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Schönheit und Entsetzlichkeit#

Egon Schieles Porträts und Selbstporträts sind Zeugnisse eines großen Übergangs und markanter Wandlungen. Seine Figuren sind motivisch reich gefärbt. Die Übertreibungen und Verzerrungen in seinen Bildern verstehen sich als Weltdeutung im großen Stil.#


Mit freundlicher Genehmigung der Wochenzeitung DIE FURCHE (März 2011).

Von

Hartwig Bischof


Foto: © Belvedere, Wien/APA-Fotoservice/Thomas Preiss
Foto: © Belvedere, Wien/APA-Fotoservice/Thomas Preiss

Direkt aus der Versuchsstation für den Weltuntergang, wie man das Wien um die Wende zum 20. Jahrhundert nannte, kommen diese Arbeiten von Egon Schiele zu uns. Und es scheint, dass die damalige Laborsituation noch immer oder schon wieder einige Ähnlichkeiten zur Gegenwart aufweist. Schieles Werke sind Zeugnisse eines großen Übergangs und markanter Wandlungen. In einer Mischung aus Endzeitlichkeit und Katastrophenspürsinn tauchen die Menschen bei ihm als Zwischenwesen von Eremit, Märtyrer oder Fakir auf; sie verneinen das Leben, nein, sie sind zum Leben verdammt, sie lieben es augenscheinlich bis zum Exzess. Motivisch reich gefächert, sind seine Figuren erdachten, ermalten Gegenständen ausgeliefert, sie werden aus dem Individuellen und Detailhaften auf die Ebene der weltgeschichtlichen Befindlichkeit der Menschheit gehoben – gerade weil es Einzelschicksale sind, von sogenannten Durchschnittsmenschen, die es ja in Wirklichkeit gar nicht gibt.

E. Schiele.„Selbstporträt mit braunem Hintergrund“, 1912., Foto: © Galerie St. Etienne, New York
E. Schiele.„Selbstporträt mit braunem Hintergrund“, 1912.
Foto: © Galerie St. Etienne, New York

Wechselspiel zwischen Nähe und Distanz#

Nicht zuletzt weil das Porträt im gesamten OEuvre von Schiele einen derartigen Stellenwert einnimmt, hat er darin Leistungen erbracht, die im gesamten Expressionismus nicht leicht zu finden sind. Was ihm wesentlich scheint, wird herausfiltriert und gleichzeitig angeprangert; er porträtiert seine Malerfreunde, seine Mäzene und vor allem sich selbst – posierend, gestikulierend, mit gespreizten Fingern. Kunst macht sichtbar, was andere nicht sehen, in Schieles Zeichnungen wird es zum Ereignis. Die Übertreibungen und Verzerrungen sind nicht als bloßer Effekt oder als Manie eingesetzt, sondern verstehen sich als Weltdeutungen im großen Stil. Die Parallelwelten Kakaniens und die neue Realität der Moderne mit der allenthalben vorgetragenen Zurschaustellung der Zerbrechlichkeit der menschlichen Identität gestaltet Schiele zu Zeichen von besonderer Schönheit und gleichzeitig von besonderer Entsetzlichkeit. Gerade weil Schiele sich und auch seine Modelle in Pose wirft, beinahe alle seine Szenerien mit einem theatralischen Gestus umgibt, schafft er jene Distanz, die es ihm dann ermöglichen, dass sich dieses ekstatische Aussichhervortreten ereignen kann, das sich wunderschön schrecklich und schrecklich schön über die Papierblätter und Leinwände erstreckt.

Egon Schieles Porträt „Der Maler Albert Paris Gütersloh“, 1918., Foto: © The Minneapolis Institute of Arts
Egon Schieles Porträt „Der Maler Albert Paris Gütersloh“, 1918.
Foto: © The Minneapolis Institute of Arts

Bereits die für die Ausstellung gewählte Fokussierung auf das Porträt unterstreicht dieses Wechselspiel zwischen Nähe und Distanz. Das Gesicht, seit grauer Vorzeit als Spiegel der Seele bezeichnet, dient als unmittelbares Identifikationsmittel, für die Person selbst, genauso wie für die Umwelt. Wenn ich mich im Spiegel betrachte, dann gleichzeitig wird dieser Zusammenfall zwischen mir und meinem Gesicht durch den Umstand, dass ich außerhalb meiner trete, aufgebrochen. Da schaut mich einer – ein anderer? – an, der ich selber bin. Vielleicht sollte man im Anschluss an den Kunsthistoriker Hans Belting das Gesicht nicht mehr als Spiegel betrachten, sondern als „Performance“.

Egon Schieles Porträt „Porträt einer Dame“ (Wally Neuzil), 1912., Foto: © Privatbesitz
Egon Schieles Porträt „Porträt einer Dame“ (Wally Neuzil), 1912.
Foto: © Privatbesitz

Künstlerisch gelungene Kompositionen#

Auf diesem Schauplatz der unterschiedlichen Inszenierungen, die wesentlich ehrlicher sein können als ein vermeintlich objektiver Spiegelabdruck, bewegte sich auch Schieles herausragende Porträtkunst. Denn neben dieser Zeitanalyse zeichnen sich viele seiner Arbeiten durch eine untrügliche Meisterschaft aus, das Blatt oder die Leinwand perfekt zu organisieren. Dazu reicht es dann nicht mehr, die zu Porträtierenden mit mehr oder minder großer Ähnlichkeit festzuhalten. Dann sind nicht mehr nur jene Flächen wichtig, die der Künstler Schiele als diesen oder jenen Teil des Gesichts etwa mit dem Zeichenstift definiert, sondern ebenso der freie Rest. Erst aus diesem Zusammenspiel der klaren Bezeichnung und der offenen Form – sei dies nun der Hintergrund oder seien es Aussparungen in der Figur – stellt sich jene künstlerisch gelungene Komposition ein, wie man sie bei Schiele allenthalben genießen kann.

DIE FURCHE (März 2011)


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