Woanders muss das Glück sein#
Angelika Reitzer gießt „Frauen in Vasen“ und lädt Alltagsgeschichten mit poetischer Dynamik auf.#
Von der Wiener Zeitung (Samstag, 25. Oktober 2008) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
von
Werner Schandor
Manchen Besprechungen im deutschen Feuilleton merkt man die Mühe an, die Rezensenten nach fast 20 Jahren des „neuen Erzählens“ haben, wenn sie an eine Literatur geraten, deren Wurzeln eher im Sprachlichen liegen denn im Ausschmücken eines Plots.
Sie versuchen dann, zum Beispiel, peu à peu die Geschichten von Angelika Reitzers Prosasammlung „Frauen in Vasen“ nachzuerzählen – ein Unterfangen, das niedlich und nutzlos zugleich ist. Denn das Interessante an Reitzers Texten ist nicht, wie die Ich-Erzählerin etwa mit Großmutter, Mutter und Tante Obstbäume inspiziert und die Beziehungsverhältnisse in ihrer Familie sprachgedanklich filtert („Streuobst“); undramatisch ist es auch, um ein anderes Beispiel zu nennen („Continental“), was die Erzählerin mit ihrer Schwester in der marokkanischen Fluchtburg der Beatniks, nämlich in Tanger, erfährt: nämlich dass die großen Zeiten vorbei sind...
Nicht was sie erzählt, sondern wie sie es tut, steht bei Reitzers Literatur im Vordergrund, und eben das macht ihre Qualität aus. Man wird unvermittelt in die Geschichten hineinkatapultiert, anstatt sie nur erzählt zu bekommen. „nun: ich trinke viel; ich schreibe viel: ich versuche die Recherche für diesen Film hinzukriegen und morgen treffe ich mich mit irgendwem, der mich für irgendein Projekt als Assistentin haben will/vielleicht auch nicht“, heißt es zu Beginn des Buches.
Diese verhalten hoffnungsfrohe Stimme der Generation Praktikum zieht sich konstant durch die 16 meist im Präsens verfassten Prosatexte der „Frauen in Vasen“. Alle Texte beginnen mit einem kleingeschriebenen Wort, als würde man an etwas anknüpfen, was noch im Raum steht. Ihre eigentümliche Dynamik erhalten Reitzers Texte durch Aussparungen, Andeutungen und Schnitte im Erzählablauf, aus dem sich nach und nach so etwas wie eine Geschichte herausschält: Es geht um McJobs, um Beziehungen zu Eltern und Freundinnen, wobei vieles unausgesprochen bleibt; es geht um Orte, die man aufsucht, um festzustellen, dass sie den Erwartungen, die man an sie knüpft, nicht entsprechen.
Kurz gesagt: Es geht um Lebensentwürfe, in denen man sich noch nicht häuslich eingerichtet hat – Momentaufnahmen der Adoleszenz: „Aber sie wissen ja bestimmt: woanders muss das Glück sein, woanders scheint die richtige Sonne, hat die Luft des sanftesten Ton. Fortgehen, fortgehen. Aber gibt es Erstaunlicheres als die Erkenntnis, da ist nichts, wonach man sich noch sehnen kann?“
Fortgegangen ist auch die 1971 geborene Autorin, nämlich aus der Steiermark, wo sie in der Nähe von Graz aufgewachsen ist. Nach dem Germanistikstudium in Salzburg und Berlin absolvierte sie ein paar Semester an der Filmakademie in Wien, Klasse Drehbuch, dann zahlreiche Jobs in der Kulturszene, unter anderem als Geschäftsführerin des Forum Stadtpark in Graz. Zurzeit lebt Angelika Reitzer in Wien. Schön wie ihre Prosa ist auch der Titel des Buches: „Frauen in Vasen“. Gerne wüsste ich, was er bedeutet. Er lädt – wie Reitzers Texte generell – dazu ein, das kontrolliert Assoziative ihrer Sprache selbst weiterzuführen, weckt Ahnungen und belässt die Dinge in der Schwebe – wie ein gutes Gedicht. „Frauen in Vasen“ ist Angelika Reitzers zweites Buch. Für ihr Debüt, den Roman „Taghelle Gegend“, wurde die Autorin 2007 hoch gelobt. „Ihre Prosa ist eine melodisch-poetische Reise“, so schwärmte etwa Autorenkollege Michael Stavaric. Weniger erfolgreich war Reitzer allerdings heuer beim Wettlesen am Wörthersee: Beim Bachmannpreis 2008 ging die Autorin leer aus, was vielleicht auch daran liegt, dass die Beziehungsgeschichte mit dem Titel „Super-8“, die sie in Klagenfurt las, sich im Fragmentarischen verzettelt, ein banales Ende hat und insgesamt zu den schwächeren Texten dieser Prosasammlung zählt.
Gleichsam als Entschädigung erhielt Angelika Reitzer den Reinhard-Priessnitz-Preis 2008 verliehen. Wenn es nach dem Namenspatron geht, dann passt diese Auszeichnung ohnedies besser zu Reitzers Literatur, steht sie doch dem Sprachkritischen des Dichters Reinhard Priessnitz näher als dem Bachmann’schen Pathos.
Angelika Reitzer: Frauen in Vasen. Prosa. Haymon Verlag, Innsbruck 2008, 140 Seiten, 17,90 Euro.