Wir freuen uns über jede Rückmeldung. Ihre Botschaft geht vollkommen anonym nur an das Administrator Team. Danke fürs Mitmachen, das zur Verbesserung des Systems oder der Inhalte beitragen kann. ACHTUNG: Wir können an Sie nur eine Antwort senden, wenn Sie ihre Mail Adresse mitschicken, die wir sonst nicht kennen!

unbekannter Gast

Alte Texte in neuem Kontext#

Die Jura Soyfer Gesellschaft präsentiert zum 100. Geburtstag des Dichters eine Werkedition, die neue Wege geht und dabei auch die Möglichkeiten der elektronischen Medien mit einbezieht.#


Von der Wiener Zeitung (30. November 2012) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Herbert Arlt


Jura Soyfer
Jura Soyfer, porträtiert von Elke Schoenberger
Bild: © Jura Soyfer Gesellschaft

Bereits im Exil in England begannen Otto Tausig und Herbert Steiner in den 1940er Jahren mit der Sammlung der Texte Jura Soyfers. Otto Tausig brachte 1947 die erste Buch-Ausgabe Soyferscher Texte unter dem Titel "Vom Paradies zum Weltuntergang" heraus. Herbert Steiner gründete gemeinsam mit vielen anderen 1963 das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, das auch für die Sammlung und Bewahrung der Texte Jura Soyfers eine wichtige Rolle spielte, und 1988 die Jura Soyfer Gesellschaft.

Ursprünglich wurde diese Gesellschaft gegründet, um des 50. Todestages von Jura Soyfer würdig zu gedenken, der am 16. Februar 1939 im Konzentrationslager Buchenwald ums Leben kam. Aber in der Gesellschaft schlossen sich auch diejenigen zusammen, die sich zum Beispiel in Theatern, Verlagen, Universitäten, Medien, Vereinen, Schulen, Betrieben, staatlichen Stellen für Jura Soyfer engagierten.

Nicht nur Otto Tausig, Helmut Qualtinger, viele junge Theaterleute der 1940er Jahre waren von Soyfers Aktualität überzeugt. Gerade im Jahr seines 100. Geburtstages beweist er seine Lebendigkeit. Die Arbeitsergebnisse neben der Edition (File-Books, Homepage, Ausstellung jeweils in einem dutzend Sprachen, Internet-Sendungen, künftig alle zwei Jahre ein Schüler-Theater-Festival, Video-Interaktionen, Publikationen, MCs, CDs, DVDs) werden eine ausgezeichnete Grundlage für ein (interaktives) Millionenpublikum nicht nur im Soyfer-Jahr 2012/ 2013 sein.

Weltweite Beachtung#

Heute ist Jura Soyfer in rund 50 Sprachen übersetzt. Zwei dutzend KünstlerInnen bzw. Theater widmen allein in Zentraleuropa seinem Werk heuer ihr Programm. 2012/2013 wird die Ausstellung "Polyphonie der Sprachen. Jura Soyfer zum 100sten Geburtstag" gut 100 Mal zu sehen sein - rund 250.000 Menschen werden erwartet. Seit den 1940er Jahren wurden seine Texte auch für das Radio adaptiert, seit den 1970er Jahren gibt es Filme, seit 1998 eine eigene Homepage.

Das entspricht ganz der Soyferschen Dichtung. In seinem "Telegraphen-Chanson" (1936) heißt es lange vor der Erfindung des Internets:

Von den neunundneunzig Rändern

Dieser kugelrunden Erde

Flitzen flink aus tausend Sendern

Die Berichte. -

Durch die zarten, blitzend harten

Kupfernerven dieser Erde

Surrt die Weltgeschichte.


