die Galerie im Griechenbeisl sei dann auch, wie Karl Prantl 2007 in einem Gespräch mit Silvie Aigner erklärte, die Idee für die Durchführung eines Bildhauersymposions im Krastal entstanden: "Als wir die Zusage bekamen, dass wir von der Firma Lauster, die den Steinbruch betrieb, die Steine zur Verfügung gestellt bekommen würden und durch die Gastfreundschaft von Architekt Felix Orsini-Rosenberg und seiner Frau die Künstler größtenteils im Schloss Damtschach unterkamen, haben wir begonnen ... Die Wirtschaft und ein wenig später auch der Bund haben uns finanziell ein wenig unterstützt."
Eder engagierte sich für das Bildhauersymposion Krastal, mit seinem Zentrum im Marmorsteinbruch. 1970 gründete er den "Verein Begegnung in Kärnten – Werkstätte Krastal", ein Künstlerkollektiv, das seit 1973 mit dem sozialen Projekt "Künstler bauen ihr Haus" verbunden ist.
Von Beginn an war für Otto Eder die Einbindung der Steinskulptur in den urbanen Raum wichtig. Er organisierte interdisziplinäre Diskussionsforen mit Architekten und sah eine neue Chance für die Steinskulptur im Stadtverband. Eine Möglichkeit sah er vor allem in der Wiener Innenstadt, wo durch den U-Bahn-Bau Platz in den Fußgängerzonen geschaffen wurde. Otto Eder wollte entlang der Fußgängerzonen Skulpturen aufstellen, um die Stadt mit gegenwärtiger Kunst lebendig zu gestalten. Diese Chance wurde nicht wahrgenommen. Die Steinskulpturen wurden in Parkanlagen und allenfalls in Gemeindebauen abgeschoben.
Monumentale Figuren#
Otto Eder setzt aber auch bei verwandten Symposien in Portoroz oder Lindabrunn seine skulpturalen Vorstellungen in monumentalen Figuren um. Typisch ist sein Satz: "Auch eine kleine Skulptur muss monumental sein".
Im Krastaler Marmorsteinbruch hat Eder viele seiner bedeutendsten Werke geschaffen, etwa seine "Große Figur" mit einer Höhe von drei Metern, die gegenwärtig im Kurpark Oberlaa in Wien in der Nähe des "Filmteichs" steht. Sie ist in den seit der Aufstellung vergangenen Jahrzehnten mit der dschungelartigen Landschaft rundum zu einer Einheit geworden. Die Gärtner haben ihr den Spitznamen "Jungfrau" verpasst.
Im Künstlerzentrum Krastal haben junge Bildhauer-Kolleginnen und -Kollegen aus aller Welt mit Otto Eder zusammengearbeitet. Daher war es umso unverständlicher, dass ihn seine Geldgeber letzten Endes im Stich gelassen haben. Kurz nachdem Eder resignierte, verursachte er unter Alkoholeinfluss einen Verkehrsunfall, danach galt er mehr als zwei Wochen als vermisst. Am 9. August 1982 wurde er unweit seines Hauses in Seeboden im Wald gefunden. Die Todesbescheinigung weist Tod durch Erhängen aus.
Doch seine Idee lebt weiter. 2005 startete das mit dem Geld der europäischen Steuerzahler finanzierte Projekt "Skulpturen durchs Krastal – Vom Fluss zum See". Das Gründungshaus von Otto Eder wird saniert und der Neubau eines Impulszentrums mit einem "Haus der Künstler" und einem "Atelierhaus" ist geplant. So wird das Krastal nicht nur lokal, sondern auch national und international Akzente setzen, als Ort für Austausch, Dialog und Diskurs, als Ort der Bewegung, der Inspiration und der Verwandlung im Sinne Otto Eders.
Wolfgang Hingst, Historiker und Journalist, lange Zeit Redakteur, Reporter und Filmemacher im ORF, Autor von Essays und Sachbüchern. Der Maler Franz Grabmayr hat ihn auf Otto Eders Werk aufmerksam gemacht.'