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Egon Schiele (1890 - 1918)#


Mit freundlicher Genehmigung entnommen aus dem Buch: Große Österreicher. Thomas Chorherr (Hg). Verlag Carl Ueberreuter, Wien. 1985.


Egon Schiele, Bleistiftzeichnung
Sonderpostmarkenserie 1965 (200 Jahre Albertina)
© Österreichische Post

Daß der »letzte Glanz der Märchenstadt« die Schönheit der Abenddämmerung mitsamt aller Pracht der untergehenden Sonne in sich barg, ist heute kulturhistorisches Gemeingut. So wie dann, wenn die Schatten ganz lang geworden sind, das Licht besonders eindrucksvoll anmutet und alle Vögel noch einmal zu singen anfangen - so war Wien um die Jahrhundertwende Brutstätte und Treibhaus künstlerischer Genialität. Man ahnte, daß das Reich zu Ende ging; viele retteten sich und ihr Können hinüber in die neue Ära. Andere starben frühvollendet, Kerzen gleich, die an beiden Enden brennen. Sie fuhren mit dem Reich, das sie geboren hatte, ins Grab.

Egon Schiele war einer dieser Frühvollendeten. Man fragt sich heute oft, wie sich dieser Maler entwickelt hätte, wenn er nicht achtundzwanzigjährig an der spanischen Grippe gestorben wäre. Man fragt sich auch, ob das, was Schiele der Nachwelt hinterließ, ein Torso sei, ein künstlerischer Unterbau gewissermaßen, der des Überbaus ermangelt. Und man grübelt darüber nach, wie dieser Egon Schiele wohl in der Zwischenkriegszeit, wie er als alter Mann nach dem Zweiten Weltkrieg gearbeitet hätte, welche Werke er dann der Welt geschenkt hätte - und wie sie aussähen.

Solches zu erwägen ist ebenso müßig, wie darüber nachzudenken, welche Gedichte Georg Trakl 1938 geschrieben hätte - oder 1945. Genauso müßig, wie Gedankenspielereien über das mögliche Alterswerk eines Mozart oder Schubert anzustellen. Mag sein, daß Schieles Werk ein Torso ist. Dann ist es ein ebensolcher Torso wie die »Unvollendete«. Als er starb, hat er immerhin mehrere tausend Bilder und Zeichnungen hinterlassen - die genaue Zahl ist nicht bekannt, immer wieder tauchen neue Blätter, signiert und datiert, aus der Verschollenheit auf. Noch einmal: frühvollendet zu sein enthält den Begriff »Vollendung«. Daß solches auf Egon Schiele anzuwenden ist, bezweifelt heute niemand mehr.

Er hat jenem um die Jahrhundertwende neuen Stil des Expressionismus angehört, dessen Hauptexponent in Österreich Oskar Kokoschka gewesen war: Nicht mehr die Eindrücke wandelte der Künstler - heute würde man sagen: mediengerecht - um, sondern der Wirklichkeit wurde der Stempel des seelischen Ausdrucks aufgeprägt, sie wurde gleichsam elementar umgestaltet. Bei Schiele kam hinzu, daß er anfangs auch von Klimt und dem Jugendstil beeinflußt war; deutlich ist an der dekorativen Ornamentik, die er verwendete, das damals Modische erkennbar, erst später hat er zu dem gefunden, was man »entblößende Expressivität« nannte. Daß Erotik, und bisweilen eine direkte bis brutale, dabei eine große Rolle gespielt hat, hängt mit der Epoche zusammen: es war die Zeit des Sigmund Freud.

Egon Schiele - Häuserbogen, Briefmarke
Egon Schiele - Häuserbogen, Blockausgabe 1915
© Österreichische Post

Man meint heute, aus den Zeichnungen Schieles seelische Verwirrtheit herauslesen zu können. Keines der Gesichter, die er auf das Papier warf, zeigt ein Lächeln ; Zerrissenheit, Traurigkeit, manchmal Todtraurigkeit, auch Angst sprechen aus den Skizzen. War es erbliche Belastung, die den Maler zu diesem Pessimismus trieb? »Ich bin Mensch, ich liebe den Tod und liebe das Leben«, schrieb Egon Schiele einmal. Es war indes alles andere als die berühmt-berüchtigte Wiener Heurigenmelancholie, die er künstlerisch darstellte: vielmehr haust in seinem Werk tatsächlich eine düstere Todessymbolik, die möglich erscheinen läßt, daß jene Krankheit, an der Schieles Vater starb - Paralyse - auch im Sohn geschlummert hat.

Der Vater ist Bahnhofsvorstand in Tulln gewesen, dort, im Bahnhofsgebäude, ist Egon Schiele zur Welt gekommen, er hat als Bub die Eisenbahn geliebt und anfangs nur Züge, Waggons und Lokomotiven gezeichnet. Mit 16 Jahren kam er, da man sein Talent früh erkannt hatte, an die Akademie, die er von 1906 bis 1909 besuchte. Seither hat er vom Zeichnen existiert, hat ein kurzes, wildes Leben gehabt - und ist doch einer der größten Künstler seiner Zeit gewesen. Er muß von einem fieberhaften Wirkensdrang erfüllt gewesen sein, in neun Jahren hat er geschaffen, was heute von ihm blieb, anfangs unterstützt von einigen Kunstkennern, die ahnten, was da heranzureifen schien. Später dann war Egon Schiele zumindest im Inland bekannt und gesucht, eine Verkaufsausstellung in der Secession wenige Monate vor seinem Tod war ein Riesenerfolg. Und immer wieder sind es Menschenbilder, Gestalten und Porträts, gewesen, die er in einem wahren Furioso gezeichnet hat, immer wieder auch Akte, viele nach damaliger Auffassung pornographisch - mit Adolf Loos hat Egon Schiele gemeinsam, daß er wegen angeblicher Verführung Minderjähriger in Neulengbach drei Wochen in Untersuchungshaft saß. Die Anklage wurde dann fallengelassen, Schiele erhielt drei Tage Arrest, weil er einen erotischen Akt - eine »unzüchtige Darstellung« -nicht entsprechend verwahrt hatte. Aus Krumau, wo er vorher mit seiner Freundin Wally Neuziel gelebt hatte, ist er ausgewiesen worden, die Leute hatten sich über das Zusammenwohnen zweier Unverheirateter, einer noch dazu ein »wilder Künstler«, aufgeregt.

War das »Wilde« an Egon Schiele eine Seelenkrankheit? Er hat seine Lieblingsschwester als Aktmodell verwendet. Er hat immer und immer wieder sich selbst, vor dem Spiegel stehend, nackt gezeichnet, ein Narziß des Expressionismus. Aus vielen seiner Zeichnungen spricht so etwas wie Erotomanie. Er hat gebrannt, die Flamme hat ihn am Ende verzehrt. Am 28. Oktober 1918 stirbt seine Frau Edith, im sechsten Monat schwanger, an der Grippe. Drei Tage später folgt ihr Egon Schiele nach. »Der Krieg ist aus - und ich muß gehn - meine Gemälde sollen in allen Museen der Welt gezeigt werden«, flüsterte er, bevor er einschlief. Er hat die Zukunft vorausgesehen.


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