Jura Soyfer war selbst zu Lebzeiten in der Zeit der Diktaturen keineswegs ein Autor, der nur im kleinen Kreis bekannt war, auch wenn er nach wie vor klein geredet, als Außenseiter abgestempelt wird. Vielmehr hatten Jura Soyfers Gedichte in der "Arbeiter- Zeitung" in den 1930er Jahren bereits eine Massenauflage. Seine Gedichte wurden in der saarländischen Tageszeitung "Deutsche Freiheit" 1933/34 nachgedruckt. Sein Stück "Pinguine" wurde in Budapest gespielt, sein Roman "So starb eine Partei" sollte in Prag in Buchform erscheinen. Etliche seiner Texte erschienen in Englisch in der Zeitschrift "New Writing", die von John Lehmann herausgegeben wurde. Und in der Tageszeitung "Der Wiener Tag" konnte er sich auch nach 1934 an ein breiteres Publikum wenden.

Ging es in den 1970er, 1980er Jahren noch um die Entdeckung der eigenen Geschichte, so stehen heute Gegenwart und Zukunft im Mittelpunkt. Jura Soyfer wird nach wie vor als Autor wahrgenommen, der unsere Stücke, unsere Texte schreibt. Dramatik im Kontext neuer Medien - zu Soyfers Zeiten Telegraph, Radio, Film - wird heute neu verstanden und daher auch neu präsentiert.

Dieser Öffentlichkeit trägt die "Jura Soyfer Edition 2012" Rechnung. Am Cover des Bandes "Dramatik" sind Otto Tausig und Dieter Kvasnicka in der Roten Bar im Volkstheater zu sehen. Entwickelt wurde mit diesem Band ein Modell-Versuch für ein "Internet-Theater" (eine Dokumentation dieses Experiments liegt als DVD der Publikation "Jura Soyfer und die Alte Welt" bei). Nach Möglichkeit sollen im nächsten Jahr Internet-Kunst-Projekte in rund einem dutzend Sprachen folgen.

Der Mehrsprachigkeit wird in der neuen Edition ebenso Rechnung getragen. Im Band Dichtungen ist das "Vagabundenlied" (Wanderlied) in 34 Sprachen abgedruckt. Es endet mit den Versen:

Und wär der Himmel droben

Von Samt und von Brokat

Und Sternlein eingewoben,

Ein jedes ein Dukat.

Wär keiner, der die Leiter stellt,

Dass man sie holen kunnt.

So ist die Zeit, so ist die Welt,

Mein Bruder Vagabund.


Programmatisch ist der Abdruck der Übersetzung des "Vagabundenliedes" ins Persische am Cover zu verstehen, das zwar das Wort Vagabund nicht kennt, aber wie Soyfer Menschen auf Wanderung, die nach Wissen und Solidarität suchen.

Erstmals werden in der Ausgabe 2012 einige Lieder neben die (historischen) Noten gestellt. Im Rahmen des Symposions "Musik und Theater im Widerstand. 100 Jahre Jura Soyfer" sollen im Mozarthaus am 26./27. April 2013 - organisiert gemeinsam mit Hartmut Krones - neue Dimensionen erkundet werden.

Der Abdruck der Soyferschen Gedichte in Zeitungen und Zeitschriften wird neu herausgestellt. Und es wird auf ein Dichtungsverständnis verwiesen, das diesen Texten Aufmerksamkeit und Wertschätzung schenkt - sowohl in Österreich (z.B. Otto Tausig, Helmut Qualtinger, "Schmetterlinge", Heinz R. Unger) als auch in Ägypten, südamerikanischen und asiatischen Ländern, deren Öffentlichkeit durch andere Literaturtraditionen geprägt wird.

Dieser neue Ansatz wird am 5. Dezember 2012 im Volkstheater erstmals vorgestellt. Maren Rahmann und Herbert Arlt präsentieren eine Mischung aus Lesung von Gedichten, Text mit Musik, Liedern, Erzählungen und Bildern unter dem Titel "Macht & Dichtung: Die Sprache der Gewalt" - Eine Sprache voll von Zitaten und Faktenfeststellungen.

Prosa im Radio#

Neu präsentiert wird auch die Prosa. An die Spitze wird der Roman "So starb eine Partei" gestellt, von dem bisher nur Teile aufgefunden, bzw. aus dem Englischen ins Deutsche rückübersetzt wurden. Unter dem Stichwort "Öffentlichkeitskritik" werden Soyfers Texte zu Literatur, Theater, Film, Universität, Politik zusammengefasst. Bedeutsam bleiben seine Reportagen über Deutschland und Österreich.

