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Festgehaltene Bewegung#

Es gab eine Zeit, da war Österreich - und insbesondere Wien - im Bereich des modernen Tanzes und der Fotografie eine Großmacht. Ein Rückblick in Bildern.#


Von der Wiener Zeitung (Sa./So., 19./20. Dezember 2015) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Anton Holzer


'Bewegungsgruppe: Angst'. Inszenierung von Sascha Leontjew, Wien 1935.
"Bewegungsgruppe: Angst". Inszenierung von Sascha Leontjew, Wien 1935.
© Archiv Anton Holzer

Tanz und Fotografie gingen im 20. Jahrhundert eine enge Liaison ein. Die flüchtige Kunst des Tanzes war auf das Medium der Fotografie angewiesen, um die Aufführung haltbar und für ein breites Publikum zugänglich zu machen. Und umgekehrt versprachen die oft spektakulären Tanzbilder den Fotografen und Fotografinnen öffentliche Aufmerksamkeit und Anerkennung. Wenn wir die Geschichte des modernen österreichischen Tanzes Revue passieren lassen, zeigt sich, wie eng Tanzentwicklung und Fotografie miteinander verbunden waren. In besonderer Weise gilt das für die Blütezeit des Tanzes in den 1920er und frühen 30er Jahren.

Um die Jahrhundertwende galt der freie Bühnentanz, der nicht den Regeln der traditionellen Tanzkunst folgte, als leichte Muse. Vielen Tänzerinnen eilte der Ruf der Verruchtheit voraus. Im Bühnenraum der populären Wiener Etablissements gab es keine Sitzreihen wie im Theater. Während der Vorstellungen durfte gegessen, getrunken und geraucht werden. Das Programm, das sich vorwiegend an ein männliches Publikum wandte, bestand aus leichten Konzerten, Opern, Operetten und Revues. Stars und Sternchen traten auf, Artisten und Zauberer, Clowns und Wunderkünstler, Musiker und Pantomimen und eben auch - oft leicht bekleidete - Tänzerinnen.

Neue Wege im Freien#

Als der Wiener Fotograf Rudolf Jobst 1908 die Tänzerin Grete Wiesenthal fotografierte, markierte dies einen tiefen Einschnitt in der Geschichte der österreichischen Tanzfotografie. Er lichtete die Künstlerin im Freien ab, das war neu. Bisher waren Tanzfotos ausschließlich im Atelier entstanden, festgehalten wurden meist gestellte, starre Posen.

Grete Wiesenthal tanzt den Donauwalzer von Johann Strauß, Wien 1908
Grete Wiesenthal tanzt den Donauwalzer von Johann Strauß, Wien 1908.
© Rudolf Jobst. Archiv Anton Holzer

Aber auch der Tanz ging nun neue Wege. Wiesenthal interpretierte das populärste Stück der Wiener Musiktradition, den Donauwalzer von Johann Strauß, in einer radikal neuen Bewegungssprache. Sie tanzte in einfach geschnittener Reformkleidung. In gewaltigen Schritten durchmisst sie den Raum, ihre Arme sind weit ausgestreckt, den Kopf hat sie zurückgeworfen, das lange, wallende Haar fällt offen zu Boden. Wiesenthal war eine der ersten österreichischen Tänzerinnen, die das Korsett der Tradition allmählich abwarfen.

Nach dem Ersten Weltkrieg kam es in Wien zu einem fulminanten Aufstieg des modernen Tanzes. In den 1920er Jahren öffneten sich die staatlichen Großtheater allmählich neuen künstlerischen Strömungen. Die großen Neuerungen aber passierten abseits der großen Häuser. Der "Freie Tanz" der Vorkriegszeit wich nun dem modernen "Ausdruckstanz", der sich immer stärker von literarischen und dramatischen Vorlagen entfernt und statt dessen sehr stark mit Verfremdung, "Mechanisierung" der Bewegung, Montage und Abstraktion arbeitete.

Begleitet wurde diese Erneuerungsbewegung des Tanzes nach 1918 von einem beispiellosen Aufschwung der Tanzfotografie. Eine ganze Reihe von Lichtbildnern spezialisierte sich nun auf dieses Genre. Zu den Pionieren der österreichischen Tanzfotografie im 20. Jahrhundert zählten vor allem Fotografinnen - die meisten von ihnen waren jüdischer Herkunft, etwa Trude Fleischmann, Madame d’Ora, Pepa Feldscharek, Beatrice Freyberger, Hedda Medina, Edith Barakovich oder Grete Kolliner. Bekannt für ihre Tanzfotografien waren aber auch das Atelier Setzer und das Atelier Franz Löwy, sowie die Fotografen Ernst Förster, Georg Fayer und Rudolf Koppitz.

