Radikale Etablissements #
Die Bedeutung von Nachtcafes und Clubs fur die Entwicklung der Avantgardekunst: Mit „Into the Night“ sperrt das Untere Belvedere am 15. Mai wieder auf. #
Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus der Wochenzeitschrift DIE FURCHE (14. Mai 2020)
Von
Theresa Steininger
Das heimische Nachtleben steht derzeit still – justament mit einer Betrachtung der Rolle des Nachtcafés für die Entwicklung der Avantgardekunst nimmt das Untere Belvedere seinen Ausstellungsbetrieb nach der Corona-bedingten Museumssperre wieder auf.
„Into the Night“ zeigt – noch bis Anfang Juni, da die Wanderausstellung nicht verlängert werden konnte – in zwölf Stationen, wie Kabaretts und Clubs über Jahrzehnte und in verschiedensten Ländern Orte der Inspiration und des kreativen Austauschs waren. Orte, an denen Künstler Neues probierten und sich genreübergreifend austauschten und vernetzten. Hier waren die Regeln außer Kraft gesetzt, hier konnte und durfte man seiner Zeit voraus sein. So wurden die Etablissements zu Brutstätten radikalen Denkens und der Avantgardekunst. „Die Nachtcafés waren Labors, in denen mehr möglich war als in arrivierten Galerien und auf herkömmlichen Ballettbühnen“, führt Co-Kuratorin Katharina Lovecky vom Belvedere gegenüber der FURCHE aus. Sie hat die Ausstellung in Kooperation mit Florence Ostende vom Barbican London gestaltet. „In den Nachtcafés war vieles möglich, das außerhalb nicht goutiert wurde. Es war das freie Denken in den Clubs, das eine andere Kunst hervorgebracht hat.“
Kein eurozentristischer Blick #
Sowohl geografisch als auch historisch deckt die Schau eine große Bandbreite ab. Das beginnt bei Toulouse-Lautrecs Darstellungen der Tänzerin Loïe Fuller, die bei ihren Auftritten ihre weiten Gewänder als Leinwände für Licht- und Farbprojektionen nutzte und ebenso als Wegbereiterin des Kinos gesehen werden kann wie die Schattentheater des Chat-Noir-Nachtclubs in Paris, und geht bis zum „Rasht 29 Art Club“ im Teheran der 1960er Jahre. Um die eurozentristische Sichtweise zu vermeiden, führt die Schau auch nach Afrika, so kann der Belvedere-Besucher Susanne Wengers Fassadenkonstruktion des Mbari Mbayo Club in Oshogbo in Nigeria förmlich betreten. Andernorts kann er Werke von Künstlern bewundern, die sich in dem mexikanischen Café de Nadie zum Gedankenaustausch trafen.
Glänzender Stellvertreter Österreichs ist dabei das Kabarett Fledermaus, in dem Künstler der Wiener Werkstätten um Josef Hoffmann unterschiedliche Ausdrucksformen des Kunsthandwerks zu einem schlüssigen Ganzen kombinieren wollten. Vom Besteck bis zum Aschenbecher war alles durchdesignt, wobei man die dekorative Ästhetik der Wiener Secession nutzte und gleichzeitig die Tür zum Expressionismus aufstieß. Vor und nach den Vorstellungen im eigentlichen Theatersaal – von Auftritten Grete Wiesenthals bis zu Aufführungen von Werken Polgars oder Altenbergs – kam man in der bunt verfliesten Bar zusammen. An einer Fotografie derselben orientierte sich nun eine Forschungsgruppe der Universität für angewandte Kunst, die für die Schau die Ausstattung der Bar samt der berühmten Majolika- Fliesen, die durch ihre Buntheit und Einzigartigkeit für den besonderen Flair der Bar sorgten, nachzuahmen versuchte.
Orte der Inspiration #
Eindrucksvoll ist auch die Rekonstruktion der Zink-Silhouetten, die im Chat Noir in Paris für Schattentheater verwendet wurden und nun überdimensional groß zur originalen Musik präsentiert werden. Oft werden pro Land ein oder zwei Etablissements herausgegriffen, sei es das von Dada mitbegründete Cabaret Voltaire in Zürich, das für Experimente mit Sprache und den humorvollen Umgang mit den Schrecken des Kriegs bekannt wurde, oder die Futuristen-Vorreiter Bal Tic Tac und Cabaret del Diavolo in Rom. Im Fall der Weimarer Republik und der Betrachtung von Harlem in den 1920er Jahren geht es aber nicht um einzelne Bars, sondern generell um die Bedeutung des Clubs für die Kunst. Bis in die Orangerie erstreckt sich der Rundgang, wo neben der Fledermaus-Bar auch das Café L’Aubette in Straßburg nachempfunden wurde, in dem Theo von Doesburg einen ganzen Raum zum abstrakten, dynamischen Kunstwerk werden ließ. Jene Etablissements, die nicht rekonstruiert wurden, sind durch originale Einrichtungsgegenstände, Plakate und Programmhefte präsent. Doch so unterschiedlich die Darstellungsweisen sein mögen, in jedem Fall geht es darum, die Clubs und Cafés als Angelpunkte der Avantgarde und als Plattformen für einen genreübergreifenden Ideenaustausch zu zeigen und die dort herrschende Atmosphäre spürbar zu machen. Als Orte, an denen man das Leben aufsog und sich treiben ließ, um daraus neue Inspiration zu schöpfen.