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Ein Kämpfer in Tat und Wort#

Vor 100 Jahren wurde der Dramatiker und Gesellschaftskritiker Jura Soyfer geboren. Bis zu seinem frühen Tod im KZ Buchenwald agitierte er schreibend gegen den Nationalsozialismus.#


Von der Wiener Zeitung (30. November 2012) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Friedrich Weissensteiner


'Auf uns kommt es an', Tanztheater
Andreas Seifert in "Auf uns kommt es an", der Kärntner Soyfer-Adaption für Tanztheater von Johann Kresnik (2009).
Foto: © apa/ Zdravko Haderlap

Seine Lebensbahn war kurz, sein Lebensweg ungewöhnlich, eine Sternschnuppe, die am Literaturhimmel Österreichs aufleuchtete und in der stockfinsteren Nacht der nationalsozialistischen Terrorherrschaft verglühte. Jura Soyfer starb im Alter von 26 Jahren im KZ Buchenwald.

Er war ein Supertalent, das nicht zur Entfaltung kommen konnte. Sein Werk ist ein Torso geblieben. Aber es hat Gewicht. Hans Weigel, der mit ihm befreundet war, urteilt in seinem Buch "In memoriam" (1979) in einer Lebensskizze abschließend: "Kleist, Horváth, Hugo Wolf waren Frühvollendete. Jura Soyfer war ein Unvollendeter . . . Wir anderen waren mehr oder weniger begabt. Er war genial, kein Nachahmer, kein Epigone, ein legitimer Nachfahre Johann Nestroys."

Dieses hohe Lob aus dem Mund eines profunden Kenners der österreichischen Zwischen- und Nachkriegsliteratur wurde von der Literaturwissenschaft lange Zeit keineswegs geteilt. Ganz im Gegenteil. Man hat Jura Soyfer einfach totgeschwiegen. In den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts begann eine Jura Soyfer-Rezeption, die eng mit den Namen Otto Tausig, Helmut Qualtinger und Conny Hannes Mayer verbunden ist. Sie verebbte jedoch rasch und fand erst Mitte der siebziger Jahre ihre Fortsetzung. Heute hat der linke Revolutionär seinen gebührenden Platz in der österreichischen Literaturgeschichte gefunden, auch wenn man ihn als Außenseiter klassifiziert. Kindheit in Charkow

Zur Welt kam Jura Soyfer am 8. Dezember 1912 als Sohn einer jüdischen Industriellenfamilie in der ukrainischen Stadt Charkow, wo er in materiell gesicherten Verhältnissen seine ersten Kindheitsjahre verbrachte. Im Ersten Weltkrieg wurden weite Teile der Ukraine verwüstet, politisch wurde das Land zum Spielball der Interessen der Krieg führenden Mächte. Nach der Oktoberrevolution des Jahres 1917 und dem Sieg der Bolschewisten im anschließenden Bürgerkrieg flüchtete Juras Familie 1920 unter Mitnahme aller verfügbaren und transportablen Wertgegenstände zunächst nach Konstantinopel und von dort kurz darauf nach Wien.

Jura, der neben dem Russischen auf Wunsch der Mutter Französisch gelernt hatte, scheint sich in der neuen Umgebung rasch eingewöhnt und mit Hilfe eines Hauslehrers in der neuen (Mutter-)Sprache eingelebt zu haben. So rasch jedenfalls, dass er offenbar anstandslos und zeitgerecht in das Bundesrealgymnasium Hagenmüllergasse in dritten Wiener Gemeindebezirk eintreten konnte und dort dann auch maturierte. Der bildungshungrige Gymnasiast las viel, trieb Sport (Tennis, Skilaufen) und entwickelte sich zu einem hübschen jungen Mann.

In die Gymnasialzeit Jura Soyfers fällt seine politische Sozialisierung, die in engem Zusammenhang mit der österreichischen Geschichte der Zwischenkriegszeit steht. Offensichtlich unter dem Eindruck der Ereignisse des 15. Juli 1927, dem Tag, an dem es im Verlauf einer Arbeiterdemonstration zu einem schwerwiegenden Zusammenstoß mit der Staatsgewalt kam, trat der Fünfzehnjährige gegen den ausdrücklichen Willen seiner Eltern dem "Verband der Sozialistischen Mittelschüler" (VSM) bei. In Ferienlagern, auf Vortragsabenden und durch die Lektüre marxistischer Literatur erfuhr Jura Soyfer seine ideologische Prägung. Er begeisterte sich aber auch für Karl Kraus und Heinrich Heine, beschäftigte sich mit klassischer Literatur und machte mit Gedichten und kurzen kabarettistischen Szenen seine ersten literarischen Gehversuche.

