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Musen mit Sprechblasen#

Zum 150. Geburtstag von Edvard Munch: eine hervorragende Graphic Novel über sein Leben#


Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus der Wiener Zeitung (Sa./So., 7./8. Dezember 2013)

Von

Christina Böck


  • Kunst war 2013 eines der dominierenden Themen am Comic-Markt.

Wie eine Madonna entsteht: aus 'Munch' von Steffen Kverneland
Wie eine "Madonna" entsteht: aus "Munch" von Steffen Kverneland.
© Avant-Verlag

Vielleicht kommt es daher, dass es so verstörend ist. Dass es einen ganz von unten her aufrührt. Aber vielleicht liegt es auch einfach nur daran, dass es, mit Verlaub, auch ein bisschen plakativ ist: das berühmteste Bild von Edvard Munch, "Der Schrei". Kaum ein Kunstwerk wird mit so viel Liebe in alle Richtungen verfremdet wie dieses. Vor allem natürlich in die schaurige Richtung - man denke nur an die Maske des Killers in der Filmreihe "Scream". Auch T-Shirts, auf denen das stilisierte Anti-Atomzeichen ins Schreigesicht montiert wurde, kann man erwerben.

Aber auch die Humoristik hat ihre Freude mit dem "Schrei". So ist das Bild im neuen Buch "Cartoons über Kunst" überdurchschnittlich oft vertreten. Gefolgt nur von Höhlenmalerei (Mutter zu Sohn im Fell-Outfit: "Das geht ja in 10.000 Jahren nicht mehr weg!") und Mondrian (Kunstfälscher unter sich: "Rembrandts zu fälschen ist total bescheuert. In der Zeit, in der du einen Rembrandt fälschst, schaff ich locker 20 Mondrians"). Es ist einfach auch recht verlockend, den aufgerissenen Mund einmal neu zu deuten - als Gähnen etwa.

Perfekte Comicfigur#

Und natürlich spielt "Der Schrei" auch eine nicht unbedeutende Rolle in der Graphic Novel "Munch" von Steffen Kverneland. Das zum Jubeljahr (am 12. Dezember ist der 150. Geburtstag des Künstlers) fertiggestellte Buch ist die Speerspitze eines auffallenden Trends im Comic-Bereich. Denn heuer sind gezeichnete Biografien von bildenden Künstlern en vogue. Also natürlich ein Trend, der schon vor vielen Jahren von keinem Geringeren als Goofy gesetzt wurde - mit seiner didaktischen Personifizierung von Leonardo da Vinci. Neben Edvard Munch wurden in diesem Jahr Pablo Picasso und Egon Schiele porträtiert. Und auch ein eher weniger massentauglicher Protagonist wie Kurt Schwitters kam zu Graphic-Novel-Ehren.

Froh geschrien und . . .
Froh geschrien und . . .
© Holzbaum

In Steffen Kvernelands "Munch" sagt der Zeichner in einer Art Vorwort: "Munch ist die perfekte Comicfigur!" Und bei der Lektüre ist man geneigt, ihm zu glauben. Auf etwa 260 Seiten erzählt der Norweger viel über die Freundschaft Munchs mit Strindberg und über die Skandale rund um seine Ausstellungen in Oslo (damals Kristiania) und Berlin, einiges über seine Beziehungen zu Frauen, manches über seine verlustreiche Familiengeschichte (seine Mutter und seine ältere Schwester starben, als er ein Kind war, sein Vater, als er gerade sein Bohème-Leben in Paris beginnen wollte). Der ganze Text ist dokumentarisch, er speist sich aus Aussagen von Munch selbst, oder von Strindberg, von dessen Vertrautem Adolf Paul, vom norwegischen Anarchisten Hans Jæger und anderen. Es sind aber die Zeichnungen, die diese Graphic Novel so hypnotisch machen. Mit origamihaften Prismengesichtern taumelt diese Künstlergruppe durch einen Wahn voll Suff, Sex und Lebensangst. Erstaunlich harmonisch fügen sich Munchs Originalbilder in die moderne Pop-Gestaltung ein. Manchmal taucht auch der alte Munch auf, der wiederum ist sehr realistisch hinskizziert. Kverneland nimmt sich Zeit, die Entstehungsgeschichte des Bildes "Madonna" (recht explizit) und die von "Der Schrei" (mehr intuitiv) zu erzählen. Letzteren betreffend haben auch die Panzerknacker einen netten Gastauftritt - Kunstdiebstahl und so.

