Im Oktober feiert Christine Nöstlinger ihren 75. Geburtstag#
Ein Besuch bei der Autorin.#
Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von morgen (5/11)
Von
Karin Cerny
Inmitten von Balkonpflanzen leuchtet eine kleine goldene Figur in der Sonne. „Das ist ein Preis für mein Lebenswerk", sagt Christine Nöstlinger nicht sonderlich begeistert. „Ich habe noch nie etwas so Schiaches gesehen", merkt sie mit charmantem Dialekteinschlag und einem breiten Grinsen an.
Man muss Nöstlinger recht geben: Die Statue wirkt wie ein Alien und nicht wie ein lesender Mensch. Die meisten Preisträger würden sich allerdings einfach nur geehrt fühlen und kämen gar nicht auf die Idee, sich über die Gestaltung einer solchen Trophäe lustig zu machen. Christine Nöstlinger ist anders, sie sagt, was sie denkt. Und sie sagt es so pointiert, dass man darüber schmunzeln muss. Wahrscheinlich liegt ihr an den vielen Auszeichnungen, die sie inzwischen verliehen bekommen hat, ohnehin nur eine wirklich am Herzen: nämlich der Astrid-Lindgren-Preis, mit dem sie 2003 geehrt wurde. „In der Begründung steht ausdrücklich, dass ich den Preis bekommen habe, weil ich eine Anti-Pädagogin bin", sagt Nöstlinger, aber diesmal nicht ironisch, sondern durchaus mit Stolz.
Erziehen wollte sie mit ihren Kinder-und Jugendbüchern nämlich nie. Pädagogik ist ihr ein Gräuel. Sie zitiert in solchen Fällen am liebsten Karl Valentin, der einmal meinte: „Was hilft denn die ganze Erziehung, die Kinder machen einem doch ohnehin alles nach." Über ihre eigenen beiden Töchter sagt sie: „Ich habe meine Kinder nie erzogen, die Humanität wächst einem schon von selber zu." Über hundert Bücher hat sie in den letzten vierzig Jahren wohl geschrieben, von einer typischen Nöstlinger-Figur zu sprechen fällt deshalb schwer. Trotzdem finden sich in ihrem umfangreichen Werk, in dem Figuren vom Arbeiter- bis zum Journalistenkind quer durch die gesellschaftlichen Schichten vorkommen, durchaus gewisse Konstanten. Ihre Kinder haben einen eigenen Kopf, sie lassen sich nicht verbiegen, aber selbst wenn sie frech auftreten, sind sie im Kern irgendwie edel - das aber auf eine völlig un-verkitschte Art. Kitsch liegt Nöstlinger nämlich ebenso wenig wie Pathos. Ihre Figuren zeichnet vor allem eines aus -und das scheint direkt von der Autorin abgeschaut: ein umwerfender Schmäh. Sie sind wahrlich nicht auf den Mund gefallen.
Warum Christine Nöstlinger so stolz auf ihren Astrid-Lindgren-Preis ist, hat nicht nur inhaltliche Aspekte. Lindgren hat die Sprache der Kinderbücher revolutioniert. Nichts Geringeres ist auch Nöstlinger gelungen. Sie zeigt mit ihren Büchern, dass Ironie und Understatement auch im Kinderbuch Platz haben. Dass Witz wichtig und Dialekt möglich ist. Sie hat den Kindern und Jugendlichen aufs Maul geschaut und sie nicht in ein biederes Hochsprachenkorsett gesteckt. Anfangs stieß ihre unverblümte Sprache, die immer ganz ohne ein Blatt vor dem Mund ausgekommen ist, noch auf Kritik, mittlerweile ist ihr pointierter Kunstdialekt längst klassisch. An die Kindheit geht Nöstlinger ohnehin unsentimental heran: „Jede Kindheit war schon und schrecklich", sagt sie.
Am 13. Oktober wird Christine Nöstlinger 75, Man merkt ihr das Alter nicht an: Sie ist wach und neugierig wie ein junger Mensch. In den letzten Jahren ist sie innerhalb von Wien einige Male umgezogen. Jetzt wohnt sie in der Nahe des multikulturellen Hannovermarktes im 20. Wiener Gemeindebezirk: „Ich wollte immer im Ausland wohnen", sagt sie -und schon sitzt ihr wieder der Schalk im Nacken: „Jetzt lebe ich hier in der Türkei."