Bereits 2002 war mit der dreiteiligen CD "So starb eine Partei. Helmut Qualtinger liest Jura Soyfer" ein Schritt in diese Richtung getan worden. Wie bei den Stücken hatte das Radio - hier der ORF - eine Vorreiterrolle gespielt - und das nicht nur in Österreich. Wie ein Symposion der Jura Soyfer Gesellschaft mit dem ORF bereits 1998 zeigte, wurden bis dahin bereits in über einem dutzend Ländern Jura Soyfers Texte in Hörspielen einem breiten Publikum nahe gebracht.

Neu präsentiert werden ebenso die Briefe. Nach wie vor ist eine Biographie ausständig, die diesen wichtigen politischen Dichter nicht nur privat mit politischen Sätzen präsentiert, sondern das, was er mit seinen Gedichten, seiner Prosa, seinen Stücken begreifbar gemacht hat - eine Macht, die sich verselbständigt, deren "Produktionen" Börsenmanöver sind und einen Staat an und für sich hervorbringen: Das von Syofer erfundene Staatswesen Astoria, der modernste Staatstypus, der uns strahlend erstanden ist als die konsequenteste, restloseste, kompromissloseste Vollendung des modernen Staatsgedankens: Der Staat an und für sich; der Staat befreit von allen Nebenerscheinungen, die anderswo diesen Begriff verunreinigen; der Staat reduziert auf den Staatsapparat.

Im Brief-Band werden erstmals neben den - zum Teil sehr privaten - Briefen Dokumente publiziert, die zeigen, wie der Austrofaschismus überwachte, versuchte, Personennetzwerke zu (re)konstruieren, verhaftete, Leben zerstörte.

Das wichtigste war, den Autor selbst - in vielen Sprachen - zu Wort kommen zu lassen. Daneben ist aber auch notwendig, Hintergrundwissen zu schaffen. Die Ausgabe in vier gedruckten Bänden (Dramatik, Prosa, Dichtung, Briefe) und deren Übersetzungen werden daher von einem multimedialen, vielsprachigen, historisch-kritischen Kommentar zu Soyfers Texten im Internet begleitet werden, der bis zum Jahre 2032 - nach Maßgabe der Möglichkeiten - in rund 50 Sprachen vorliegen soll.

Wissensvermittlung#

Mit diesem Kommentar soll das Soyfersche Werk im Kontext der allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklungen verständlich gemacht, aber auch Details erschlossen, das Verbindende von Sprachen, Kulturen herausgearbeitet werden. Die Bedeutung seines Werkes erschließt sich gerade durch die Kenntnis der grundlegenden Bedeutung von Sprachen, Literaturen, Künsten, Wissensproduktionen, Bildung für die europäische Entwicklung seit dem 18. Jahrhundert. Das bedeutet aber auch, über den Kommentar neu nachzudenken. In den vergangenen Jahrzehnten war es schon eine Innovation, einem Namen aus den "verdrängten Jahren" Lebensdaten, Funktionen, Tätigkeiten zuordnen zu können. Aber erhellte das den Text?

Unter anderem seit dem ersten internationalen Soyfer-Symposion 1989 in Wien im Institut für Theaterwissenschaft wurden die Grundlagen zu einem Kommentar neuer Art geschaffen. Symposien in verschiedensten Städten und Ländern setzen und setzten sich mit Details im Kontext grundsätzlicher Entwicklungen auseinander. Die Jura Soyfer Edition 2012 ist daher nicht als singuläres Projekt oder Jubiläumsprojekt zu sehen. Hunderte sind weltweit seit den 1940er Jahren direkt und indirekt daran beteiligt.

Herbert Arlt, geboren 1958, ist Wissenschaftlicher Direktor des INST (Institut zur Erforschung und Förderung regionaler und transnationaler Kulturprozesse) sowie Vorsitzender der Jura Soyfer Gesellschaft (www.soyfer.at).

Wiener Zeitung, 31. November 2012


Bild 'sim-link'
Austria-Forum Beiträge in ähnlichen Gebieten