Nach der Ablegung der Reifeprüfung beginnt er an der Universität mit dem Studium der Germanistik und der Geschichte. In den Hörsälen schlägt ihm der Ungeist professoraler pangermanistischer Vorlesungsrhetorik entgegen, begegnet er auf Schritt und Tritt in den schmisseversehrten Gesichtern der Kommilitonen dem Antisemitismus.

Ende 1929 erfasst die Weltwirtschaftskrise von der New Yorker Börse aus den europäischen Kontinent. Die Börsenkurse brechen ein, Betriebe schlittern in den Konkurs, die Industrieproduktion geht zurück, die Löhne sinken, die Arbeitslosigkeit steigt, die Staatsschulden wachsen. Am politischen Horizont steigen faschistische Gewitterwolken auf. Jura Soyfer tritt der sozialdemokratischen Arbeiterpartei bei und betätigt sich in der "Akademischen Legion" des Republikanischen Schutzbundes. Auf einer Deutschlandreise im Jahr 1932 hört er Adolf Hitler reden und erkennt blitzartig die Gefahr, die von diesem Mann und seinen Hassparolen ausgeht. Nach seiner Rückkehr beschließt er, sich dem Kampf gegen den Faschismus anzuschließen. Friedrich Austerlitz, der Chefredakteur der "Arbeiter Zeitung", bietet ihm dazu publizistisch die Gelegenheit. In der sonntäglichen Glosse "Zwischenrufe links" schreibt Soyfer mit verschiedenen literarischen Stilmitteln agitatorisch gegen Faschismus, Militarismus und das Großkapital an und erweist sich mit der Deutlichkeit seiner Aussage hellsichtiger als so mancher führende Kopf der Sozialdemokratie.

Seine "Zwischenrufe" bleiben weitgehend wirkungslos. Dichter können das Leben verschönern, aber die Welt nicht verändern. In Österreich hebelt Bundeskanzler Engelbert Dollfuß Schritt für Schritt die demokratische Rechtsordnung aus. Die Sozialdemokratie nimmt es tatenlos hin. Jura Soyfer und viele seiner Mitstreiter haben den Glauben an die phrasendreschende Führung der SDAP längst verloren. Er schließt sich nach den blutigen Februartagen 1934 den Kommunisten an und fasst den Entschluss, die Ereignisse dieser Tage in einem großen Roman aufzuarbeiten.

"So starb eine Partei" ist einer der wenigen großen, zeitgenössischen, literarischen Produkte, die den Niedergang der österreichischen Sozialdemokratie aus der Optik einzelner Figuren schildern und einsichtig machen. Der Roman ist leider nur als Torso erhalten geblieben.

Kampf im Untergrund#

In der Zeit des autoritären Ständestaates, in den Jahren zwischen 1934 und 1938, war Jura Soyfer aktiv im politischen Untergrund tätig, stand unter polizeilicher Bewachung und wurde mehrmals verhaftet. Den publizistischen Kampf gegen den Austrofaschismus setzte er unter einem Pseu-donym fort. Sein neues literarisches Betätigungsfeld wurde nun die Wiener Kleinkunstbühne, die damals eine Blütezeit erlebte. Für die "Literatur am Naschmarkt", das "ABC", den "Lieben Augustin" und die "Stachelbeere", wie diese Kellertheater alle hießen, schrieb Jura Soyfer kurze Theaterstücke mit eingestreuten Songs im Stil von Bert Brecht und Liedereinlagen à la Nestroy und Raimund, die zumeist im Mittelteil des Programms zur Aufführung kamen.

Da das österreichische Theatergesetz die Theater mit weniger als fünfzig Sitzplätzen von der Zensur weitgehend ausnahm - und die meisten Kellertheater hatten just 49 Sitze -, blieben die Autoren von den Nachstellungen der Zensurbehörde größtenteils verschont.