Dadaistischer Veitstanz#

Diese Ausflüge in die jüngere Geschichte und in die Gegenwart (wenn sich Zeichner Kverneland und sein Freund Lars Fiske eher informell über Munch unterhalten und mit Flachmann in der Hand Bilder nachstellen - Zitat: "Seh ich so frisch gefickt aus?") brechen die historische Geschichte immer wieder auf.

Insgesamt ist dieser Comicband mit Vergnügen und Spannung zu lesen und eine echte Empfehlung, auch für Menschen, die nicht die größten Kunstgeschichte-Freaks sind. Kverneland hat übrigens eine recht schlüssige Erklärung, warum sich Munchs Leben für eine Graphic Novel besonders eignet: Sei doch Munch mit der Bildgeschichte seines "Lebensfrieses" ein Vorläufer der Comicschaffenden gewesen.

. . . müde geschrien
. . . müde geschrien.
© Holzbaum

Jener Freund Kvernelands, der in "Munch" zu Wort kommt, Lars Fiske, ist auch Graphic-Novelist. Und wie es der Zufall will, hat auch er heuer einen Künstler-Comic veröffentlicht. Seiner beschäftigt sich mit dem deutschen Dadaisten Kurt Schwitters. Fiske präsentiert Schwitters Nick-Knatterton-artig. Auch er verlässt sich ausschließlich auf Quellen - und dass sich Aussagen wie "Vor Aufregung bekam ich Veitstanz" in einem dadaistisch inspirierten Comic ganz hervorragend auswirken können, ist auch irgendwie klar. Überhaupt eignet sich der Avantgardist als Protagonist einer Graphic Novel, in der Kunst und Gebrauchskunst im Idealfall verschmelzen sollen, recht gut. Und mit Schwitters kommt der feine Humor auch nicht zu kurz - kein Nachteil bei einer Bildgeschichte.

Es geht aber auch ganz zurückhaltend und poetisch, wie bei der Biografie "Pablo" über Picasso von Julie Birmant und Clément Oubrerie. Vier Bände sind geplant, zwei ("Max Jacob" und "Apollinaire") sind bereits erschienen. Sie erzählen Picassos frühe Jahre in Paris, von seiner Muse Fernande, die auf der ersten Seite als Greisen-Engel über den Montmartre fliegt. Von der Ambitioniertheit in Kvernelands "Munch" sind diese Bände Meilen entfernt. Sie sind zwar bekömmlich nett, ähnlich einem Kinderbuch illustriert, eine Konfrontation auf künstlerischer Ebene findet aber nicht statt.

Erotik für Frauenmagazine#

Schließlich ist auch Egon Schiele heuer Comicheld geworden. Xavier Coste inszeniert ihn als James-Dean-Dandy. Wo Zeichner und Schiele aber aufeinandertreffen, also beim Akt, sieht das Ganze schnell aus wie zackige Erotikillustration für Frauenzeitschriften.

Neben all der üppigen Künstlerbeschreibung sticht ein Comicband dieses Jahres mit einer besonderen Perspektive heraus: David Prudhommes "Einmal durch den Louvre" zeigt nämlich nicht vorrangig die ausgestellten Werke, sondern das, was die Bilder "sehen". Also etwa Besucher, die ihre Begleitung verloren haben, und ganz viele Handy-Displays.

Da schließt sich auch der Kreis zu den Cartoons über Kunst. Denn auch hier dominiert die unerwartete Perspektive. Ob es nun um Begrifflichkeiten geht (der Scheich: "Ich bewundere Picasso! Niemand hat sein Öl so teuer verkauft wie er") oder um den Dialog zwischen Bild und Betrachter (Betrachter: "Das kann ich auch" - Bild: "Das kannst du nicht").

Wiener Zeitung, Sa./So., 7./8. Dezember 2013


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