Schiele, nüchtern betrachtet#
Von der Wiener Zeitung (Donnerstag, 17. Februar 2011) freundlicherweise zur Verfügung gestellt
Von
Brigitte Borchhardt-Birbaumer
Franz Martin Haberditzl legte als Direktor des Belvedere, vormals Staatsgalerie, 1918 den Grundstein zur Sammlung von 16 Hauptwerken aus allen Werkphasen Egon Schieles. Obwohl die Porträts ein Drittel des Œuvres ausmachen, widmete sich bis heute kein Museum diesem Thema. Durch Jane Kallir, New Yorker Enkelin eines Schiele-Sammlers und Verfasserin des Werkkatalogs, ist diese Schau auf der sicheren Seite. Die Anstrengungen, auch Unbekanntes aus aller Welt mit dem Bestand zu vereinen, haben sich gelohnt. Rund 100 Werke werden in fünf Abschnitten chronologisch auf ovalen Wandeinbauten in der Orangerie präsentiert.
Die Anfänge zeigen den 16-jährigen Schiele an der Akademie als bemühten Zeichner antiker Gipse; das erste Selbstbildnis sowie Porträts der Familie gehen dann auch farblich in Richtung Stimmungs-Impressionismus. Erst nach der Orientierung an Gustav Klimt und mit dem zornigen Durchbruch zum Expressionismus kommt es zu einem Entwicklungsschub. Seit dem Austritt der "Neukunstgruppe" aus der Akademie ist Schiele derjenige, den wir heute kennen. Er legt ab 1910, mit einer unharmonischen Farbplatte vor leeren Hintergründen, eine exaltierte Selbstsuche an den Tag: ein narzisstisches Auftreten in Theaterposen, die er auch auf andere überträgt.
Erkennbare Einflüsse#
Die Schau verschleiert nicht die Ablehnung deutscher Künstler wie Franz Marc gegenüber der österreichischen Eigenwilligkeit im neuen expressiven Stil. Doch bei aller Opposition: Schieles Eleganz des Strichs, seine Betonung des Negativraums hinter den Figuren und die psychologische Bespiegelungen täuschen nicht hinweg über eine grundlegende Unbestimmtheit zwischen revolutionärer Neuerung und Konvention.
Seine konservative Seite war aber sicher auch ein Zugeständnis an die Mäzene Carl Reininghaus, Arthur Roessler, Heinrich Benesch oder Eduard Kosmack. Auch indem die Schau solche Einflüsse nicht verhehlt, bleibt sie angenehm nüchtern, folgt der Chronologie und konzentriert sich auf erläuternde Skizzen zu den Ölporträts, die so kombiniert noch nicht zu sehen waren. Briefe an die Mäzene und deren Antworten dokumentieren die für Wien typische enge Bindung an die Auftraggeber und Sammler seitens der Museen und Galerien.
Hier wird Egon Schiele nicht mehr kritiklos in den Rollen des Propheten, Priesterkünstlers und Märtyrers, die er selbst wechselnd und zeitgemäß verkörpert hat, in unsere Gegenwart geholt. Diese Abkehr von einem affirmativen Geniebegriff schadet seiner Kunst keineswegs, sie bringt im Gegenteil neue, subtilere Themenstellungen ans Licht. So offenbaren sich in vielen Posen etwa Schieles schwieriges Erwachsenwerden und sein schwankendes Frauenbild während dieser Zeit. Ob seine Rolle als Soldat und werdender Familienvater ihn tatsächlich zum Feministen machte, wie Kallir meint, scheint für die Jahre 1915 bis 1918 allerdings doch eher schwer beweisbar.
Jedenfalls macht sich ab 1912 ein Schwenk zu einer einfühlsameren Fremdbeobachtung bemerkbar – nicht nur in einem wenig bekannten Bildnis Wally Neuzils (aus der Sammlung Christa Hauer, Schloss Lengenfeld), sondern auch in Porträts von Vater und Sohn Benesch sowie Erich Lederer. Vor allem im Bildnis seines Freundes Albert Paris Gütersloh überzeugt dieser veränderte, gemäßigte Spätstil. Durch Schieles frühen Tod, 1918 aufgrund der Spanischen Grippe, bleibt die Frage, welchen künstlerischen Weg er genommen hätte, spannungsreich offen.