Das derzeit wohl aktuellste Jura Soyfer-Stück heißt "Der Lechner-Edi schaut ins Paradies". Der Edi ist arbeitslos, ein Ausgesteuerter ohne jedwede Hoffnung und Perspektive. Die Schuld für seine ausweglose Position gibt er dem wissenschaftlichen Fortschritt. Er begibt sich mit seiner Freundin Fritzi in einer Zeitmaschine auf eine Fantasiereise in das Paradies. Auf der Fahrt in die Vergangenheit begegnet er unter anderen dem Arzt und Naturforscher Luigi Galvani, Galileo Galilei, Christoph Kolumbus und Johannes Gutenberg. Schließlich gelangen sie an die Tore des Paradieses, um die Erschaffung des Menschen rückgängig zu machen. Aber das ist natürlich nicht möglich. Als die Freundin fragt, was sie nun tun sollen, antwortet ihr Edi: "Frog net so vü, auf uns kommt’s an."

"Auf uns kommt es an", das will im Sinne Soyfers heißen, auf die Solidarität der Arbeiterklasse. Die verfremdete Sozialkritik des Stückes mündet in eine euphorische Schlusszeile, in den Traum von einer besseren Welt. In "Vineta", einem anderen Kurzdrama, beschwört Soyfer die bedrückende Atmosphäre im Wien des Jahres 1937, in "Astoria", einem Lehrstück à la Bert Brecht, zeichnet er einen utopischen Ausbeuterstaat, in dem die autoritätsgläubigen, manipulierbaren Menschen von einem allgegenwärtigen Propaganda-Apparat erbarmungslos beherrscht und entmündigt werden.

Die Anspielungen auf ein faschistisches Regime waren deutlich. Das Stück wurde von der Zensur verboten. Im November 1937 wurde Jura Soyfer wegen illegaler Betätigung für die Kommunistische Partei verboten und zu drei Monaten Haft verurteilt. Er wurde jedoch aufgrund einer Amnestie für politische Häftlinge kurz vor Ablauf der Haftstrafe am 17. Februar 1938 aus dem Gefängnis entlassen.

Vier Wochen später, am 15. März 1938, proklamierte Adolf Hitler bei einer Kundgebung auf dem Wiener Heldenplatz vor einer jubelnden Menschenmenge den Anschluss Österreichs an das Großdeutsche Reich. Zu diesem Zeitpunkt war Jura Soyfer bereits wieder in "Schutzhaft", diesmal in Vorarlberg. Er war von österreichischen Grenzorganen auf der Flucht in die Schweiz aufgegriffen worden.

Im Konzentrationslager#

Über mehrere Stationen landete er schließlich im KZ Dachau. Kurz nach seiner Einlieferung schrieb er das erst später bekannt gewordene "Dachaulied", in dem er im Refrain jeder Strophe den zynisch-perversen Spruch "Arbeit macht frei", der über dem Lagertor angebracht war, Lügen strafte: "Doch wir haben die Losung von Dachau gelernt/ Und wir wurden stahlhart dabei./ Bleib ein Mensch, Kamerad,/ Sei ein Mann, Kamerad./ Mach ganze Arbeit, pack an, Kamerad./ Denn Arbeit, denn Arbeit macht frei!/ Denn Arbeit, denn Arbeit macht frei!"

Von Dachau wurde Jura Soyfer am 23. September 1938 in das KZ Buchenwald überstellt. In dem völlig überfüllten, verdreckten Lager brach im Winter 1938/39 eine Typhusepidemie aus. Er wurde dem Leichenträgerkommando zugeteilt, infizierte sich und fiel selbst der Krankheit zum Opfer.

Im Lagerbuch wurde sein Tod mit lakonischer Brutalität vermerkt: "Soyfer. Journalist. 16. Februar 1939. exit. Flecktyphus." Ein Leben zählte nichts damals, zwischen 1933 und 1945, in der Menschenvernichtungsmaschinerie des "Tausendjährigen Reiches".

Friedrich Weissensteiner war Direktor eines Wiener Bundesgymnasiums und ist Verfasser zahlreicher historischer Bücher.

Wiener Zeitung, 31. November 2012



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