Die Tänzerin Tilly Losch, 1935.
Die Tänzerin Tilly Losch, 1935.
© Rudolf Koppitz. (Archiv Anton Holzer)

Ab Ende der 1920er Jahre entdeckten auch Pressefotografen und Amateure das Thema Tanz (und Theater). Sie arbeiten mit kleineren, lichtstarken Apparaten und konnten daher auch außerhalb des Ateliers, etwa auf der Bühne, Aufnahmen machen. Zu den begabtesten dieser Fotografen zählte Otto Skall, aber auch der Schweizer Martin Imboden, der u.a. die Tänzerin Gertrud Kraus und ihre Schüler fotografierte, sowie die beiden Wiener Fotografen Othmar Maudry und Max Tanner. Immer wieder suchten einzelne Tänzerinnen die Zusammenarbeit mit bekannten Fotografinnen und Fotografen. Die lettische Ausdruckstänzerin Mila Cirul, ein Star unter den Tänzerinnen der Zwischenkriegszeit, ließ sich regelmäßig von den Fotografinnen Trude Fleischmann und Grete Kolliner ablichten. Trude Fleischmann arbeitete jedoch besonders eng mit den Tänzerinnen Claire Bauroff, Tilly Losch und Hedy Pfundmayr, sowie mit dem Toni Birkmeyer Ballett zusammen. Losch und Pfundmayr waren aber auch öfter im Atelier von Rudolf Koppitz zu Gast. Madame d’Ora lichtete über Jahre hin die Schwestern Wiesenthal ab. Die Tänzerin Grete Groß wurde häufig von der Fotografin Hedda Medina porträtiert.

Ein erster Einschnitt kam 1933/34, als der diktatorische "Ständestaat" neue politische und ästhetische Maßstäbe setzte. Bemerkenswert ist, dass der Austrofaschismus den Ausdruckstanz keineswegs als Bedrohung sah, sondern den Tanz als Ausdruck der modernen Körperkultur offi-ziell förderte. Noch Mitte der 1930er Jahre brachte der aus Riga stammende Tänzer und Choreograf Sascha Leontjew in Wien avantgardistische Inszenierungen auf die Bühne. Und dennoch: Für Tänzerinnen wie etwa Cilly Wang, die Anfang der 1930er Jahre in ihren Tänzen explizit gegen Diktatur und Faschismus Stellung bezogen hatten, wurde die Arbeit nun immer schwieriger.

Abruptes Ende#

Einige Tänzerinnen jüdischer Herkunft zogen es bereits vor 1938 vor, ins Exil zu gehen, darunter Gertrud Kraus. Der radikale Bruch kam dann im Jahr 1938, als mit dem Einmarsch der nationalsozialistischen Truppen und der Judenverfolgung die innovative österreichische Tanzszene ein abruptes Ende fand. Die noch verbliebene Szene des modernen Tanzes löste sich auf. Tänzerinnen und Tänzer jüdischer Herkunft flohen oder wurden deportiert und in den nationalsozialistischen Vernichtungslagern ermordet. Ein ähnliches Schicksal erlitten die Fotografinnen und Fotografen. Nur die Tänzerinnen Grete Wiesenthal und Rosalia Chladek blieben im Lande.

Nach 1945 konnte Österreich, die einstige Großmacht des Tanzes, aber auch der Tanzfotografie, nicht mehr an die großen Jahre der Zwischenkriegszeit anknüpfen. Der experimentelle Tanz hatte, vor dem Hintergrund der konservativen politischen Grundstimmung, die zumindest bis in die 1970er Jahre vorherrschte, keinen Platz mehr. Gefragt war in der Nachkriegszeit vor allem das unpolitische, tourismuskompatible Ballett. Erst in jüngerer Zeit entstand eine neue, innovative Tanzszene, 2001 wurde in Wien das Tanzquartier gegründet. Große, international bekannte Tanzfotografen und -fotografinnen, hat Österreich nach 1945 allerdings nicht mehr hervorgebracht.

Anton Holzer, geboren 1964, Fotohistoriker, Publizist und Herausgeber der Zeitschrift "Fotogeschichte", lebt in Wien. 2014 erschien im Primus Verlag sein Buch: "Rasende Reporter. Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus".

Wiener Zeitung, Sa./So., 19./20. Dezember 2015


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