Beim Besuch in ihrer hellen Dachgeschoßwohnung sticht der große Holztisch im Essbereich der offenen Küche ins Auge. Daraufliegen ein neues iPhone und ein altmodisches Notizbuch. Beide Welten verbindet die Autorin locker. Neuer Technik gegenüber war sie schon immer aufgeschlossen. Als ihr Handy jüngst nicht funktionieren wollte, goo-gelte Nöstlinger einfach im Internet nach Ratschlägen von anderen Benutzern. Selbst ist die Frau. Lust, ihren Geburtstag zu feiern, hat sie allerdings keine: „Was soll ich denn feiern?", fragt sie: „Dass ich 75 werde? Das ist doch auch nicht anders als 74. Ich hoffe halt, dass ich noch 76 werde." Sie hat zweimal Krebs hinter sich und mittlerweile ein schwaches Herz. „Ich komme mir aber nicht so alt vor wie ich wirklich aussehe", sagt sie: „Deshalb schau ich in letzter Zeit einfach nicht so oft in den Spiegel."
Den großen Tisch braucht sie aber auch, um Gäste zu bewirten. Nöstlinger ist eine passionierte Köchin. In den letzten Jahren hat sie einige sehr originelle Kochbücher geschrieben (etwa: „Mit zwei linken Kochlöffeln"). Ihre Liebe zum Herd hat einen einfachen Grund: „Gut zu kochen ist die simpelste Art, sieh Zuneigung zu erwerben", meint sie. Bei ihren beiden Töchtern hätte sie diesbezüglich ein hartes Training absolviert: „Meine älteste Töchter wollte jeden Tag Linsen, 30 Tage lang, immer das Gleiche - seither hat sie allerdings nie mehr Linsen gegessen." Dabei isst Nöstlinger selbst gar nicht sonderlich gern. „Ich gehöre zu den seltenen Menschen, die gut kochen, aber nicht gern essen", gesteht sie: „Ich bin eine Meisterin im Verstecken von Essensresten, mein Magen ist inzwischen so klein, dass ich nach der Vorspeise schon satt bin."
Kindheit in Wien#
Christine Nöstlinger wurde 1936 in Wien-Hernals geboren. Sie stammt aus einer Arbeiterfamilie, ihr Vater war Uhrmacher, ihre Mutter Kindergärtnerin. Ihr Elternhaus war sozialistisch eingestellt. Nöstlinger sagt selbst, sie habe als Kind immer aufbegehrt und nie den Mund gehalten. Ihre große Schwester hätte sie oft auch körperlich angegriffen. Aber: „Wie soll man sich denn als Kleine wehren?" Das Kinderbild ihrer Mutter hat sie auf jeden Fall nicht geprägt, die meinte nämlich immer, dass sich Kinder vertragen sollen. Heute sagt Nöstlinger: „Mir ist es wahnsinnig gut gegangen, ich habe nie eine Ohrfeige bekommen, und das war damals eine Rarität." Ihre eigene Kindheit während des Zweiten Weltkrieges hat sie unter anderem in den Büchern „Maikäfer flieg!" und „Zwei Wochen im Mai" aufgearbeitet.
Christine Nöstlinger gelingen in ihren Büchern lebensnahe Außenseiterfiguren, Kinder, die ihre liebe Not mit der Umwelt haben. Gerade das aber ist nicht autobio-grafisch: Die Autorin war als Kind enorm beliebt, weil sie die ganze Klasse unterhalten konnte. „Man sagt zwar, das Mobbing wäre heute erfunden worden", meint sie trocken. „Aber das stimmt nicht: Ich war ziemlich gnadenlos, und ich frage mich heute noch, warum mich das so befriedigt hat, von anderen Kindern Lacher zu bekommen." Ihre feinfühlige Sieht auf Außenseiter kommt auf jeden Fall nicht aus Selbsterfahrung. Eher im Gegenteil: „Vielleicht ist es ein gewisses Schuldgefühl, dass ich mich denen gegenüber so schlecht benommen habe."
Zum 75. Geburtstag von Christine Nöstlinger gibt der Residenz Verlag eine Auswahl ihrer humorvollsten, ironischsten und bissigsten Glossen als Buch heraus:
- „Eine Frau sein ist kein Sport. Das Hausbuch für alle Lebenslagen", 240 Seiten, € 21,90.